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Angebotsdarstellung

Good Practice

Veröffentlichung: 2006

Pfiffikus durch Bewegungsfluss

Kurzbeschreibung mit Zielen und Maßnahmen

Die zunehmende Tendenz verminderter Gesundheit bei gleichzeitiger Abnahme der motorischen und geistigen Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen, die in den letzten Jahren festzustellen war, steht oftmals eng in Zusammenhang mit ihrer sozialen Herkunft. Deshalb bildet der Kindergarten gerade in sozialen Brennpunktgebieten ein zentrales „Auffangbecken“ für Kinder aus benachteiligten Familien. Häufig erfahren sie hier die wichtigste gezielte Förderung.

Das Institut für Sportmedizin und Prävention der Uni Potsdam entwickelte deshalb ein Konzept, das im Settingbereich Kita ansetzt. Das daraus entstandene dreijährige Modellprojekt „Pfiffikus durch Bewegungsfluss“ (2002– 2005) hat das Ziel, Kinder im Vorschulalter durch ausgesuchte koordinativ anspruchsvolle Übungen motorisch und geistig optimal zu fördern. Parallel soll eine Interventionsstruktur entstehen, die ohne großen Aufwand auf andere Kindergärten übertragbar ist.

Zur Umsetzung der Projektinhalte werden Fortbildungen mit den Erzieherinnen durchgeführt. Gleichzeitig erfolgt eine Analyse der personellen, materiellen, räumlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen in der Kita als Grundlage für eine bewegungsfördernde Umgestaltung. Die Übungsinhalte werden schrittweise in den normalen Kita-Alltag integriert.

Die Ergebnisse der Abschlussuntersuchung zeigen deutliche Unterschiede zwischen den Projektkindern und nicht geförderten Kontrollgruppen. Beispielsweise erreichen die Kinder der Projektkindergärten deutlich bessere Ergebnisse beim Motoriktest (KTK).

Zur Weitergabe von Projektkonzept und –erfahrungen entwickelte das Pfiffikus-Team im Jahre 2006 eine Plattform für Bewegungs- und Kognitionsförderung im Kindergarten, die vor allem für Fortbildungseinrichtungen, Kindertageseinrichtungen und Erzieherinnen eine Anlaufstelle darstellt. Sie unterstützt Kindergärten auf dem Weg zu einer bewegungsorientierten Einrichtung. Neben einer 5-moduligen Fortbildungsreihe für Erzieherinnen und Lehrer/innen, bietet das Pfiffikus-Team auch Beratungsleistungen an.


Kontakt

Herr Frank Bittmann
Am Neuen Palais 10
14469 Potsdam (Brandenburg)

E-Mail: bittmann(at)uni-potsdam.de

Website: www.pfiffikusdurchbewegungsfluss.de


Projektträger

Universität Potsdam, Institut für Sportmedizin und Prävention
Am Neuen Palais 10
14469 Potsdam


Hintergrund

Zahlreiche Hinweise belegen seit einiger Zeit bei Kindern eine Tendenz zu verminderter Gesundheit sowie geistiger und körperlicher Leistungsfähigkeit, die in Zukunft eine weitere Zunahme chronischer Krankheiten befürchten lässt. Die brandenburgische Sportlehrerschaft berichtet in jüngster Zeit immer häufiger von Bewegungsauffälligkeiten der Kinder.

Bei Untersuchungen mittels des Motoriktests für Vier- bis Sechsjährige (MOT 4–6 nach R. Zimmer und M. Volkhammer, Testfassung 1984/1987) weist der Psychomotoriker Lensing-Conrady einen Rückgang des mittleren motorischen Quotienten um ca. 9% innerhalb der letzten zwölf Jahre nach, wobei auffällig ist, dass der Rückstand mit zunehmendem Alter der untersuchten Kinder größer wird.

