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Logo vom Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit und Site-Slogan: Aktiv für Gesundheit und Chancengleichheit (Link zur Startseite)

Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit

Gesundheitliche Chancengleichheit in Deutschland verbessern und die Gesundheitsförderung bei sozial benachteiligten Gruppen unterstützen - das sind die Leitziele des bundesweiten Kooperationsverbundes. Dem von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) initiierten Verbund gehören 75 Organisationen an. Der Verbund fördert vorrangig die Qualitätsentwicklung in der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung und die ressortübergreifende Zusammenarbeit. Die zentrale Aktivität der Koordinierungsstellen in den Bundesländern ist die Begleitung kommunaler Prozesse, insbesondere über den Partnerprozess "Gesundheit für alle".

Wer durch Ar­mut oder an­de­re schwierige Lebens­um­stän­de benachteiligt ist, hat in Deutsch­land ein dop­pelt so hohes Erkrankungs­risiko und ei­ne um bis zu zehn Jahre geringere Lebens­erwartung als Men­schen aus bes­ser gestellten Bevölkerungs­schichten. Ins­be­son­de­re so­zi­al benach­teiligte Kinder und Jugend­liche sind stärkeren gesund­heitlichen Be­lastungen aus­ge­setzt, wie der Kinder- und Jugend­gesundheits­survey (KiGGS) be­legt. Die schicht­abhängigen Unter­schiede be­tref­fen nach­weislich den Gesundheits­zustand, das Ge­sund­heits­ver­hal­ten und die In­an­spruch­nah­me von Vorsorge­untersuchungen.

Hintergründe, Daten und Materialien

Der Kooperationsverbund und seine Aktivitäten. Ein Selbstdarstellungsvideo von 2012, 11:30 Minuten lang

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Artikel

21.04.2020

Wohnungslosigkeit und Gesundheit

Sabine Bösing, Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V.

Schlagwörter:Gesundheitsförderung, Niedrigschwellige Arbeitsweise, Wohnungslose

Woh­nungslos sind nach der De­fi­ni­ti­on der Bundesarbeitsgemeinschaft Woh­nungslosenhilfe e. V. (BAG W) al­le Menschen, die über kei­nen mietvertraglich abgesicherten Wohn­raum verfügen. Obdachlos sind diejenigen un­ter ih­nen, die oh­ne jede Un­ter­kunft auf der Stra­ße oder im öffentlichen Raum le­ben bzw. in Notun­terkünften über­nach­ten. Die BAG W arbeitet mit dem Be­griff Menschen in Woh­nungsnotfallsituationen, der nicht nur ak­tu­ell von Woh­nungslosigkeit betroffene Menschen, son­dern da­rü­ber hinaus auch un­mit­tel­bar von Woh­nungslosigkeit bedrohte Menschen und Menschen in unzumutbaren Wohnverhältnissen mit einschließt.

Ar­ti­kel 25 Ab­satz 15 der Allgemei­nen Er­klä­rung der Menschenrechte macht den An­spruch auf ein soziales Existenzminium und ein Leben in Si­cher­heit geltend. Ein angemessener Le­bens­stan­dard wird dort an Bereichen wie Ge­sund­heit und Wohl­be­fin­den ein­schließ­lich Nah­rung, Klei­dung, menschenwürdiger Woh­nung, medizinischer Be­treu­ung und der notwendigen Leis­tung­en der sozialen Für­sor­ge festgemacht. Im UN-Sozialpakt so­wie in vielen anderen recht­lich bindenden internationalen Verträgen ist das Recht auf soziale Si­cher­heit festgehalten. Durch den Eu­ro­pa­rat und die Europäische Menschenrechtskonvention so­wie die Europäische Sozialcharta wer­den Schlüsselmomente von Ar­mut wie Zu­gang zu angemessenem und bezahlbarem Wohn­raum so­wie Ab­bau von Ob­dach­lo­sig­keit, erreichbare und funktionierende Ge­sund­heitseinrichtungen für die gesamte Be­völ­ke­rung, ein­schließ­lich der Vorbeugung ge­gen Krank­heit­en, das Recht auf soziale Si­cher­heit, So­zi­al­leis­tun­gen, das Recht auf Schutz vor Ar­mut und sozialer Aus­gren­zung angesprochen.

