28.06.2016
Gesundheitsförderung in den Kommunen: Wie können Menschen in belastenden Lebenslagen Handlungskonzepte und Angebote mitgestalten?
Susanne Hartung, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin
Michael T. Wright, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin
Schlagwörter:Kommunen, Partizipation, Qualität
Kommunale Gesundheitsförderung nachhaltig auf die Beine stellen
Wie werden die vielen Angebote der Gesundheitsförderung in den Kommunen koordiniert? Welche (akteurs-) übergreifenden Handlungskonzepte für Gesundheitsförderung gibt es in den Kommunen schon? Wie können Bürgerinnen und Bürger an der Gestaltung und den relevanten Entscheidungen der kommunalen Gesundheitsförderung besser beteiligt werden?
Viele Fragen, deren Beantwortung wichtig ist, um nachhaltig Gesundheitsförderung umzusetzen, die erfolgreich zu mehr Gesundheit, Wohlbefinden und gesundheitlicher Chancengleichheit beiträgt.
Wir wissen, dass kommunale Gesundheitsförderung vor allem eine gute Vernetzung und koordinierte Zusammenarbeit vieler Akteurinnen und Akteure aus der kommunalen Politik, der Verwaltung und Einrichtungen sowie aus der Zivilgesellschaft wie Selbsthilfegruppen braucht. Durch das Präventionsgesetz sollen hierfür mehr finanzielle Mittel bzw. Ressourcen bereitgestellt werden. Neben der integrierten Zusammenarbeit auf Verwaltungs- und Fachebene, ist es nicht zuletzt wichtig, Bürgerinnen und Bürger einerseits Wege zu ebnen, damit sie sich an der Gestaltung der Angebote und den dafür relevanten Entscheidungen beteiligen können und sie andererseits auch für eine solche Partizipation zu befähigen und zu stärken.
Gemeinsam forschen in PartKommPlus
PartKommPlus -Forschungsverbund für gesunde Kommunen- geht der Frage nach, wie die kommunale Gesundheitsförderung partizipativ, d. h. gemeinsam mit den relevanten Akteurinnen und Akteuren, und Adressatinnen und Adressaten, gestaltet werden kann. Der Forschungsverbund wird von 2015-2018 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Programms „Präventionsforschung“ (Förderkennzeichen 01EL1423A-H), gefördert. In fünf Teilprojekten forschen Partnerinnen und Partner seit dem Frühjahr 2015 in insgesamt acht Kommunen in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen und Niedersachsen. Der Forschungsverbund ist ein Projekt des Netzwerks „Partizipative Gesundheitsforschung“ (PartNet). Im Rahmen des Forschungsvorhabens wird der Ansatz der Partizipativen Gesundheitsforschung (PGF) angewendet. Der Ansatz sieht vor, dass verschiedene Akteurinnen und Akteure aus den Bereichen Wissenschaft, Praxis, Politik und Finanzgewährung zusammen mit Adressatinnen und Adressaten der Gesundheitsförderung Fragen des gemeinsamen Interesses in einem forschenden Prozess beantworten. Damit werden Veränderungsprozesse angestoßen, die zur Gesundheit und dem Wohlbefinden der Menschen beitragen. Die gesundheitliche Chancengleichheit wird gestärkt und die Partizipative Gesundheitsforschung durch die Arbeit des Verbundes als gesundheitswissenschaftlicher Ansatz in Deutschland stärker etabliert.
Wir forschen gemeinsam vor Ort und auf Verbundebene
In den fünf Teilprojekten forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit unterschiedlichen Personengruppen: mit Kindern, Familien, Menschen mit Lernschwierigkeiten, Älteren und Fachkräften vor Ort. So untersucht das Berliner Projekt ElfE (Alice-Salomon Hochschule, Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V.) die Gestaltung des Übergangs von der Familie in die Kita und vergleicht dabei städtische und ländliche Strukturen. Im Projekt GESUND! (Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin) steht die Förderung der Teilhabe- und Gesundheitschancen von Menschen mit Lernschwierigkeiten im Fokus. Das Teilprojekt PEPBS ermittelt gemeinsam mit der Stadt Braunschweig exemplarisch, welche Faktoren ausschlaggebend sind, um lebensphasenorientierte Unterstützungsstrukturen erfolgreich für die Prävention gesundheitsbezogener Armutsfolgen bei Kindern zu gestalten. Im Projekt KEG (Hochschule Esslingen, HAG - Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung) wird gemeinsam mit Praktikerinnen und Praktikern die Zusammenarbeit in der kommunalen Gesundheitsförderung in Esslingen und Hamburg untersucht. Das Projekt Age4Health (Hochschule Fulda) gewinnt Erkenntnisse darüber, wie sich die Entwicklung gesundheitsförderlicher Wohnquartiere für ältere Menschen, die über wenige Ressourcen verfügen, partizipativ gestalten lässt.