Das Landesgesundheitsamt Brandenburg berichtet, dass in den letzten zehn Jahren neben einer deutlichen Zunahme von Allergien vor allem auch Sprach- und Bewegungsauffälligkeiten bei brandenburgischen Kindern auftreten. Zudem zeigen die aktuellen Ergebnisse der PISA-Studie gravierende Defizite im kognitiven Bereich. Körperliche Fehlentwicklungen gehen also Hand in Hand mit solchen des Nerven- und Immunsystems.

Verschiedene Forschungsergebnisse lassen den Schluss zu, dass Intelligenz davon abhängt, wie komplex die beteiligten Nervenzentren miteinander verschaltet sind und mit welcher Geschwindigkeit das Gehirn Informationen aufnimmt, verarbeitet, bewertet und beantwortet. Diese Qualitäten sind für gute kognitive (z. B. Leseverständnis) und sensomotorische Leistungen gleichermaßen erforderlich.

Vor diesem Hintergrund entstand das Projekt „Pfiffikus durch Bewegungsfluss“. Es wurde vom Institut für Sportmedizin und Prävention unter der Leitung von Prof. Frank Bittmann entwickelt und verfolgt das Ziel, die Phase der maximalen Hirnreifung in der Zeit zwischen dem 4. und 7. Lebensjahr optimal zu fördern. Damit sollen beim Kind möglichst gute biologische Voraussetzungen geschaffen werden für eine harmonische ganzheitliche Entwicklung auf hohem Niveau. Es geht nicht um das isolierte Training einzelner Fähigkeiten, sondern um die Schaffung universeller (systemischer) Grundlagen für möglichst viele körperliche, geistige, seelische und auch soziale Kompetenzen. Insbesondere Kinder aus anregungsarmen Elternhäusern sollen von diesem Ansatz profitieren können.

Neben dem pädagogischen Ansatz beinhaltet das Projekt auch eine wissenschaftliche Überprüfung des Erfolgs der Fördermaßnahmen mithilfe motorischer und kognitiver Tests (Körperkoordinationstest für Kinder – KTK; Entwicklungstest 6 Monate bis 6 Jahre – Et 6–6; Bildbasierter Intelligenztest für das Vorschulalter – BIVA).

In vier Potsdamer Kindertagesstätten der Träger „Internationaler Bund“ sowie „Independent Living“ wurden zu diesem Zweck spezielle Übungsprogramme erarbeitet und erprobt. Diese erfolgten in Zusammenarbeit von Kita-Erzieherinnen und -Erziehern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität und einer Zirkuspädagogin. Das Projekt wurde von der AOK Nordost sowie vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport gefördert und in allen Belangen unterstützt (vgl. www.mbjs-brandenburg.de).

Zwei der vier Kitas liegen in sozialen Brennpunkten im Stadtteil Drewitz (Plattenbausiedlung). Viele Eltern sind Hartz-IV-Empfänger. Der Migranten- und Migrantinnenanteil beträgt ca. 5 %; mehr als ein Drittel der Kinder wird von Alleinstehenden erzogen.


Vorgehen

Die Förderung der Hirnreifung erfolgt durch spezifische koordinativ anspruchsvolle Aufgaben, beispielsweise zur Unterstützung von Körperbalance, Wahrnehmung, Rhythmusgefühl und Stimmbildung/Artikulation. Alle Übungen beanspruchen große Hirnregionen und/ oder schaffen eine vielseitige Vernetzung zwischen beiden Gehirnhälften. Zusätzlich verbessern die Übungen die Informationsaufnahme und -verarbeitung.

Nach einer Einführungsphase werden die verschiedenen neuromotorischen Aktivitäten untereinander und mit kognitiven Leistungen kombiniert, um möglichst viele Hirnareale gleichzeitig zu aktivieren.

