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22.02.2010

Interview mit Prof. Dr. Richter

Stefan Bräunling, Gesundheit Berlin-Brandenburg

Schlagwörter:Netzwerk

„Die Vernetzung der einzelnen Aktivitäten ist entscheidend für den Erfolg“
Interview mit Prof. Dr. emer. Peter Richter, Dresden

Peter Richter war Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Technischen Universität Dresden. Intensiv hat er sich mit dem Thema Betriebliche Gesundheitsförderung und insbesondere den gesundheitlichen Folgen sowohl der beruflichen Tätigkeiten als auch der Erwerbslosigkeit beschäftigt.
Gemeinsam mit seiner Kollegin Katrin Rothländer hat Prof. Peter Richter das Programm „AktivA - Aktive Bewältigung von Arbeitslosigkeit“ entwickelt (http://aktiva.wissensimpuls.de), das darauf abzielt, die Handlungsfähigkeit von Erwerbslosen zu erhalten.
Für die Anleitung von AktivA werden seit 2009 außer in Sachsen auch in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern Multiplikator/innen-Schulungen angeboten, Teilnehmende kommen aus dem gesamten Bundesgebiet.

Eine gedruckte, gekürzte Version des Interviews mit Prof. Peter Richter finden Sie im
Info_Dienst für Gesundheitsförderung 1/2010 Zum Download: www.gesundheitberlin.de

Info_Dienst: Sie haben sich mit gesundheitlichen Folgen sowohl der beruflichen Tätigkeiten als auch der Erwerbslosigkeit beschäftigt. Könnte man sagen: Arbeit zu haben erhält gesund, Arbeitslosigkeit macht krank?
Prof. Peter Richter
: Die Parole „Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit“ ist so nicht haltbar. Flexible Arbeitsformen sind kennzeichnend für den Übergang von der standardisierten Massenarbeit des Fordismus in eine post-industrielle Gesellschaft. Ohne „sozialen Geleitschutz“ kann dieser unaufhaltsame Prozess zu gefährlichen gesellschaftlichen Erosionen führen.
Die ständige Verbesserung der Produktangebote, die schnelle Anpassung der Produktion und der Dienstleistungen an Marktanforderungen und Standortverlagerung zur Gewinnmaximierung tragen in sich die Gefahr, dass Arbeit für immer mehr Menschen prekär wird. Diese „Balkanisierung der Arbeitsverhältnisse“ (Castel 2000) wird in einer immer stärker werdenden Zerstückelung der Arbeitsformen in Leiharbeit, Kurzarbeitarbeit, Praktikantentätigkeiten, Vertreter-Jobs, Arbeit auf Abruf deutlich. Dauerhaft angestellt in Vollzeitarbeit  sind inzwischen nur noch 66 Prozent des Deutschen. 1989 waren es noch 72,6 Prozent. Atypische Arbeitsformen haben um 2,5 Millionen auf 7,7 Millionen zugenommen. Prekäre Arbeit ist nicht nur durch geringe Bezahlung, sondern vor allem auch durch Vorläufigkeit und Unplanbarkeit der Beschäftigung gekennzeichnet. Diese „Kultur der Ungewissheit“ ängstigt, macht depressiv, führt zu Resignation und Motivationsverlusten. Das sind alles Gesundheitseinschränkungen, wie sie als typisch für Langzeitarbeitslose angesehen werden. Diese Gesundheitsrisiken treffen auch auf die so genannten „Surviver“ von downsizing-Maßnahmen zu, also diejenigen, die vielleicht von der nächsten Personalreduzierung betroffen werden.
Aber auch Mängel in den Arbeitinhalten machen krank. In internationalen Standards ist daher festgeschrieben, welche Merkmale humaner Arbeit anzustreben sind: Sinnhaftigkeit und Durchschaubarkeit der Aufgaben, Ganzheitlichkeit, ausreichende Rückmeldungen, Handlungsspielräume und Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten. Diese Gestaltungsmerkmale gelten nicht nur für die Erwerbsarbeit, sondern ebenso für Arbeitsgelegenheiten nach Hartz IV und ehrenamtliche Tätigkeiten. Gut gestaltete Einfacharbeit kann ein wirkungsvolles „Trampolin“ sein, um Arbeitslose wieder zu befähigen, dauerhaft und kompetent Erwerbsarbeit nachzugehen. Ein Projekt an der Technischen Universität Dresden berät Anbieter/innen von Arbeits- gelegenheiten erfolgreich in deren Gestaltung.

