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07.09.2012

Bürger bewegen Bürger

Ein Fachgespräch zur nachbarschaftsorientierten Bewegungsförderung

Johannes G. Gostomzyk, Landeszentrale für Gesundheit in Bayern e.V.

Schlagwörter:Armut, Bewegungsförderung, Broschüre, Partizipation, Praxis, Prävention, Setting, Sozialraum

Bürger erhalten selten Gelegenheit, ihr Quartier selbst zu planen. Besteht die Möglichkeit dazu, dann wollen sie Wohnungen und Wohnumfeld für alle Altersgruppen gesundheitsförderlich gestalten. Dazu gehören insbesondere bewegungsfördernde Bedingungen für Kinder und für ältere Menschen.

Der Ackermannbogen in Mün­chen ist ein durch bürgerschaftliches En­ga­ge­ment entstandenes Quar­tier mit „le­bendiger und le­benswerter Nach­bar­schaft“. Nach mehrjähriger Planungsphase wurde 2003 von der Bür­ger­ini­ti­a­ti­ve ein ehemaliges Kasernenareal er­wor­ben, 2005 erfolgte der Erst­be­zug. Als Or­ga­ni­sa­tions­struk­turen wurden ein Verein und ei­ne Ge­nos­sen­schaft ge­grün­det. Auch ei­ne Pro­jekt­för­de­rung der Stadt Mün­chen wurde erreicht. Heute le­ben in diesem selbstverwalteten Mi­kro­kos­mos ca. 5.200 Be­woh­ner in rund 1.800 Woh­nung­en. Davon sind zwei Drittel Ge­nos­sen­schafts­woh­nun­gen und ein Drit­tel ge­för­der­te Woh­nung­en, So­zi­al­woh­nung­en oder Ei­gen­tums­woh­nung­en.

Wie be­wer­ten die Be­woh­ner die verwirklichten Be­din­gung­en für ih­re Ge­sund­heit, auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Bedürfnisse in den ver­schiedenen Lebensphasen? Welche innovativen Lö­sung­en er­wei­sen sich, ne­ben der medizinischen Versorgung, im All­tag älterer Men­schen als ge­sund­heits­för­der­lich, weil sie „kör­per­lich und so­zi­al be­we­gen“? Mit Be­woh­nern und Vertretern der Selbst­ver­wal­tung wur­den in einem Fach­ge­spräch wis­sen­schafts­ba­sier­te Über­le­gun­gen und praktische Er­fah­rung­en mit­ei­nan­der konfrontiert. Die Ver­an­stal­tung hatte das Ziel, Mög­lich­keit­en der Wei­ter­ent­wick­lung von Ge­sund­heits­för­de­rung und ge­sund­heits­be­zo­ge­ner  Prä­ven­ti­on in einem Quar­tier mit einem sys­te­ma­tisch ge­knüpf­ten Nach­bar­schafts­netz­werk zu prü­fen so­wie deren Über­trag­bar­keit mit an­de­ren Quar­tieren zu klä­ren.

Herausforderungen für die Gesundheitsförderung

Ge­sund­heits­för­de­rung hat sich in Wis­sen­schaft und Pra­xis drei großen gesell­schaft­li­chen He­raus­for­de­run­gen zu stel­len:

Die demografische Ent­wick­lung erfordert die Um­set­zung des Generationenvertrages un­ter sich ver­än­dern­den Be­din­gung­en. Bei steigendem An­teil älterer Menschen in der Be­völ­ke­rung ist das Mit­ein­ander der sich zah­len­mä­ßig un­ter­schied­lich entwickelnden Generationen und ihrer Bedarfe konfliktfrei zu ge­stal­ten. Das gilt so­wohl für die Alterssicherung und die medizinische Versorgung als auch für die Wohn­raum­planung und die Ge­stal­tung von Nach­bar­schaft.

Durch Gesundheitsförderung und Prävention sollen Lebensqualität, Gesundheit und Autonomie älterer Menschen möglichst lange erhalten bleiben. Der Zunahme chronischer Krankheiten in unser al­tern­den Gesellschaft soll so entgegengewirkt werden. Für den Erhalt körperlicher, seelischer sowie so­zia­ler Ge­sund­heit kommt, neben ausreichender Bewegung und Ernährung, sozialen Bedingungen und Be­find­lich­kei­ten die dominierende Rolle zu.