Zum Trainieren neuromotorischer Aufgaben bietet sich als Konzept die Zirkuspädagogik an. Deshalb sind originäre Zirkuskünste Bestandteil der Interventionen. Sie beinhalten neben der Förderung der Sensomotorik auch psychologische und soziale Qualitäten. So werden zum Beispiel diverse Balanceübungen, Jonglagen in den unterschiedlichsten Schwierigkeitsstufen, aber auch Clownerie, Tanz und Musik zu einem Gemeinschaftsunternehmen. Dabei erlernen die Kinder nicht nur auf spielerische und spaßbetonte Art verschiedene Fertigkeiten, sondern kombinieren diese auch und entwickeln nebenbei soziale Kompetenzen wie Rücksicht, Gemeinschaftssinn und Einfühlungsvermögen. Im Elementarbereich wird für diese Künste ein Grundstein gelegt, indem in jeder Kita einfache grundlegende Formen geübt werden. Die Übungsschwerpunkte werden mithilfe täglicher und wöchentlicher Rituale wie auch durch übergreifende Projekte in den Alltag integriert.


Good Practice in

Dokumentation und Evaluation

Initiator des Projekts und gleichzeitig verantwortlich für die Evaluation war das „Institut für Sportmedizin und Prävention“ der Universität Potsdam. Die wissenschaftliche Begleitung umfasste verschiedene Tests, eine Dokumentation sowie regelmäßige Auswertungen mit den beteiligten Kita-Erzieherinnen und -Erziehern.

Zu Beginn des Projekts wurde eine umfangreiche Eingangsuntersuchung des Entwicklungsstandes der teilnehmenden dreijährigen Kinder durchgeführt. Dabei ging es um körperliche, motorische und geistige Aspekte. Nach Ablauf der Interventionsphase von drei Jahren erfolgte die Abschlussuntersuchung, mit der die erzielten Effekte gemessen und nachgewiesen wurden.

Die Ergebnisse des Projekts wurden durch das Team der Universität und die beteiligten Kitas in unterschiedlichsten Formen dokumentiert (wissenschaftlicher Bericht, Bilder, Wandzeitungen, DVD etc.).

Während der Projektphase erfolgte eine kontinuierliche Fortbildung der Erzieherinnen und Erzieher. Darüber hinaus wurden regelmäßig gemeinsame Teamsitzungen zur Analyse des Prozesses (Ergebnisse, Schwierigkeiten, Lösungen) und zur Abstimmung der weiteren Schritte durchgeführt. So war es zu jedem Projektzeitpunkt möglich, die Ziele und Ergebnisse des Projekts abzugleichen und daraus die weitere Vorgehensweise zu entwickeln.

Nachhaltigkeit

Das Projekt war auf den Zeitraum 2002–2005 ausgerichtet. Durch die erworbenen Kompetenzen aller Beteiligten und die Integration des Programms in die Kita-Konzepte war eine anschließende Fortsetzung jedoch problemlos möglich. Dabei wurde darauf geachtet, dass die Übungen keine zusätzliche Belastung des ohnehin schon vollen Kita-Alltags darstellen, sondern sich organisch in den normalen Tagesablauf einfügen.

„Pfiffikus durch Bewegungsfluss“ ist mittlerweile fester Bestandteil des pädagogischen Programms in den beteiligten Kitas und hat sich somit nach der Projektphase zu einem Regelangebot entwickelt. Die notwendigen Strukturen (Integration ins Kita-Konzept, Bewegungsräume mit Material, Kompetenzen in der Kita) wurden während des Projekts geschaffen und bestehen über den Projektzeitraum hinaus.

