Das Projekt des Nachbarschaftsheims St. Pauli zeichnet sich durch eine besonders niedrigschwellige Arbeitsweise aus, die aufsuchend und begleitend, aber auch nachgehend angelegt ist (BZgA, 2007b). Da das Projekt bereits seit 55 Jahren im Stadtteil existiert, kann es zum Teil als „Selbstgänger“ bezeichnet werden, der auf eine Vielzahl von Strukturen zurückgreifen kann. Trotz der gefestigten und verankerten Elemente im Stadtteil wird die Arbeitsweise jedoch ständig den sich verändernden Entwicklungen angepasst, so dass beispielsweise weitere Zielgruppen in den Aufgabenbereich rücken. Dazu gehört die systematische Arbeit mit älteren Migrantinnen und Migranten und hier besonders mit der Zielgruppe der türkischen Frauen. Um diese Zielgruppe zu erreichen und die Problemlagen kennen zu lernen, führte die Projektleitung eine Vor-Ort-Begehung durch und suchte Moscheen und kulturspezifische Treffpunkte auf. Aufgrund der hohen Zahl an Analphabeten wirbt das Projekt nicht mit Flyern, sondern setzt auf „Mund-zu-Mund-Werbung“, die die stetig steigenden Besuchszahlen als gute Methode bestätigen.
Die niedrigschwellige Arbeit innerhalb der Seniorentagesstätte gliedert sich in Angebote am Vormittag, die sich speziell an Migrantinnen und Migranten richten, und in Aktionen am Nachmittag, die allen Besucherinnen und Besuchern offen stehen. Insbesondere der Aufbau und die Förderung von Gemeinschaft zeichnen den offenen Nachmittag aus. Hierbei werden niedrigschwellige Angebote in einem klar strukturierten Rahmen zum Beispiel in Form von betreuten Einzel- und Gruppenspielen oder Gesprächsgruppen unterbreitet. Dadurch ist es möglich, psychisch Kranke und ältere Migrantinnen und Migranten in die Gemeinschaft des Nachbarschaftsheims zu integrieren und Barrieren abzubauen. Die Arbeit im offenen Treffpunkt mit einer Besuchergruppe von ungefähr 45 Personen orientiert sich an den individuellen Fähigkeiten der Teilnehmenden.
Auch am Vormittag besteht eine Palette von unterschiedlichen niedrigschwelligen Angeboten. Seit dem Jahr 2000 trifft sich zum Beispiel jeden Mittwochvormittag eine türkische Frauengruppe, die Ausflüge unternimmt, kulturelle Veranstaltungen besucht oder gezielte Informationen erhält. Die Schaffung eines öffentlichen Bereichs dient den türkischen Frauen als Entlastung und gibt ihnen auch außerhalb ihrer Wohnung die Möglichkeit, ihren Kontaktkreis zu erweitern. Es besteht ein guter und vertrauter Zusammenhalt innerhalb der Gruppe, so dass auch sensible Themen in Bezug auf Familie, Partnerschaft oder Krankheiten diskutiert werden. Die Themenbereiche richten sich nach den Bedürfnissen, die von rechtlichen Themen bis hin zu Fragen nach Gesundheit, Ernährung und Bewegung reichen. Für die Gesprächsrunden werden auch Experten als Referenten eingeladen.
Zweimal in der Woche – einmal davon mit Übersetzer – findet am Vormittag eine Sozialberatung für türkische Seniorinnen und Senioren statt, die jedoch auch anderen Generationen offen steht. Des Weiteren ist es allen Nationalitäten über die Sprechstunden hinaus möglich, Fragen zu stellen oder Termine für vertiefende Gespräche zu vereinbaren. Darin werden Hilfestellungen bei sozialen und Altersproblemen gegeben und zusammen mit den Klientinnen und Klienten die eigenen Möglichkeiten zur Bewältigung thematisiert. Weitere generationenübergreifende Aktivitäten ohne Anmeldeformalitäten und ohne Leistungsorientierung reichen von musik- und ergotherapeutischen Maßnahmen wie dem Chor und der Bastelgruppe bis hin zu Wassergymnastik, Gartennutzung, Videoprojekten, kulturellen Angeboten, Feiern und Ausflügen. Die niedrigschwellige Arbeitsweise fördert die individuelle Konzentration, Gedächtnisfunktion und Feinmotorik. So erfahren die Besucher und Besucherinnen Unterstützung im Aufbau von sozialen Bindungen und bei Erkundungen der Umgebung sowie bei der Verarbeitung von Lebensgeschichten und Traumata.
Neben der Arbeit innerhalb des Nachbarschaftsheims St. Pauli wird eine aufsuchende beziehungsweise begleitende Hilfe vermittelt. Begleitet wird zum Beispiel zu Ämtern, Behörden oder Ärzten, wenn nötig auch als Krisenintervention. Dieses Angebot richtet sich an alle Seniorinnen und Senioren, speziell auch an immobile Personen. Der Erstkontakt zu immobilen Personen wird dabei über Bekannte und Freunde hergestellt. Bei Migrantinnen und Migranten wird zusätzlich ein Übersetzer zu Hilfe genommen. Die Mitarbeiterinnen führen zum Beispiel bei Krankenhausbesuchen vermittelnde Gespräche zwischen der Ärzteschaft und den Pflegediensten, erklären den Patientinnen und Patienten ihre Krankheits- und Therapieverläufe niedrigschwellig und informieren Angehörige. Überschreiten komplexe Problemlagen den Kompetenzbereich der Mitarbeiterinnen, vermitteln diese die Klientinnen und Klienten an andere Einrichtungen wie den Sozialpsychiatrischen Dienst, die Seniorenberatung oder „Barrierefrei Wohnen“ weiter, mit denen eine enge Zusammenarbeit besteht.
Des Weiteren soll durch die aufsuchende Unterstützung in Form von Haus-, Pflegeheim- und Krankenhausbesuchen der soziale Kontakt zwischen „Kranken“ und „Gesunden“ aufrechterhalten werden. Besucherinnen und Besucher werden motiviert, bei kranken Nachbarn anzurufen oder sie zu begleiten. Auch Sterbebegleitungen betreuen die Mitarbeiterinnen im Nachbarschaftsheim St. Pauli. Zusätzlich wird durch die Vermittlung von kleinen, angeleiteten Arbeitsschritten in offener Einzel- und Gruppenkommunikation versucht, dass die Menschen Gefühle wie Identität, Sicherheit, Stabilität und Verwurzelung wieder erlernen und in ihren Lebensalltag integrieren. Das Engagement für die hilfebedürftigen Nachbarn kann eine verbesserte soziale Integration in das Umfeld und einen quantitativen wie qualitativen Zuwachs an sozialen Beziehungen bewirken, was sich wiederum positiv auf das Wohlbefinden des Einzelnen und der Gemeinschaft auswirkt (Richter/Wächter 2007).