In Deutsch­land steigt die Ar­mutsrisikoquote an. Bisher gibt es kei­ne bundeseinheitliche, geschlechterdifferenzierte Woh­nungslosenstatistik, aber Schät­zung­en der BAG W gingen 2018 von ins­ge­samt 678.000 wohnungslosen Menschen aus. Die Zahl der wohnungslosen anerkannten Geflüchteten schätzt die BAG W auf ca. 441.000 Menschen. Die wohnungslosen Menschen oh­ne Einbezug wohnungsloser anerkannter Geflüchteter lag bei gut 237.000. 41.000 da­run­ter waren ob­dach­los. Der An­teil der al­leinstehenden wohnungslosen Menschen wird auf 70% geschätzt, der der Kinder und minderjährigen Ju­gend­li­chen auf 8% und der der erwachsenen Frauen auf 27%. Unter den Menschen, die oh­ne jede Un­ter­kunft auf der Stra­ße le­ben sind ins­be­son­de­re in den Me­tro­po­len bis zu ca. 50 % EU-Bür­gerinnen und Bür­ger. Sie ma­chen ei­nen An­teil von ca. 17% al­ler wohnungslosen Menschen in Deutsch­land aus.

Woh­nungs- und ob­dach­lose Menschen sind ei­ne heterogene Grup­pe. Viele kön­nen auf Grund von strukturellen Barrieren der Ge­sund­heitsgesetzgebung und des medizinischen Regelsystems so­wie le­benslagenbedingten Zu­gangsbarrieren die An­ge­bo­te der medizinischen Regelversorgung nicht in An­spruch neh­men. Sie sind des­we­gen auf die niedrigschwelligen medizinischen Versorgungsangebote an­ge­wie­sen, die durch verschiedene freie Träger und Kir­chen gestellt, oft nicht gesichert finanziert und auf Eh­ren­amt gestützt sind.

Nach dem statistischen Bun­des­amt hatten 2015 80.000 Menschen in Deutsch­land kei­nen Krankenversicherungsschutz und da­durch kei­nen oder ei­nen unzureichenden Zu­gang zu medizinischer Hilfe. Nichtregierungsorganisationen wie Ärzte der Welt und zivilgesellschaftliche Ein­rich­tung­en der frei­en medizinischen Versorgung ge­hen von weit mehr nichtversicherten Menschen aus. Menschen aus den neuen EU-Mitgliedsländern, die seit 2017 - wenn sie ar­beits­su­chend sind und seit weniger als fünf Jahren in Deutsch­land le­ben - von Leis­tung­en nach SGB II und XII und da­mit auch von medizinischer Versorgung aus­ge­schlos­sen sind und wohnungslose Menschen ge­hö­ren zu die­ser Grup­pe.

Auf dem Kon­gress Ar­mut und Ge­sund­heit wird in jedem Jahr das The­ma Wohnungslosigkeit thematisiert. Dass 2019 fünf eigene Ver­an­stal­tung­en ei­nen Fo­kus auf die Versorgung von wohnungslosen Menschen legten, zeigt, wie drängend sich die­ses Problem gestaltet.
Zur Si­cher­stel­lung ei­ner angemessenen und kontinuierlichen medizinischen Versorgung von Menschen in ei­ner Woh­nungs­notfallsituation fordert die BAG W:

  • die Be­hand­lung von Menschen oh­ne Hinterfragung ihres rechtlichen Status‘
  • ei­ne Um­steu­e­rung der Ge­sund­heitspolitik, die die besonderen Bedarfslagen von Menschen in Woh­nungs­not und Ar­mut berücksichtigt
  • ei­ne nachhaltige Fi­nan­zie­rung der medizinischen Versorgungsprojekte durch ei­nen gemeinsamen Fond der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Gesetzlichen Kran­ken­ver­si­che­rung (GKV) und der öffentlichen Hand
  • ei­nen Härtefallfond der KBV, GKV und öffentlichen Hand für die Notfallversorgung nicht-versicherter Personen
  • ei­ne flächendeckende Absicherung der medizinisch-pflegerischen Be­hand­lung wohnungsloser Menschen
  • die medizinisch-pflegerische Be­hand­lung wohnungsloser Menschen nach anerkannten Me­tho­den, Leit­li­nien und Hygienestandards
  • dass besonderen Bedürfnissen von Personen in Mehrfach-Problemlagen Rech­nung ge­tra­gen wer­den muss
  • so­wie Clearingstellen, Sprachmittlung und Schaf­fung neuer An­ge­bo­te für nicht krankenversicherte schwangere Frauen und für Kinder

