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Integrierte kommunale Strategien

als Beitrag zur Verbesserung gesundheitlicher Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche

Was sind kommunale Gesundheitsstrategien?

Definition

Kommunale, lebensphasenübergreifende Gesundheitsstrategien (auch „Präventionsketten“ ge­nannt) sollen die Voraussetzungen für ein mög­lichst langes und gesundes Leben für al­le Menschen der Kom­mu­ne verbessern, un­ab­hän­gig von der jeweiligen sozialen La­ge. Die Gesundheits­stra­te­gien schaffen den Rahmen, um die auf kommunaler Ebe­ne verfügbaren Unter­stütz­ungs­angebote öffentlicher und privater Träger zusammenzuführen und sie über Al­ters­grup­pen und Lebens­phasen hinweg auf­ei­nan­der abzustimmen. Ziel ist, die verfügbaren Mit­tel wirkungsvoller einzusetzen und wichtige Voraussetzungen für gesunde Le­bens­be­din­gung­en un­ab­hän­gig von der sozialen La­ge zu schaffen.

Eigenschaften kommunaler Gesundsheits­strategien

Der Auf­bau kommunaler Gesundheitsstrategien ist ein noch junges Handlungsfeld der Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on, deren Um­set­zung weit über den Gesundheitsbereich hinaus weist. In ihrer Be­schrei­bung der Aktivitäten in der Stadt Monheim am Rhein nen­nen Holz et al. (2011) als wichtige Eigenschaften von „Prä­ven­ti­onsketten“:

  • Hilfesysteme wer­den mit der Ab­sicht neu strukturiert, um „al­len sozialen Grup­pen positive Lebens- und Teilhabebedingungen zu er­öff­nen“.
  • Öffentliche und gesellschaftliche Akteure tra­gen ge­mein­sam zur Bil­dung der Präventionskette bei. Dies funktioniert nur, wenn al­le den ge­mein­samen, kooperativen Handlungsansatz mittra­gen.
  • Die Leis­tung­en und An­ge­bo­te die­ser Akteure wer­den im Rahmen der Präventionskette auf­ei­nan­der abgestimmt und koordiniert mit dem Ziel, „ei­ne durchgängige und lückenlose För­de­rung und Un­ter­stüt­zung zu ge­stal­ten“.

Prävention im Lebenslauf

Die abgestimmte Ge­stal­tung von Unterstützungsangeboten ist über den gesamten Lebensverlauf vorstellbar, ist aber der­zeit meist auf die Ko­or­di­nie­rung der An­ge­bo­te im Kinder- und Jugendalter ausgerichtet. Grund ist so­wohl die besondere Be­deu­tung die­ser Lebensphase für Ge­sund­heit im weiteren Lebensverlauf als auch die Tat­sa­che, dass für Kinder, Ju­gend­li­che und deren Eltern be­reits ei­ne Vielzahl von Unterstützungsangeboten be­ste­hen, die oft unabgestimmt ne­ben­ei­nan­der herlaufen und großes Potenzial ber­gen.

Warum kommunale Gesundheitsstrategien?

Gesundheit und soziale Lage

Die Chan­cen, in guter Ge­sund­heit aufzuwachsen, sind eng mit der so­zi­alen La­ge verknüpft. Kinder und Ju­gend­li­che, die un­ter schwierigen so­zi­alen Be­din­gung­en auf­wach­sen, tra­gen ein höheres Ri­si­ko im Lebensverlauf ernst­haft zu er­kran­ken und haben ei­ne niedrigere Le­bens­er­war­tung als so­zi­al bes­ser Gestellte. Umfangreiche Da­ten und Informationen hierzu fin­den sich in der Ge­sund­heitsberichterstattung des Bundes (KiGGS), von Ländern und Kom­mu­nen so­wie in internationalen Stu­di­en (vgl. Factsheet „Ge­sund­heit so­zi­al benachteiligter Kinder und Ju­gend­li­cher“).

