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09.12.2022

Neuzugewanderte Frauen mithilfe digitaler Angebote besser erreichen, informieren und beraten

Anne Berger, Minor-Projektkontor
Ildikó Pallmann, Minor-Projektkontor für Bildung und Forschung

Digitale Medien stellen für Neuzugewanderte eine der wichtigsten Quellen für soziale Kontakte sowie für die Suche nach Informationen zu diversen Themen dar (u. a. Pfeffer-Hoffmann et al. 2016; Stapf & Elcheikh 2018; Vogel & Stapf 2021). Personen mit Migrationshintergrund nutzen soziale Medien hierfür deutlich häufiger als diejenigen ohne Migrationshintergrund (Tonassi & Wittlif 2021: 13). Wie Erkenntnisse aus bei Minor Projektkontor für Bildung und Forschung und La Red – Vernetzung und Integration angesiedelten Projekten der aufsuchenden digitalen Beratung1 zeigen, sind Frauen hierbei besonders aktiv. Anbieter*innen von Informationen und Beratung nutzen die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, bisher kaum. 

„In den meisten Fällen gibt es bei keiner offiziellen Stelle einen digitalen Dienst und der Einwanderer muss viel hin- und herlaufen, um Informationen zu erhalten. Oft kehren wir nach Hause zurück, ohne eine Antwort auf unsere Zweifel erhalten zu haben und ohne konkrete und zuverlässige Informationen über das weitere Vorgehen.“2 

Digital Active Women: ein Projekt mit partizipativem Ansatz 

Diese Situation zu verbessern und damit die gesellschaftliche Teilhabe neuzugewanderter Frauen zu stärken, ist das Ziel des Citizen-Science3 -Projektes Digital Active Women. Neuzugewanderte Frauen sind hier als Co-Forscherinnen tätig und entwickeln als Expertinnen ihrer eigenen Lebenssituation gemeinsam mit dem Minor-Projektteam Empfehlungen undModelle für passgenaue digitale Beratungs- und Informationsangebote für neuzugewanderte Frauen. Im Fokus stehen Angebote von Kommunen, Migrations- und Sozialberatungsstellen sowie Migrant*innenselbstorganisationen, u. a. zu den Themen Bildung, Gesundheit, Arbeit sowie politische und zivilgesellschaftliche Teilhabe. 

Um diesbezügliche Bedarfe und Erfahrungen zu erheben, führten die Co-Forscherinnen im Rahmen des Projektes eine Online-Umfrage unter neuzugewanderten Frauen aus 21 verschiedenen Herkunftsländern durch. Die Ergebnisse der Befragung wurden im Juli 2022 veröffentlicht und werden im Folgenden kurz zusammengefasst. 

Digitale Informationen und Beratung: Bedarfe und Erfahrungen neuzugewanderter Frauen  

Neben persönlichen Kontakten spielen digitale (soziale) Medien für neuzugewanderte Frauen eine zentrale Rolle bei der Suche nach Informationsangeboten rund um das Thema Leben und Arbeiten in Deutschland. Die Unterstützungsangebote von Kommunen, Beratungsstellungen und weiteren Akteuren werden hierfür deutlich weniger in Anspruch genommen (s. Abb. 1). 

Abbildung 1: Wege der Informationssuche - Antwort auf die Frage: „Wie suchen Sie Informationen zum Leben und Arbeiten in Deutschland?“. n = 511 (Mehrfachauswahl möglich). Stand Dezember 2021. © Minor 

 

Aufgrund des niedrigschwelligen Zugangs nutzen die Frauen vor allem Foren und Gruppen in ihrer jeweiligen Herkunftssprache, in denen u. a. Erfahrungen ausgetauscht und Informationen weitergegeben werden. Eine besonders wichtige Rolle, aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten zur Vernetzung und der hohen Reichweite, spielt Facebook (s. Abb. 2). 

 

Abbildung 2: Soziale Medien Nutzung - Antwort auf die Frage: „Welche Online-Plattformen nutzen Sie am meisten, um Informationen zum Leben und Arbeiten in Deutschland zu finden?“. n = 511 (Mehrfachauswahl möglich). Stand Dezember 2021. © Minor 

 

Die befragten Frauen suchen online Informationen zu diversen Themen, wobei neben Kultur/Freizeit, Arbeit, Deutschkurse und Wohnen das Thema Gesundheit eine wichtige Rolle spielt (s. Abb. 3). Der Schwierigkeitsgrad, die passenden Informationen zu finden, wurde unterschiedlich hoch eingeschätzt. Das Thema Gesundheit schnitt hier, neben Kultur/Freizeit und Deutschkursen, am besten ab: fast die Hälfte der Befragten gab an, die hierzu benötigten Informationen einfach gefunden zu haben. 

 

Abbildung 3: Themen der Online-Suche - Antwort auf die Frage: „Wenn Sie online nach Informationen suchen, zu welchen Themen suchen Sie?“. n = 511 (Mehrfachauswahl möglich). Stand Dezember 2021. © Minor 

 

Schwierigkeiten bei der Suche nach digitalen Informationen 

Doch nicht immer gestaltet sich die Suche so einfach. Dies liegt aus Sicht der Befragten vor allem daran, dass die Angebote häufig nicht bedarfsgerecht aufbereitet, sondern unübersichtlich, schwer auffindbar, kompliziert formuliert und nur teilweise übersetzt sind. Das führt dazu, dass die Suche viel Zeit in Anspruch nimmt und wichtige Fragen nur unzureichend beantwortet werden können. Zudem ist oft nicht ersichtlich, wie vertrauenswürdig die jeweilige Informationsquelle ist.  