Info_Dienst: Welches sind die zentralen Charakteristika der Erwerbslosigkeit, die die Gesundheit beeinträchtigen, und wen treffen sie am stärksten?
Prof. Peter Richter:
Seelische Gesundheit ist vor allem erkennbar an Selbstwirksamkeit (Vertrauen, sein Leben selbst bewältigen zu können), Selbstorganisation der Lebensführung und ein positives Selbstwert- Gefühl. Diese Merkmale sind gerade bei Langzeitarbeitslosen empfindlich geschwächt in einer Zeit, die von „Arbeitskraftunternehmern“ (Ponkratz & Voss) Selbstvermarktung und Unabhängigkeit erwartet. Der Verlust an Einbindung in soziale Kollektive, die einer anerkannten Arbeit nach-gehen, das Fehlen von Rückmeldungen über die erbrachten Leistungen schwächen besonders bei Jugendlichen, älteren Menschen und auch Alleinerziehenden das Selbstvertrauen und führen häufig zum sozialen Rückzug auch im privaten Lebens-bereich. Dem entgegen zu wirken, ist eine wichtige Aufgabe der Projekte „Gesunder Kiez“. Besonders betroffen sind die Kinder von Erwerbslosen. Nicht nur das Armutsrisiko ist dramatisch erhöht, wir finden auch einen Teufelskreis der „sozialen Vererbung“ der Hilflosigkeit und Verunsicherung der Eltern bei ihren Kindern. Schulversagen, erhöhte Aggressivität und Motivationsmängel, aber auch erhöhte körperliche Erkrankungsanfälligkeit sind häufig zu beobachten.

Info_Dienst: Ist Ihnen ein Programm bekannt, das unter Beteiligung der Betroffenen deren Gesundheit nachhaltig verbessern konnte?
Prof. Peter Richter:
Unterstützung von Erwerbslosen wie auch Menschen in prekären Arbeitsgelegenheit und Mini-Jobs ist auf die Dauer nur erfolgreich, wenn sie partizipativ angelegt ist und von den wirklichen Problemsituationen der Betroffenen ausgeht. So musste unlängst die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg resigniert feststellen, dass die meisten Qualifizierungsprogramme (Bewerbungstraining, Ausbildung in PC-Kompetenzen) ohne nachhaltigen Erfolg für eine Wiederbeschäftigung bleiben, wenn sie nicht direkt an den Beschäftigungsplätzen ansetzen (Bildungsträgern, gemeinnützigen Organisationen, Stadtbezirken).
In den letzten Jahren sind in Deutschland eine Reihe von Pilotprojekten durchgeführt worden, die inzwischen evaluiert sind und in mehreren Bundesländern erfolgreich zur Gesundheitsförderung von Arbeitslosen eingesetzt werden. *
Projekte in den USA, Finnland und Großbritannien haben sich vorwiegend mit Interventionen bei Kurzzeit-Arbeitslosen beschäftigt, deutsche Projekte stärker mit Langzeitarbeitslosen. Das Projekt „AmigA - Arbeitsförderung mit gesundheitsbezogener Ausrichtung“ konnte selbst bei mehrfach erkrankten Arbeitslosen gute Effekte erzielen.
Das Projekt Job-Fit (www.ipg-uni-essen.de/index.php?id=63) der BKK hat wohl gegenwärtig die größte Verbreitung erfahren. Hierbei werden bewährte Angebote aus verhaltenstherapeutischen Übungen, Fitness- und Ernährungsprogrammen erfolgreich kombiniert. Speziell an arbeitslose Jugendliche wendet sich das Projekt „Bridges - Brücken in Arbeit“ (www.projekt-bridges.de). Ausgebildete Senior-Coaches begleiten Jugendliche bei ihrer Zielbildung, deren Umsetzungsstrategien und beraten sie bei Problemen. Nach 18 Monaten sind deutliche Verminderungen depressiver Verstimmungen und eine beachtliche Vermittlungsrate auf dem ersten Arbeitsmarkt mit 38,4 Prozent zu verzeichnen. Im Vergleich dazu erreichen Ein-Euro-Jobber nur eine Ver-mittlung von 7,5 Prozent.
Im Rahmen des Projektes „AktivA - Aktive Bewältigung von Arbeitslosigkeit“ (http://aktiva.wissensimpuls.de) sind inzwischen zahlreiche Multiplikator/innen ausgebildet worden, die bewährte kognitiv-behaviorale Techniken der Aktivitätenplanung, des kon-struktiven Denkens, des Erwerbs sozialer Kompetenz und sozialen Unterstützung und des systematischen Problemlösens in Gruppen und als Einzel-Coaching bei älteren Langzeitarbeitslosen trainieren und sie im weiteren Verlauf beraten. Gegenüber vergleichbaren Kontrollgruppen ohne dieses Training kommt es zu statistisch gesicherten Verbesserungen der körperlichen und seelischen Gesundheit und der Selbstwirksamkeit. Allerdings sind sechs Monate nach dem Training wieder Ein-schränkungen zu finden. Diese machen deutlich, dass alle diese verhaltenspräventiven Maßnahmen keine Dauerwirkung haben, jedoch sehr wirkungsvoll bei der Unterstützung der Bewältigung von Arbeitslosigkeit und der Integration in den ersten Arbeitsmarkt sind.
Die Ergebnisse des Projektes TAURIS (www.tauris-stiftung.de) zeigen, dass Merkmale „Guter Arbeit“ das Wohlbefinden der Langzeitarbeitslosen, die in gemeinnützigen Tätigkeiten in Sachsen eingebunden werden, merklich verbessern. Begleitende Beratungen der Aufgabenanbieter/innen im Rahmen eines BMBF-Projektes an der TU Dresden zeigen, dass diese Gesundheitsförderlichen Aufgabenmerkmale gut zu vermitteln sind.