Belastungen senken, Ressourcen stärkem

Gegen diese, in den Le­bens­be­din­gung­en der Kinder und Ju­gend­li­chen angelegten Gesundheitsrisiken ist das medizinische Versorgungs­system re­la­tiv macht­los: Es wird in der Re­gel erst aktiv, wenn die ge­sund­heit­liche Be­ein­träch­ti­gung be­reits eingetreten ist. Prä­ven­ti­on und Ge­sund­heits­för­de­rung zie­len da­rauf ab, ge­sund­heit­liche Be­las­tung­en zu vermindern und die Mög­lich­keit­en zur Be­wäl­ti­gung die­ser Be­las­tung­en zu stär­ken - be­vor ge­sund­heit­liche Be­ein­träch­ti­gung­en ein­tre­ten.

Kommunale Unterstützungs­angebote

Die Kom­mu­nen halten umfangreiche An­ge­bo­te be­reit, um Kinder, Ju­gend­li­che und ih­re Eltern in schwieriger sozialer La­ge zu un­ter­stüt­zen. Die Beratungs- und Begleitungsangebote der Jugendämter, die An­ge­bo­te der Gesundheitsämter mit ih­ren Kinder- und Jugend­ge­sund­heits­diensten und Zahnmedizinischen Diensten oder auch die Un­ter­stüt­zung im Rahmen von Schulsozialarbeit sind hierfür Beispiele. Oft wer­den diese Un­ter­stüt­zungsangebote im kommunalen Auf­trag durch freie Träger erbracht. Den Kom­mu­nen kommt in jedem Fall ei­ne Schlüs­sel­po­si­ti­on bei der Ko­or­di­nie­rung die­ser An­ge­bo­te zu.

Determinanten für Gesundheit

Ob Kinder und Ju­gend­li­che ge­sund auf­wach­sen kön­nen, ist ab­hän­gig von vielen Einflussfaktoren, den sogenannten „De­ter­mi­nan­ten für Ge­sund­heit“. Neben den unveränderlichen persönlichen Faktoren wie Ge­schlecht, Al­ter und genetischer Aus­stat­tung sind vor allem Einfluss­faktoren aus der unmittelbaren Um­welt (Fa­mi­lie, Nach­bar­schaft, Schule, Woh­nung und Wohnumfeld) und den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rah­men­be­din­gung­en be­deut­sam (z.B. Beschäftigungslage, soziales Unterstützungssystem und Bildungs­system). Das „Regenbogen-Modell“ von Dahlgren und Whitehead stellt diese Einflussfaktoren an­schau­lich dar:

13. Kinder- und Jugendbericht

Die meisten die­ser Einflussfaktoren lie­gen au­ßer­halb des Gesund­heits­systems, sind aber für ein gesundes Aufwachsen von großer Be­deu­tung.

Ganz in diesem Verständnis beschreibt die Sach­ver­ständigen­kommission des 13. Kinder- und Jugendberichtes der Bun­des­re­gie­rung (2009) das Aufwachsen von Kin­dern und Ju­gend­li­chen „als ein transaktionales, interaktives Geschehen (…), das in ständigem Aus­tausch mit der Um­welt steht, und beeinflusst von gesellschaftlichen Rah­men­be­din­gung­en stattfindet“. (BMFSJ 2009: 80)

Bedeutung biografischer Übergänge

Besonders be­deut­sam sind Übergänge im Lebensverlauf. Im Kindes- und Jugendalter ist dies bei­spiels­wei­se die Pha­se rund um die Ge­burt, der Ein­tritt in die Schule oder der Über­gang in die Be­rufs­aus­bil­dung. Aus er­folg­reich bewältigten Übergängen ge­hen Kinder mit ei­nem gestärkten Selbst­wert­ge­fühl hervor, was zur Ent­wick­lung gesundheitlicher Res­sour­cen beiträgt. Werden Übergänge vorwiegend als Be­las­tung oder Über­for­de­rung er­fah­ren, kann dies zu ei­nem Ri­si­ko­fak­tor für die Ge­sund­heit mit Langzeitfolgen füh­ren. Biografische Übergänge aktiv zu be­glei­ten, ist des­halb ei­ne zentrale Auf­ga­be für Ge­sund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on im Kindes- und Jugendalter.

