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26.11.2003

Spitzenverbände der Krankenkassen gründen Stiftung für Prävention

Spitzenverbände beschließen Gründung einer Stiftung für Prävention - Impuls für das Präventionsgesetz

Ende Oktober haben die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen die Gründung einer Stiftung für Prävention beschlossen. Nach Angaben des für Prävention federführenden IKK-Bundesverbandes (IKK-BV) soll die Stiftung Anfang kommenden Jahres gegründet werden -  vor dem geplanten Präventionsgesetz. Gelder gemäß §20 SGB V sollen durch die Stiftung gepoolt werden. Ein Konzept, in dem die weiteren Modalitäten geklärt werden sollen, ist in Vorbereitung.
Nach Angaben Rolf Stuppardts, Vorstandsvorsitzender des IKK-BV, sollen der Stiftung mindestens 25 Millionen Euro pro Jahr durch die Krankenkassen bereit gestellt werden. Die Mittel sollen gezielt für Gesundheitsförderungsprojekte für sozial benachteiligte Menschen verwendet werden. Der Fokus soll auf Maßnahmen in außerbetrieblichen Settings liegen. „Wir müssen mit dem Thema in die Schulen, in die Familien, in Problemstadtteile“, sagt Stuppardt. Sonst erreiche man nur eine Mittelschicht, die sich ohnehin schon gesundheitsbewusst verhalte. Wie kürzlich bekannt wurde, können auf Landesebene, das heißt von Kommunen, Eltern- und Lehrerinitiativen u.ä. Förderanträge bei den örtlichen Kassen gestellt werden.
Nachdem der BKK-Bundesverband bereits im August dieses Jahres mit seiner Initiative „Mehr Gesundheit für alle“ einen internen Finanzpool gebildet hatte, wollen nun alle Kassen als Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) nachziehen.

Pooling: Einfache Idee mit vielen Hindernissen

Immer wieder ist in den vergangenen Jahren auf eine Poolfinanzierung der Prävention verwiesen worden. Die Idee ist denkbar einfach. Werfen die Kassen die Gelder zur Umsetzung des § 20 in einen „Topf“, so ist erstens das Geld an zentraler Stelle aufgehoben: Das, was man sich vorher allein nicht leisten konnte, kann man nun zusammen anschaffen. Die Geldgeber entscheiden zweitens gemeinsam, welche Anschaffung sinnvoll erscheint: Bevor jeder für sich etwas zwar günstiges, dafür aber qualitativ womöglich minderwertiges beschafft, tut man sich zusammen für etwas zwar teureres, dafür aber stabileres. Für eine Gesundheitsförderung im Sinne des § 20 sind damit gute Voraussetzungen geschaffen zur Sicherung von Qualität, Zielbewusstsein, Nachhaltigkeit, Effektivität und Kooperation.
Vor allem wettbewerbsbezogene Motive schienen diese vermeintlich „einfache“ Lösung auf Dauer zu blockieren. Ein Pool, so eines der Contra-Argumente der Kassen, nehme der je einzelnen Kasse die kreative Möglichkeit, sich auf dem Markt zu profilieren, das heißt sich von den Konkurrenzkassen abzuheben. Ein weiteres war, dass das Geld womöglich für eine Klientel verwendet würde, die der eigenen Versichertenstruktur gar nicht entspräche. Des weiteren käme das erst dann in Frage, wenn sich weitere entscheidende Akteure, etwa Bund, Länder und Kommunen, daran beteiligen würden.

Planungen für ein Präventionsgesetz

Der überraschende Beschluss greift in den noch laufenden Formulierungsprozess für ein „Gesetz für Prävention und Gesundheitsförderung“ (PrävG) auf Bundesebene ein. Entsprechend war dies ein zentraler Diskussionspunkt auf der Fachtagung des AOK-Bundesverbandes „Mehr Gesundheit in der Zukunft! - Forderungen an ein Präventionsgesetz“, die im November 2003 in Berlin stattfand.
Ein Präventionsgesetz soll, so Staatssekretär Dr. Klaus-Theo Schröder, als eigenständiges Sozialgesetzbuch formuliert und bereits im nächsten Jahr verabschiedet werden. Damit werde die Prävention den Status einer vierten Säule im Gesundheitswesen neben Kuration, Rehabilitation und Pflege erhalten. Der Charakter der Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe soll herausgestellt werden. Damit wird Prävention nicht nur zur Aufgabe des Gesundheitsministeriums, sondern auch des Wirtschafts-, Umwelt- und Bildungsressorts. Im noch nicht abgestimmten Eckpunktepapier des Bundesministeriums vom 14. Oktober 2003 (Download unter: www.gesundheitberlin.de) werden als Schwerpunkte des PrävG u.a. die Vereinheitlichung der Präventionsleistungsbestimmungen und -begrifflichkeiten, die Formulierung verbindlicher nationaler Präventionsziele, die koordinierte und kooperative Einbindung aller relevanten Präventionsakteure auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sowie Qualitätssicherung, gesteuert durch einen neu einzurichtenden „Bundesausschuss Prävention und Gesundheitsförderung“ der Sozialversicherungsträger genannt.
Wie die Einbindung der Länder und der kommunalen Gesundheitsdienste funktionieren kann, ist noch unklar. Hier greift die reine Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes zu kurz. Erfahrungsgemäß kann man hier nicht auf eine „föderale Kooperation“, das heißt die Zustimmung des Bundesrates bauen, wenngleich dies im Falle eines PrävG bitter nötig wäre. Alle würden davon sprechen, Prävention sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sagte Schröder. „Aber wenn es darum geht, Verantwortung zuzuweisen, wird es schwierig.“

Was wird aus der Primärprävention?

