Die Stadt Dormagen machte sich 2005 auf den Weg, systematisch die Grundlagen für ein gesundes Aufwachsen zu verbessern. Als wichtiger organisatorischer Schritt wurde ein hauptamtlicher Präventionsbeauftragter eingesetzt, der über langjährige praktische Erfahrung mit der Situation junger Familien in Dormagen sowie der praktischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verfügte. Er hatte die Aufgabe, das Thema inhaltlich und konzeptionell zu entwickeln.
Die Initiative zur Gründung des „Netzwerk für Familien“ (NeFF) ging vom Jugendamt Dormagen aus, zeitgleich mit dem Modellvorhaben des Landschaftsverbandes Rheinland „Arbeitshilfen zur Entwicklung und Steuerung von Netzwerken Früher Förderung“. Dort gehörte es von Beginn des Prozesses an zum professionellen Selbstverständnis, die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen als eine wichtige Grundlage für eine gelingende Entwicklung zu verstehen. Konkrete, erfüllbare Ziele wurden ausformuliert und konnten im Rahmen des Modellvorhabens realisiert werden. Durch die finanzielle und personelle Unterstützung, die nun zur Verfügung stand, wurde das Präventionskonzept auf den Weg gebracht.
Beim Aufbau des Netzwerkes wurden bereits vorhandene Kooperationsstrukturen genutzt und weiter entwickelt. Zusätzlich aufgebaute Kontakte zu Fachhochschulen und Universitäten (Alice Salomon Hochschule in Berlin, Kath. Fachhochschule Köln, Staatliche Fachhochschule Köln, Fachhochschule Niederrhein) stärkten das Netzwerk durch externe Beratung.
Ein Kinderschutzkonzept wurde entworfen, das sowohl Hilfen für werdende Mütter als auch für die verschiedenen Lebensphasen des Kindes umfasst. Im Zentrum stand ein präventives Vorgehen, das benachteiligte Familien früh unterstützte und die Sicherung der Grundbedürfnisse von Eltern und ihren Kindern gewährleistete.
Auf Grundlage des Kinderschutzkonzeptes wurde ein Präventionskonzept für Dormagen entwickelt. Ein zentraler Bestandteil dieses Konzeptes ist das Netzwerk für Familien (NeFF), das als „Netzwerk Frühe Förderung“ ins Leben gerufen wurde. Dieses Netzwerk bindet nahezu alle Akteure ein, die an der Gestaltung eines gesunden Aufwachsens mitarbeiten: Kindertagesstätten und Familienzentren, Grund- und weiterführende Schulen, Träger der Berufsorientierung, Jobcenter, Kinderärzte und –ärztinnen, Gynäkolog/innen, Geburtsklinik und Kinderklinik Neuss, Kinder- und Jugendärztlicher Dienst des Rheinkreis Neuss, Schulaufsicht Rheinkreis Neuss, Familienbildungsstätten und Tagespflegefachkräfte.
Das NeFF wird gemeinsam durch den Präventionsbeauftragten der Stadt Dormagen und eine Vertreterin des Caritasverbandes als größtem freiem Träger der Stadt koordiniert, die mit einem Teil ihrer Arbeit für diese Tätigkeit freigestellt ist. Diese Netzwerk-Koordinierung bildet das Scharnier zwischen der Arbeitsebene des Netzwerkes (den Arbeitsgruppen) und der politischen „Entscheidungsebene“. Sie unterstützt den Transfer der Arbeitsergebnisse in die politischen Entscheidungsprozesse der Stadt. Die „Doppelspitze“ steht in Kontakt mit dem Bürgermeister und den Fachbereichsleitern, die die Netzwerk-Themen in die Gremien der Stadtverwaltung tragen, z.B. in den Jugendhilfeausschuss (vgl. Abb. 2).
Die Koordinierung gibt klare Strukturen für die Netzwerkarbeit vor, beispielsweise die Schwerpunktthemen der Sitzungen für das gesamte Jahr. Schwerpunktthemen seit 2011 sind beispielsweise der Ausbau der kommunalen Präventionskette auf die Übergänge von der Grundschule in die weiterführende Schule sowie von der Sekundarstufe I in die Berufsausbildung. Das Ziel ist, die Arbeitsbelastung für alle beteiligten Funktionsträger gut kalkulierbar und so gering wie möglich zu halten. Auch soll eine möglichst hohe Transparenz der Netzwerkarbeit gewährleistet werden.