Notwendigkeit sektoren­übergreifender Kooperation

Um in der Kom­mu­ne Be­din­gung­en zu schaffen, die diese unter­schied­lichen Einfluss­faktoren auf die Ge­sund­heit der Kinder und Ju­gend­li­chen und die un­ver­meidlichen bio­grafischen Über­gänge positiv ge­stal­ten und Unterstützungs­angebote ma­chen, sollten die verschiedenen kom­mu­nalen Ein­rich­tung­en und Akteure aus unter­schiedlichen Handlungs­feldern ih­re An­ge­bo­te und Aktivitäten auf­ei­nan­der ab­stim­men.

Kooperation in anderen Handlungsfeldern

Die Not­wen­dig­keit zur sektorenübergreifenden Zu­sam­men­ar­beit wird bei­spiels­wei­se auch im Jugend- oder im Bildungssektor als wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Ar­beit erkannt und u.a. in den gesetzlichen Vorgaben be­tont. Besonders re­le­vant sind intersektorale Kooperationen in den aktuellen Ansätzen zur Stär­kung des Kin­der­schutzes. So sieht die An­fang 2012 in Kraft getretene Neu­fas­sung des Kin­der­schutzgesetzes die Ein­rich­tung regionaler Netzwerkstrukturen zum Kin­der­schutz vor, die von den Jugendämtern koordiniert wer­den sollen. Diese Netzwerke sollen u.a. Gesundheitsämter, Sozialämter, gemeinsame Servicestellen, Schulen, Polizei- und Ordnungsbehörden, Agenturen für Ar­beit um­fas­sen - al­so Ein­rich­tung­en, deren Handlungsfelder oft nur am Ran­de mit dem The­ma Kin­der­schutz befasst sind.

13. Kinder- und Jugendbericht

Auch der 13. Kinder- und Jugendbericht der Bun­des­re­gie­rung be­tont die Not­wen­dig­keit, dass Gesundheits- und Jugendbereich ih­re Ar­beit wech­sel­sei­tig öff­nen und sie stärker auf­ei­nan­der beziehen. Diese Zu­sam­men­ar­beit sollte aus Sicht der Be­richt­er­stat­ter/in­nen vor allem die so­zi­ale und ge­sund­heit­liche Si­tu­a­ti­on von „Kin­dern, Ju­gend­li­chen und jun­gen Er­wach­se­nen in Armuts- und so­zi­al benachteiligenden Lebens- und Problemlagen verbessern“. (BMFSJ 2009: 30) Der Be­richt fordert in seiner zehnten Leit­li­nie die verstärkte interprofessionelle Vernetzung, da­mit auf kommunaler Ebe­ne „bedarfsgerechte, passgenaue Förderkonzepte ge­mein­sam gestaltet und realisiert wer­den kön­nen“. (ebd.: 251)

Lebensphasen und Übergänge

Im Kindes- und Jugendalter kön­nen verschiedene Lebensphasen un­ter­schie­den wer­den:

  • Schwangerschaft, Geburt und frühe Kindheit (junge Familien)
  • Kleinkind- und Vorschulalter (Krippe, Kita)
  • Grundschulalter
  • Jugendliche (Sekundarschulalter)
  • Jugendliche (Berufsausbildung und Einstieg in das Berufsleben)