Auf der Tagung wurde deutlich, dass die Regierung noch unsicher ist, wie sie mit der geplanten Stiftung umgehen soll und empfahl lediglich eine „offenere Konstruktion“. Insgesamt wird jedoch, das zeigte sich auch auf der AOK-Tagung, ein Präventionsgesetz von allen Akteuren als sinnvoll und notwendig erachtet. So sind sich im Grunde auch alle einig, dass die Zielbestimmung des § 20 Abs. 1 Satz 2 SGB V gut und erhaltenswert ist („Maßnahmen zur Primärprävention sollen den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen leisten.“). Sowohl Schröder als auch der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Hans-Jürgen Ahrens, unterstrichen die zentrale Bedeutung dieses Aspektes.
Etwas unklar wird der Konsens dort, wo es konkret um die Finanzierung und die Gewichtung der Strategien geht. Das Eckpunktepapier des BMGS sieht für die Primprävention eine gemeinsame Finanzierung durch GKV (65%), Renten- (20%) und Pflegeversicherung (15%) vor, wobei der Betrag von derzeit 2,66 Euro auf 3,00 Euro pro Versicherten pro Jahr steigen soll. Die Mittel sollen dann zu 20% für bundesweite Kampagnen, 40% für Individualprävention und weitere 40% für Setting-Maßnahmen aufgebracht werden.
In den Planungen der Kassen sind Aufwendungen für Kampagnen nicht vorgesehen. Für Setting-Maßnahmen sollen, wie oben erwähnt, 25 Millionen Euro, aufgewendet werden. Dies entspricht etwa 15% des bisherigen Volumens des § 20 SGB V und bleibt damit wesentlich unter den Vorstellungen des BMGS. Hans-Jürgen Ahrens verdeutlichte, dass die je einzelnen Kassen sich auf dem Feld der individuellen Maßnahmen (Gesundheitskurse usw.) ihre wettbewerbliche Eigenständigkeit und Kreativität bewahren wollten. „Wir wollen keine Gleichmacherei“, betonte der AOK-Chef.

Konzentration auf die Sachfrage oder Symbolpolitik?

Es ist zweifellos zu begrüßen, dass die Spitzenverbände trotz der durchaus verständlichen Bedenken gegenüber einer Poollösung „über ihren Schatten gesprungen sind“ und sich zur Gründung der Stiftung entschlossen haben. Der Entschluss kann auch dem Prozess des Präventionsgesetzes eine neue Dynamik verleihen und den Handlungsdruck auf die Legislative erhöhen. Die angekündigte Fokussierung auf die außerbetrieblichen Settings zeigt, dass man auf Kassenseite bereit ist, sich auf die Sachfragen zu konzentrieren: Der Settingansatz, etwa in Schule oder Stadtteil, wird als Mittel der Wahl zur Prävention bei sozial Benachteiligten anerkannt. Das kann nur funktionieren, wenn die Kassen kooperieren und damit möglichst viele GKV-Mitglieder erreichen. Das Setting, das sich so zusammensetzt, wie die einzelne Kasse es aus leistungsrechtlicher Sicht gerne hätte, nämlich nur aus ihren Versicherten, gibt es eben in der Regel nicht.
Es wird darüber hinaus ein weiteres Tabu gebrochen: Die Zentralisierung der Mittel führt gleichsam zur „wettbewerblichen Neutralisierung“ der Maßnahmen. Sie können nicht von der einzelnen Kasse als Marketing-Objekt im Buhlen um junge, attraktive Risiken missbraucht werden. Dabei handelt es sich um eine Idealvorstellung, die nicht vorschnell bejubelt werden sollte. 25 Millionen Euro sind immerhin besser als nichts, entsprechen aber dennoch nur etwa einem Achtel der ohnehin knappen Mittel nach § 20 SGB V. Von wesentlicher Bedeutung scheint die Frage, nach welchen Kriterien die Mittel an wen und auf wessen Entscheidung hin vergeben werden.
Nun sind zunächst die Kassen am Zug, möglichst viele Akteure in ihr Vorhaben einzubeziehen - und nicht zuletzt bei diesen auch Unterstützung zu finden. Hans-Jürgen Ahrens machte aber die Bereitschaft der Kassen zu einer akteursübergreifenden Kooperation deutlich.
Fazit: Die Gründung einer Präventionsstiftung ist ein Schritt in die richtige Richtung, gerade noch zur richtigen Zeit. Diese Chance muss genutzt werden.

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