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19.04.2021

"Der ÖGD wird bunter sein"

Diskussion zur Umsetzung des Paktes für den ÖGD

Stefan Bräunling, Gesundheit Berlin-Brandenburg

Schlagwörter:integrierte Strategien, Satellitenveranstaltung, Öffentlicher Gesundheitsdienst

„ÖGD trifft Public Health. Herausforderungen für die Zeit nach Corona“ war Titel und Thema der diesjährigen Satellitenveranstaltung zum Kongress Armut und Gesundheit, die am 15. März 2021 digital stattfand. Die Veranstaltung wurde von der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) und Gesundheit Berlin-Brandenburg in Kooperation mit der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen, der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und dem Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit ausgerichtet.
Zum Abschluss der Veranstaltung erörterten Expert*innen aus Politik und Praxis in der Podiumsdiskussion, wie die Mittel aus dem Pakt für den ÖGD genutzt werden können, um den ÖGD nicht nur als Pandemiebekämpfer, sondern auch als kommunalen Akteur für die Bekämpfung von gesundheitlicher Ungleichheit nachhaltig aufzustellen. Die 90-minütige Diskussion wurde von Karin Geffert, Ludwig-Maximilians-Universität München und Zukunftsforum Public Health, und Frank Naundorf, Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf, moderiert und von etwa 190 Kolleg*innen an den Bildschirmen verfolgt.
Im Pakt sind Ausgaben von vier Milliarden Euro von 2021 an über die kommenden fünf Jahre vorgesehen. Dr. Hans-Ulrich Holtherm, Leiter der Abteilung „Gesundheitsschutz, Gesundheitssicherheit und Nachhaltigkeit“ im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nannte dies einleitend ein “historisches Ereignis für den ÖGD in Deutschland”. Dieser habe in der Vergangenheit nicht den Stellenwert gehabt, den er verdient, besonders in Hinblick auf kommunale Gesundheitsförderung, Prävention und den Zugang für vulnerable Zielgruppen. Diese außerordentlich positive Einordnung des Gesamtvorhabens wurde in den weiteren Ausführungen von allen Diskutierenden geteilt - wenn auch kritische Anmerkungen in Bezug auf Umsetzungsfragen und die Nachhaltigkeit erfolgten.

Der ÖGD in Forschung und Lehre
Übereinstimmend wurden große Bedarfe gesehen, den ÖGD stärker in Forschung und Lehre zu verankern.
Dr. Gottfried Roller, Leiter des Landesgesundheitsamtes Baden-Württemberg, brachte eine ganze Reihe möglicher Schritte hierzu ein Diese betreffen zum einen den Bereich der Medizin: Zukünftige Mediziner*innen sollten schon in ihrem Studium die vielfältigen Aufgaben und die moderierende, begleitende und aktivierende Rolle des ÖGD kennen lernen. Das Praktische Jahr sollte im ÖGD durchgeführt werden können. Es ging bei seinen Vorstellungen aber auch weit über die Disziplin der Medizin hinaus: Die Arbeit des ÖGD sollte intensiver wissenschaftlich begleitet werden, an Universitäten sollten „Zentren für Öffentliches Gesundheitswesen“ mit eigenen Lehrstühlen entstehen. Einiges davon sei bereits in Vorbereitung. Anne Janz, Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration, ergänzte diese Schritte um die Idee, Studienplätze für Bewerber*innen freizuhalten, die sich zur späteren Mitarbeit im ÖGD verpflichten.

Stellenwert von Public Health im ÖGD
Angesichts der großen Bedarfe im Bereich der nichtmedizinischen Prävention und Gesundheitsförderung - und nicht zuletzt angesichts der 75 % Nicht-Mediziner*innen unter den Beschäftigten des ÖGD - betonten alle Diskutierenden, im Pakt für den ÖGD dürften diese Bereiche nicht übersehen werden. Frau Janz fasste wichtige Aufgabenbereiche unter die Begrifflichkeit „die proaktive Rolle des ÖGD“ und nannte beispielhaft dafür aus ihren langjährigen Erfahrungen als Stadträtin für Gesundheit in Kassel: eine gute Gesundheitsberichterstattung, die Schuleingangsuntersuchungen, Koordinierung von „Präventionsketten“ und die Zusammenarbeit mit dem Ressort Stadtentwicklung.
Die an der Diskussion beteiligten Kollegen aus kommunalen Gesundheitsämtern griffen dies auf. „ÖGD ist mehr als Impfschutz“, es sei die Verantwortung für gesunde Viertel und gesunde Städte, so Dr. Johannes Nießen, Leiter des Gesundheitsamtes der Stadt Köln und Vertreter des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD). „Gesundheit betrifft alle Bereiche“, erläuterte Jeffrey Butler, Bezirksamt Berlin-Mitte und Vertreter der DGSMP, seine Vision einer ressortübergreifenden Präventionsberichterstattung.
Der Vertreter des BMG erweiterte den Blickwinkel zu diesem Thema noch: Der ÖGD müsse ein Baustein sein, sich für die krisenhaften globalen Herausforderungen der Zukunft aufzustellen. „Global Health und One Health werden die Agenda der Politik der nächsten Jahre und Jahrzehnte bestimmen”, so Dr. Holtherm.