Beispiele für Präventionsketten

Über die Er­fah­rung­en mit dem Auf­bau kommunaler Gesundheitsstrategien ist bislang noch we­nig be­kannt. Der Partnerprozess „Gesundheit für al­le“ bietet Kom­mu­nen die Mög­lich­keit, ih­re Stra­te­gien, Aktivitäten und Materialien be­kannt zu ma­chen, auszutauschen und zur Dis­kus­si­on zu stel­len (www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/partnerprozess). So entsteht mit der Zeit ein Netz­werk engagierter Kom­mu­nen und Einzelakteure, die sich ge­gen­sei­tig bei der Ent­wick­lung und Um­set­zung kommunaler Gesundheitsstrategien un­ter­stüt­zen. Als Leitmodelle wer­den oft die Ge­mein­den Dormagen (vgl. Hilgers et al. o.J.) und Monheim (vgl. Holz et al. 2011) ge­nannt.

Verantwortung von Bund und Ländern

Die Er­fah­rung­en aus Dormagen zei­gen, dass der Auf­bau einer Präventionskette sich für die Kom­mu­ne lohnt: Die koordinierten und niedrigschwelligen frühen Un­ter­stüt­zungsangebote wer­den häufi ger in An­spruch genommen, wäh­rend gleich­zei­tig die An­zahl der für die Kom­mu­ne be­son­ders teuren Unterbringungen von Kin­dern und Ju­gend­li­chen deut­lich zu­rück geht.

Die kommunale Verantwortung beim Auf­bau integrierter Ge­sund­heitsstrategien entbindet die Entscheidungsträger im Bund und in den Ländern so­wie die wei­teren Akteure auf diesen Ebe­nen nicht von der Verantwortung, geeignete Rahmenbedingungen für ein gesundes Aufwachsen auch in schwieriger sozialer La­ge zu un­ter­stüt­zen. Die Aktivitäten z.B. des maß­geb­lich durch die Bun­des­zen­tra­le für ge­sund­heit­liche Auf­klä­rung (BZgA) geförderten Ko­o­pe­ra­ti­ons­ver­bun­des „Ge­sund­heit­liche Chan­cen­gleich­heit“ auf Bun­des­ebe­ne, der Landesvereinigungen für Ge­sund­heit, der durch Landesministerien und gesetzliche Kran­ken­kas­sen finanzierten Koordinierungs- und Vernetzungsstellen (Regionale Kno­ten) in den Ländern so­wie die verschiedenen Landesprogramme (z.B. „Kein Kind zu­rück las­sen“ in NRW) sollten wei­ter entwickelt und be­son­ders auf die Un­ter­stüt­zung der kommunalen Ansätze ausgerichtet wer­den.

Literatur

  • BMSFJ (Bundeministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) (Hrg.) 2009 Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kider- und Jugendhilfe in Deutschland, 13. Kinder und Jugendbericht, Bundestags-Druksache 16/1860 vom 30.04.2009. Berlin.
  • Whitehead, Margaret; Dhalgren, Göran 1991: What can we do about inequalities in health? in: Lancet 338,159-1063.
  • Hilgers, Heinz; Sandvoss, Uwe; Jasper, Christin M.o.J.: Das Dormagner Modell: Was es beinhaltet und was man von ihm lernen kann, in: Wolfram, Markus und Osner, Andres: Handbuch Kommunalpolitik. Berlin: Raabe.
  • Holz, Gerda; Schöttle, Michael; Berg, Annette 2011: Fachliche Maßstäbe zu Auf-und Ausbau von Präventionsketten in Kommuen: Strukturansatz zur Förderung des „Aufwachens im Wohlerghen für alle Kinder und Jugenliche. Essen, Fankurt.M., Monheim am Rhein.
  • WHO (Welgesundheisorgaisation) 1994: Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung, Eklärung der 1. inernationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung in Ottwa/Kanada 1986, deutsche Übersetzug. Gamburg:Verlag für Gesundheitsförderung.
  • WHO (Weltgesundheitsorganisation) 2011: Improving Equity in Health by Addresing Social De­ter­mi­nants. Genf: WHO.

Zur Wirksamkeit (früher) Unterstützungsangebote