„Im digitalen Umfeld ist der Weitergabe von Informationen schwer zu trauen. Ein Anwalt, der behauptet, Ihren Fall zu verstehen, möchte dies möglicherweise einfach ausnutzen […]. Bei Einwanderungsproblemen sind wir verwundbar, wir brauchen Hilfe und wir können uns immer noch täuschen lassen. Es gibt keinen zuverlässigen Support.“ 

Gesellschaftliche Integrations- und Teilhabeprozesse werden dadurch deutlich erschwert und verlangsamt. Die befragten Frauen empfinden diese Situation als unbefriedigend und wünschen sich mehr und passgenauere digitale Angebote.  

 

Kriterien für gute digitale Informations- und Beratungsangebote 

Hierfür benannten sie im Rahmen der Befragung konkrete Kriterien. So ist ihnen besonders wichtig, dass die Informationen einfach und verständlich formuliert und gut auffindbar sind, auch wenn sie in einer anderen Sprache als Deutsch danach suchen. Positiv bewerten die befragten Frauen die Möglichkeit, bei noch offenen Fragen Kontakt aufnehmen zu können und zeitnah eine hilfreiche Rückmeldung seitens der Berater*innen zu erhalten. Bezüglich der Formate, in denen sie sich digitale Information und Beratung wünschen, gibt knapp die Hälfte der Befragten an, Erklärvideos, gut strukturierte Webseiten und E-Mails zu bevorzugen. Zudem wünschen sie sich mehr Angebote über soziale Medien sowie per Chat bzw. Videokonferenz (s. Abb. 4). 

 

Abbildung 4: Digitale Wunschformate - Antwort auf die Frage: „In welchen digitalen Formaten möchten Sie mehr Informations- und Beratungsangebote erhalten?“. n = 511 (Mehrfachauswahl möglich). Stand Dezember 2021. © Minor 

Was ergibt sich daraus für die Akteur*innen im Bereich der Gesundheitsförderung? 

Für Anbieter*innen von Informationen und Beratung insgesamt sowie speziell im Bereich der Gesundheitsförderung ergeben sich aus den Ergebnissen der Befragung interessante Hinweise hinsichtlich einer Anpassung, Erweiterung bzw. Verbesserung ihrer digitalen Angebote. So wird deutlich, dass ein differenzierter Blick auf die jeweilige Zielgruppe und deren Nutzungsverhalten sowohl bzgl. der verwendeten Plattformen als auch der sich daraus ergebenden Bedarfe von zentraler Bedeutung ist. Zudem braucht es Flexibilität und Offenheit, um neue, innovative Methoden und Ansätze im Rahmen der Informations- und Beratungsarbeit auszuprobieren, weiterzuentwickeln und an die jeweiligen Bedarfe anzupassen. Eine entscheidende Rolle spielt hierbei die aktive Einbeziehung der Perspektive(n) der Zielgruppe, an die sich die Angebote richten. Soziale Medien bieten diesbezüglich interessante Einblicke in das Such- und Diskussionsverhalten der verschiedenen Gruppen und können somit einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Informations- und Beratungsangebote stärker an den tatsächlichen Bedarfen der Zielgruppe auszurichten und die Qualität und Verlässlichkeit der Informationen in digitalen Medien rund um das Thema Gesundheit weiter zu verbessern. 

 

Weitere Informationen zu dem Projekt Digital Active Women und zu der hier vorgestellten Publikation “Neuzugewanderte Frauen besser erreichen, informieren und beraten” finden Sie hier: https://minor-kontor.de/neuzugewanderte-frauen-besser-informieren-und-beraten-2/. 

Literaturverzeichnis 

Haklay, M. / Dörler, D. / Heigl, F. / Manzoni, M. / Hecker, S. / Vohland, K., 2021: What Is Citizen Science? The Challenges of Definition, S. 13-33 in: Vohland, K. et al., The Science of Citizen Science. Basel: Springer. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-030-58278-4_2 (14.07.2022)  

Pfeffer-Hoffmann, C. (Hrsg.), 2016: Fachkräftesicherung durch Integration zuwandernder Fachkräfte aus dem EU-Binnenmarkt. Berlin: Mensch und Buch Verlag. https://minor-kontor.de/wp-content/uploads/2018/04/Minor_NAMB_Fachkr%C3%A4ftesicherung-durch-Integration-zuwandernder-Fachkr%C3%A4fte-aus-dem-EU-Binnenmarkt_2016_WEb.pdf (13.07.2022). 

Stapf, T., 2019: Migration / Digital. Die Bedeutung der sozialen Medien für Ankommen, Orientierung und Teilhabe von Neuzugewanderten in Deutschland. Berlin: Mensch und Buch Verlag. https://minor-kontor.de/migration-digital/ (13.07.2022). 

Stapf, T. / Elcheikh, K., 2018: Das Informationsverhalten Geflüchteter in den sozialen Medien in Deutschland und wie Beratungsanbieter damit umgehen können. In: „Digital Streetwork“ in der Asyl- und Migrationsberatung. Beilage zum Asylmagazin, Berlin: Informationsverbund Asyl und Migration. S. 4–15. https://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/publikationen/Arbeitshilfen/2018_DigitalStreetwork_fin.pdf (13.07.2022).  

Tonassi, T. / Wittlif, A., 2021: Auf Empfang gestellt? Aktuelle Befunde zur Mediennutzung und zum Medienvertrauen der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. SVR-Policy Brief 2021-2, Berlin. 
https://www.svr-migration.de/publikationen/medienvertrauen/ (30.11.2021). 

Vogel, J. / Stapf, T., 2021: Reach Out and Organize vs. Corona. Projektzwischenbericht für das Jahr 2020. https://minor-kontor.de/reach-out-and-organise-vs-corona/ (05.07.2021). 

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