Von Ideen zur verbindlichen Umsetzung des Paktes für den ÖGD
Der Pakt für den ÖGD ist beschlossen. Allein in diesem Jahr können in diesem Rahmen 1500 zusätzliche Stellen besetzt werden, 800 Millionen Euro unter dem Oberbegriff „Modernisierung“ für die ÖGD ausgegeben werden. Gleichwohl gibt es an einigen Punkten erhebliche Unsicherheiten, die in der Diskussion zur Sprache kamen.
Eine breit anerkannte Beschreibung des ÖGD der Zukunft, in dem auch das Feld Public Health einen zentralen Platz hat, liefert das Leitbild „Der ÖGD: Public Health vor Ort“, das durch die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) 2018 zur Anwendung empfohlen wurde. Herr Dr. Holtherm betonte, dass dieses Leitbild als ein „Bezugsdokument“ benannt wurde, die Umsetzung des Paktes für den ÖGD werde also nicht an dieser Grundlage vorbei gehen können.
Auch der Beirat zur Umsetzung des Paktes, der Ende Dezember letzten Jahres durch die GMK beschlossen wurde, gilt als ein Garant für eine fachlich fundierte und verbindliche Umsetzung des Paktes. Mitglieder dieses Beirates sind unter anderem Expert*innen der BZgA, der Deutschen Gesellschaft für Public Health (DGPH), des Gesunde Städte-Netzwerks sowie weitere Vertretungen der Kommunen.
Miriam Elsaeßer, Referentin im Deutschen Landkreistag, schaltete sich aus dem Publikum mit einer deutlichen Forderung in die Diskussion ein: „Es ist vor allem notwendig, dass die finanzielle Sicherung auch nach Ablauf des Paktes geregelt wird. (…) Diese Gespräche können nicht erst in ein paar Jahren geführt werden.“
Verbindlichkeit über die Laufzeit des Paktes hinaus entsteht, so erläuterten Frau Janz und Herr Dr. Holtherm, wenn die Landes-Gesundheitsdienstgesetze nun überprüft und angepasst werden. (Frau Janz konnte dies guten Gewissens in den Raum stellen, da in Hessen bereits daran gearbeitet werde.)
Die Diskutierenden auf dem Online-Podium drückten einmütig ihr Vertrauen in den politischen Prozess aus, der nun bevorsteht. „Die heutige Veranstaltung ist ein guter Auftakt“, so Jeffrey Butler. „Dies ist ein gutes Jahr für Politik“, bekräftigte auch Anne Janz. Man wolle „gemeinsam anpacken!“ (Dr. Johannes Nießen) „Bringen Sie Ihre Bedürfnisse argumentativ ein und setzen sie durch”, so der Rat von Dr. Hans-Ulrich Holtherm in die Runde.

Ausblick: Der ÖGD in der Zukunft
Wenn das gelinge, werde der ÖGD in ein paar Jahren einer der attraktivsten Arbeitgeber sein, so Herr Dr. Roller. Er leiste schon jetzt eine sinnstiftende Arbeit und werde darin dann auch gut funktionieren, nachhaltig wirken und als kompetent und innovativ anerkannt werden. Junge Kolleg*innen werden Lust haben, daran mitzuarbeiten (Herr Dr. Nießen).
Die zusammenfassenden Statements machten deutlich: Eine Weiterentwicklung des ÖGD in Richtung Public Health wird eine Weiterentwicklung in Richtung „Health in All Policies“ bedeuten.
Der ÖGD wird dann fachlich breiter aufgestellt sein („Viele Berufsgruppen wurden vernachlässigt“, erinnerte Frau Janz). Gesundheit wird als ein Querschnittsthema etabliert sein, mit dem Gesundheitsamt „in der Mitte der Kommunalpolitik“ (Herr Dr. Holtherm). Der ÖGD wird die Rolle als „Sachwalter der Gesundheit der Bevölkerung“ für alle sichtbar ausfüllen, so Frau Janz. Dies wird mit einer breiten Datenbasis und einer über die Ressorts hinweg abgestimmten Planung und Steuerung gelingen, wie Herr Butler konkretisierte. Herr Dr. Roller sieht den ÖGD der Zukunft als “Dreh und Angelpunkt“ im Gesundheitsbereich, der eine wichtige Koordinierungs- und Steuerungsfunktion hat.
„Der ÖGD wird bunter sein.“ Mit diesen Worten fasste Jeffrey Butler die Vision dieser Diskussionsrunde zusammen, die die Lehren aus der derzeitigen Pandemiesituation aufgriff und weit darüber hinausblickte.

Die Dokumentation der ganzen Satellitenveranstaltung am 15.3.2021 finden Sie unter https://www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/satellit-armut-gesundheit/satellit-2021.

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