Die zunehmende soziale Un­gleich­heit in unserer Ge­sell­schaft verstärkt die Un­gleich­heit in der Ver­tei­lung von Ge­sund­heitschancen. Besonders häufig benachteiligt sind Allei­nerziehende, Kinder und ältere Menschen,  Menschen mit geringem Einkommen oder mit Migrationshintergrund. Dabei ist Ge­sund­heit in der umfassenden Sichtweise nicht nur das Freisein von Krank­heit und ei­ne gute me­di­zi­ni­sche Versorgung, son­dern auch die Be­fä­hi­gung zu ei­ner gesundheitsorientierten Le­bens­wei­se und zur Teil­ha­be an der Ge­sell­schaft. Ge­sund­heit entsteht dort, wo die Menschen spie­len, ler­nen, ar­bei­ten und lie­ben (WHO, Ottawa-Charta 1986).

Solidarität als konstitutives Element sozialer Befindlichkeit

So­li­da­ri­tät ist ein konstitutives Ele­ment für soziale Be­find­lich­keit. Sie ist da­mit auch Be­din­gung für ef­fek­tive Ge­sund­heits­för­de­rung im Quar­tier. Das Quar­tier ist ein So­zi­al­raum (Setting), in dem Kom­mu­ni­ka­ti­on und Selbst­hil­fe in­te­gra­tiv für al­le Be­woh­ner etabliert sein sollten. Soziale Be­find­lich­keit als ei­ne Be­din­gung für individuelle Ge­sund­heit wird we­sent­lich mitbestimmt von gelebter Nach­bar­schaft, Selbst­hil­fe und En­ga­ge­ment. Das geht über die gegenseitige Un­ter­stüt­zung bei Krank­heit oder Kri­se hinaus. Ge­lun­ge­ne Nach­bar­schaft kümmert sich um die Lebenswelt ein­schließ­lich sozialer Rah­men­be­din­gung­en (Verhältnisprävention) und ge­mein­schafts­wirk­sa­me individuelle Aktivitäten der Be­tei­lig­ten (Ver­hal­tens­prä­ven­tion). Sie initiiert und unterstützt da­bei auch ei­nen bewegungsaktiven Le­bens­stil al­ler Be­woh­ner. Sie schafft Freiflächen und ist um attraktive Aktivitätsräume be­müht.

Die Mo­ti­va­ti­on zu solidarischem Verhalten in ei­ner Ge­mein­schaft findet ih­re Be­grün­dung in der Selbst­hil­fe und im bürgerschaftlichen En­ga­ge­ment. Beide haben im täglichen Leben ei­ne große Schnitt­men­ge, aber Unterschiede in der Mo­ti­va­ti­on. Hilfe bzw. „Hilfe zur Selbst­hil­fe“ entsteht aus Be­trof­fen­heit, der eigenen oder der von An­ge­hö­ri­gen bzw. der von nahen Be­kann­ten.

Die Mo­ti­va­ti­on zu bürgerschaftlichem En­ga­ge­ment ist vielschichtig. Es ist die Be­reit­schaft, oh­ne Ei­gen­nutz zu helfen aus verantwortungsbewusstem Bür­ger­sinn, Ge­rech­tig­keits­sinn, To­le­ranz, aber auch aus dem Wunsch nach sozialer An­er­ken­nung. Die En­ga­ge­mentstruktur ändert sich der­zeit. Erkennbare Ent­wick­lung­en sind ein Be­darf an Qualifizierung (Fort­bil­dung) so­wie Tendenzen der In­sti­tu­ti­o­na­li­sie­rung und der Mo­ne­ta­ri­sie­rung (Bayerischer Selbsthilfetag 2011).

Gesundheitsfördernde Nach­bar­schaft ist mehr als räumliche und soziale Nä­he, sie erfordert vielmehr auch zielorientierte quartiersbezogene Bewohnerarbeit. Welche Faktoren ma­chen ein bür­ger­schaft­lich organisiertes nachbarschaftliches Netz­werk nach­hal­tig wirk­sam? Wie las­sen sich un­ter den genannten Aspekten und Per­spek­ti­ven bestehende Bewegungsinitiativen ins­be­son­de­re für ältere Menschen wei­ter­ent­wi­ckeln? Ist die Ein­rich­tung eines „Zentrums für Bewegungsförderung“ gesundheitsfördernd z.B. im Rahmen der Pro­jekt­grup­pe „Älterwer­den am Ackermannbogen“? Von unserem Fachgespräch als Di­a­log zwi­schen lebensweltlicher Er­fah­rung und wissenschaftsbasierter Ar­gu­men­ta­ti­on wer­den da­zu neue An­re­gung­en erwartet.

Der vorliegende Text ist die Einleitung zum Fachgespräch "Bür­ger be­we­gen Bür­ger" des Zent­rums für Be­we­gungs­för­de­rung Bayern (ZfB). Das Fach­ge­spräch kön­nen Sie hier als Bro­schü­re (PDF-Dokument, 2 MB) he­run­terladen.

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