Die Verbundmitglieder kommen zweimal jährlich im Rahmen eines dreitägigen Kolloquiums zusammen, um gemeinsam an der Beantwortung der verbundübergreifenden Forschungsfragen zu arbeiten. Dazu werden verbundexterne Personen wie z. B. Vertreterinnen und Vertreter der kommunalen Verwaltung und Expertinnen und Experten der partizipativen Gesundheitsforschung eingeladen. Im Verbund ist es uns ein besonderes Anliegen, die in den Teilprojekten mitforschenden Menschen aus der Praxis und aus belastenden Lebenslagen am Forschungsprozess auf Verbundebene und auch an den Kolloquien zu beteiligen.
Die Koordinierungsstelle des Verbundes an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin begleitet die Zusammenführung der Projektergebnisse durch die Gestaltung des partizipativen Forschungsprozesses, gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Urbanistik und dem Robert Koch-Institut. Gesundheit Berlin-Brandenburg unterstützt den Verbund dabei, die Forschungsergebnisse bekannt zu machen und zu diskutieren, z. B. über die Online-Plattform inforo online. Gemeinsam wollen wir herausfinden, welche Faktoren für eine gute Zusammenarbeit der Verwaltungsbereiche, Einrichtungen und Fachkräfte förderlich und hinderlich sind. Wir untersuchen, wie kommunale Gesundheitsförderung gesteuert wird und welche integrierten kommunalen Strategien und Handlungskonzepte bereits vorhanden sind. Besonderes Augenmerk legen wir darauf, wie die Adressatinnen und Adressaten der Gesundheitsförderung bisher in die Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse der Gesundheitsförderung eingebunden sind und wie ihre Partizipation verbessert werden kann.
Erprobungsfelder und Lernorte für die Partizipation in der kommunalen Gesundheitsförderung
Partizipation, als Beteiligung der Menschen in belastenden Lebenslagen in allen Phasen der Gesundheitsförderung, ist ein anerkanntes Kriterium für gute Praxis der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung. Denn das Wissen und die Erfahrungen der Menschen in schwierigen sozialen Lagen für die Entwicklung und Umsetzung kommunaler Gesundheitsförderung sind unerlässlich, damit kommunale Gesundheitsförderung ihre Adressatinnen und Adressaten auch gerecht wird und tatsächlich zur gesundheitlichen Chancengleichheit beitragen kann. Partizipation ist allerdings ein Entwicklungsprozess für alle Beteiligten. Sie braucht seitens der Bürgerinnen und Bürger kommunikative und soziale Fähigkeiten, um die eigenen Bedürfnisse formulieren und Wünsche, Ideen und Vorstellungen einbringen zu können. Auf Seiten der Praxis und Verwaltung bedeutet es, Kompetenzen und Methoden zu entwickeln, um mit Bürgerinnen und Bürgern an der Gestaltung und Durchführung von Strategien der Gesundheitsförderung arbeiten zu können.
Die Teilprojekte im Forschungsverbund PartKommPlus bilden deshalb Erprobungsfelder und Lernorte für die Partizipation in der kommunalen Gesundheitsförderung. Verschiedene Menschen in belastenden Lebenslagen sollen zu Mitgestaltenden von kommunaler Gesundheitsförderung werden und eben im Sinne der partizipativen Gesundheitsforschung, aktiv zu Veränderungen beitragen. In den Teilprojekten und ihren Fallstudien beteiligen sich verschiedene Adressatinnen und Adressaten von Gesundheitsförderung:
- Hauptschülerinnen und Hauptschüler im Übergang von der Schule in die Ausbildung - Teilprojekt PEPBS
- Eltern von Kindern im Kita-Alter - Teilprojekt ElfE
- Ältere Menschen, die über wenig Ressourcen verfügen - Teilprojekt Age4Health
- Menschen mit Lernschwierigkeiten - GESUND!
- Bewohnerinnen und Bewohner in ressourcenarmen Stadtteilen - Teilprojekt KEG
Ihre Partizipation in der kommunalen Gesundheitsförderung zu stärken, ist das Ziel der Zusammenarbeit und Forschung in den Teilprojekten und das aller Verbundmitglieder. Und eine derzeitige Antwort auf die Frage: Was kann die Arbeit im Verbund eigentlich bewirken?
Das lässt sich vielleicht so zusammenfassen, wie es eine kommunale Partnerin im Verbund formulierte. Ihr Interesse an der Arbeit des Forschungsverbundes ist danach Folgendes:
„Wird es diesem Forschungsvorhaben gelingen, ein Stückchen Strukturveränderung in der Kommune mit zu bewirken, was das Thema Teilhabe und Partizipation angeht? Meine Vision ist es, eine Kommune vorzufinden, in der es selbstverständlich ist, dass man partizipativ orientiert ist, also vor allem miteinander arbeitet. Auf Augenhöhe. Dass das nicht themenbezogen passiert, sondern als Struktur vorhanden ist, in der man Themen diskutieren kann, ob das nun Gesundheit oder Umweltgerechtigkeit oder Stadtentwicklung [...] ist." (Anne Janz, Magistrat der Stadt Kassel, Dezernentin für Jugend, Schule, Frauen, Gesundheit)