Das Projekt hat Modellcharakter. Ein langfristiges Ziel ist die Verbreitung des Konzepts sowohl innerhalb des Landes Brandenburg als auch bundesweit. Damit kann ein Beitrag zur Umsetzung der Bildungszielvorgaben geleistet werden, denn Bewegung und Wahrnehmung bilden laut den Ergebnissen zahlreicher Forschungen des Entwicklungspsychologen Jean Piaget die Grundlage jeglichen Lernens. Auf diese Weise fördert Bewegung in den ersten Lebensjahren nicht nur die Zunahme der körperlichen Fähigkeiten eines Kindes, sondern auch sein Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl. Dieses Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten hilft Krisen und Niederlagen zu überwinden. Das verbesserte Körpergefühl wirkt Unfällen präventiv entgegen. Da in der Kindheit die grundlegende Einstellung zur Bewegung geprägt wird, kann die freud- und spaßbetonte Bewegungsförderung langfristig dafür sorgen, dass Kinder auch im Jugend- und Erwachsenenalter Lust an Bewegung empfinden und somit Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Adipositas oder Rückenprobleme von vornherein verhindert werden.

Settingansatz

In der ersten Projektphase ging es um die Entwicklung eines Übungskatalogs für die Erzieherinnen und Erzieher. Hierbei zeigte sich bald, dass Einführung und Umsetzung des Programms stark von den verschiedenen Rahmenbedingungen in den Kitas abhängen. Dazu gehören personelle Faktoren (Einstellung und Engagement der Beteiligten, Unterstützung durch Leitungsebene und Eltern, Personalausstattung und vieles mehr) ebenso wie organisatorische (Gruppengröße, Zeitmanagement, pädagogisches Konzept) oder auch räumliche Faktoren wie die Ausstattung der Einrichtung. Die Integration der Übungen in den Kita-Alltag entpuppte sich dabei als größere Herausforderung als die Entwicklung der Inhalte. Es erwies sich somit als notwendig, neben den Übungsinhalten auch eine Methodik des Einsatzes im Alltag zu entwickeln. So entstand eine Übungssammlung, die zum Beispiel in Form von farbig gestalteten Karteikarten ohne großen Mehraufwand in die pädagogische Arbeit integriert werden kann. Diese Karteikarten sind so gestaltet, dass sie auch von den Kindern selbst gelesen und eigenständig umgesetzt werden können. Das Konzept sieht dabei keine engen Vorgaben mit ganz konkreten Bewegungsabläufen vor, sondern soll in erster Linie das Kind zum spielerischen Erproben der eigenen Möglichkeiten anregen. Dies wird durch ausgesuchte, aber erschwingliche Materialien und Geräte mit Aufforderungscharakter unterstützt.

Die Inhalte der Übungskartei wurden mithilfe von täglichen Ritualen in den Alltag integriert. Beispielsweise wurden der Morgenkreis sowie die Zeit vor dem Essen und vor dem Schlafen genutzt, um die Kinder durch ausgewählte Bewegungsübungen zu fördern. Zusätzlich entstanden wöchentliche Rituale wie ein „Bewegungsmotto“ oder ein Trimmpfad. Weiterhin wurden die Pfiffikus- Inhalte in laufende Projekte und Feste (z. B. Sommerfest, Fasching, Weihnachtsaufführung) eingebaut.

Die Verankerung des Projekts in die täglichen Abläufe der Kita ermöglicht den Zugang aller Kinder zum Projekt.


Laufzeit des Angebotes

Beginn: November 2002

Abschluss: kein Ende geplant


Das Angebot richtet sich insbesondere an folgende Altersgruppen

  • 1 bis 3 Jahre
  • 4 bis 5 Jahre

Das Angebot umfasst geschlechtsspezifische Angebote für

  • Keine geschlechtsspezifischen Angebote

Schwerpunkte des Angebotes

  • Bewegungs- und Mobilitätsförderung
  • Stressbewältigung
  • Bildung

Das Angebot wird hauptsächlich in folgenden Lebenswelten umgesetzt

  • Kindertageseinrichtung / Kindertagespflege

Qualitätsentwicklung

Wie dokumentieren Sie Ihre Arbeit? (z.B. Konzepte, Handreichung)

Quelle der Veröffentlichung/URL: Abschlussbericht


Stand

24.05.2018

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