Darüber hinaus be­ste­hen For­de­rung­en der AG Medizinische Versorgung des bun­des­wei­ten Zusammenschlusses wohnungsloser und ehe­mals wohnungsloser Menschen, der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen, die u. a. folgendes be­in­hal­ten:

  • keine Be­hand­lungsunterschiede zwi­schen wohnungslosen und nicht wohnungslosen Menschen
  • mehr mobile Angebote
  • eine gesicherte Fi­nan­zie­rung der niedrigschwelligen medizinischen Angebote
  • die Mög­lich­keit einer vollständigen Ge­ne­sung im Krankenhaus
  • die Be­hand­lung chronischer und psychischer Er­kran­kung­en

Auch im Handlungsfeld rund um die Wohnungslosigkeit von Menschen zeigt sich ein demografischer Wan­del.  Die Po­pu­la­ti­on der wohnungslosen Menschen verändert sich. Sie wird älter, es gibt mehr Frauen und der An­teil der Menschen, deren aufenthaltsrechtliche Si­tu­a­ti­on einen schlechten oder keinen Zu­gang zur medizinischen Regelversorgung be­dingt, nimmt zu. Daraus re­sul­tie­ren spezifische ge­sund­heit­liche Bedarfsbereiche, wie zum Bei­spiel Zahngesundheit, psychische Ge­sund­heit, Kindergesundheit, Frauengesundheit, Pfle­ge und Hospiz.

Von dem primären Ziel, allen wohnungslosen Menschen einen barrierefreien Zu­gang zur Regelversorgung zu er­mög­li­chen, ist man noch weit ent­fernt. Ein Groß­teil der Versorgung erfolgt wei­ter­hin durch die niedrigschwelligen und akzeptierenden An­ge­bo­te. Die Wich­tig­keit die­ser An­ge­bo­te als Teil der Versorgungslandschaft und als Brücke zur Regelversorgung rü­cken im­mer mehr in den Fo­kus. Stationäre An­ge­bo­te und Krankenwohnungen wurden als good practice Bei­spiele (Ansätze mit Vorzeigecharakter) ge­nannt, da sie die Mög­lich­keit schaffen, zu­nächst einmal die Grundbedürfnisse (Hygiene, Er­näh­rung, Un­ter­kunft) zu er­fül­len, um da­rauf aufbauend auch die ge­sund­heit­liche Si­tu­a­ti­on zu verbessern.

Auch in diesem Jahr 2020 sollte das The­ma auf dem Kon­gress Ar­mut und Ge­sund­heit in verschiedenen Programmpunkten Ein­zug fin­den. Leider musste der Kon­gress auf­grund der ak­tu­ellen Aus­brei­tung von COVID-19 zu­nächst ab­ge­sagt wer­den. Die ak­tu­elle Si­tu­a­ti­on im Zu­sam­men­hang mit der Corona-Pandemie zeigt ins­be­son­de­re auch für wohnungslose Menschen dringenden Handlungsbedarf, da sie häufiger un­ter be­reits bestehenden Mehrfacherkrankungen leiden und keine Chan­ce haben, soziale Kontakte zu re­du­zie­ren und Schutz durch den Rückzug in die eigene Woh­nung zu fin­den. Daher fordert die BAG W ak­tu­ell, Zwangs­räu­mung­en von Wohn­raum auszusetzen, Kapazitäten in Notun­terkünften auszuweiten, Ersatzwohnraum zu be­schaf­fen so­wie Schutzmaßnahmen für Woh­nungslose zu tref­fen.

Weitere Informationen zu der ak­tu­ellen Si­tu­a­ti­on von wohnungslosen Menschen fin­den Sie auf der Website der BAG W.

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