Info_Dienst: Das allgemeine Augenmerk auf die Gesundheitsförderung bei Erwerbslosen nimmt derzeit deutlich zu. Die Bundesagentur für Arbeit hat dies mit ihrem Beitritt zum Kooperationsverbund dokumentiert. Wie können Akteurs-Netzwerke, die nun an vielen Orten entstehen, für die Gesundheit und berufliche Wiedereingliederung der Erwerbslosen tatsächlich nützlich sein?
Prof. Peter Richter:
Entscheidend für einen nachhaltigen Erfolg ist die Vernetzung der einzelnen Aktivitäten. Hierfür liegt bereits mit der Kooperationsvernetzung „Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten“ (www.gesundheitliche-chancengleichheit.de) eine geeignete Organisationsform vor. Ebenso wie bei den Organisationsformen „Gesunder Kiez“ kommt es auf die partizipative Einbeziehung der Betroffenen an. Dass das jedoch nicht nur die Erwerbslosen sein sollten, haben die Ausführungen zu den Gesundheitsrisiken der prekär Beschäftigten und vor allem deren Familien in den Wohnquartieren gezeigt.
In Sachsen sind seit einigen Jahren staatliche Gesundheitsziele etabliert (www.gesunde.sachsen.de). Dazu zählt auch das Ziel „Gesundheit von Arbeitslosen“. Im Rahmen regelmäßiger Workshops ist es zu einer sehr erfolgreichen Vernetzung von kommunalen Einrichtungen, Wissenschaftler/innen, medizinischen Einrichtungen und dem Sozialministerium gekommen. Dadurch ist eine breite Information über Ziele der Gesundheitsförderung, zu einem Erfahrungsaustausch und zu einer Nach-nutzung des AktivA-Programms durch kommunale und ehrenamtliche Träger entstanden. Der gesellschaftliche Erfolg dieser Netzwerke hängt entscheidend davon ab, wie es gelingt, in den Köpfen der arbeitsmarktpolitisch Verantwortlichen zu ver-ankern, dass bereits die Gesundherhaltung von Arbeitslosen ein eigenständiges Ziel darstellt! Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit erfolgreicher Vermittlung auf dem ersten Arbeitsmarkt - bei entsprechenden realistischen Angeboten - nachhaltig erhöht.

Das Interview führte Stefan Bräunling.

* Ein Überblick ist zu finden in: Katrin Rothländer und Peter Richter: Gesund und mittendrin trotz
Erwerbslosigkeit? Arbeitspapier Nr. 6 , Hrsg. Friedrich-Ebert-Stiftung, 2009. Als PDF-Datei hier verfügbar.

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