Die Lenkungsgruppe des NeFF setzt sich aus circa 20 Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitsfelder Erziehung, Bildung, Gesundheit und Jugendhilfe zusammen. Die Lenkungsrunde ist verantwortlich für die Qualitätssicherung und strategische Entwicklung des NeFF. Sie identifiziert relevante Themen, Handlungsfelder und Ansatzpunkte für Präventionsmaßnahmen. Voraussetzung für die Mitarbeit in der Lenkungsgruppe ist die Verbindung des eigenen Aufgabenfeldes zum gemeinsamen Anliegen, die Familien in der Stadt zu unterstützen, sowie die Möglichkeit, im eigenen Arbeitsbereich Beiträge zur Verbesserung der Situation für Kinder und Jugendliche in Dormagen zu leisten. Eine wichtige Auf-gabe insbesondere in der Aufbauphase des Netzwerkes war, Schritt für Schritt ein gemeinsames Verständnis der Aufgaben und möglichen Beiträge der beteiligten Partner zu entwickeln.
Die Lenkungsgruppe richtet Arbeitsgruppen ein, die ihre Themen selbst bestimmen, Ziele vereinbaren und sich nach Erfüllung der Aufgaben auch wieder auflösen können (vgl. Abb. 2). Dies stellt sicher, dass die Arbeit ziel- und problemorientiert gestaltet wird und die knappen Ressourcen der beteiligten Partner immer wieder an den jeweils aktuellen Problemstellungen ausgerichtet werden können. Die Arbeitsgruppen tagen im Rathaus Dormagen oder – abhängig von den Schwerpunktthemen – auch dezentral in den Einrichtungen der beteiligten Netzwerkpartner, z.B. Kindertagesstätten oder Familienzentren. Zusätzliche Kosten, z.B. Getränke für die Teilnehmer/innen, können aus der Haushaltsstelle „Betreuung und Information“ des Jugendamtes finanziert werden, die auch Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit umfasst.
Für die Entwicklung eines interdisziplinären Netzwerkes war es notwendig, Kooperationspartner aus allen Handlungsfeldern zu gewinnen, die einen Einfluss auf die Lebensbedingungen der Kinder, Jugendlichen und ihre Familien haben (z.B. aus den Bereichen Gesundheit, Bildung oder Wohnen) und diese dauerhaft für die Beteiligung zu motivieren. So stieß man beispielsweise anfänglich auf eine deutliche Zurückhaltung der Grundschullehrer/innen, die der Herangehensweise des Netzwerkes mit großer Skepsis begegneten. Im Laufe der Zeit gelang es aber, auch diese Berufsgruppe durch kontinuierliche Informationen und Schulungsangebote von der Relevanz des Dormagener Präventionskonzeptes zu überzeugen: Ein deutlicher Fortschritt in der Kommunikation zwischen Eltern und Lehrer/innen wurde sichtbar, von dem langfristig alle Beteiligten profitieren.
Um den finanziellen Spielraum für die kommunalen Vernetzungsaktivitäten zu erweitern und flexibler zu gestalten, richtete die Stadt Dormagen die „Sozialdienst gGmbH“ ein. Diese kann – anders als die öffentliche Verwaltung - beispielsweise Honorarmittel, die Mitarbeiter/innen des Jugendamtes für Vorträge über die Präventionsstrategie in Dormagen einnehmen, oder auch Spenden anschließend wesentlich flexibler wieder ausschütten als dies der Stadtverwaltung möglich wäre. Die Mittel der Sozialdienst gGmbH werden sowohl für die Unterstützung von Familien (z.B. Einzelfallhilfen) oder für die Weiterbildung von Fachkräften eingesetzt. So wurde beispielsweise Mitarbeiter/innen des Jugendamtes aus Mitteln der Sozialdienst gGmbH der Besuch des Jugendhilfetages 2011 in Stuttgart ermöglicht. Ebenfalls konnten Fortbildungszuschüsse an Einrichtungen im Stadtgebiet oder Anschaffungen für einzelne Kinder/ Familien mitfinanziert werden.
Produkte und Angebote des NeFF
Der gemeinsamen Arbeit der Akteure im NeFF können umfangreiche Ergebnisse und Produkte zugeordnet werden. Dabei ist nicht immer leicht und eindeutig zuzuordnen, welche der Aktivitäten im Netzwerk die jeweiligen Ergebnisse und Produkte hervorgebracht hat. Der fachliche, formelle und informelle Austausch im Netzwerk (insb. in der Lenkungsgruppe und in den Arbeitsgruppen) ist eine wichtige Grundlage für Aktivitäten und Initiativen der Netzwerkpartner, die das integrierte kommunale Konzept der Stadt stützen. Zu diesen Aktivitäten gehören beispielsweise:
Familienpass der Stadt Dormagen. Dieser ist ein Angebot für alle Familien und Alleinerziehende, die über ein nur geringes Einkommen verfügen oder Sozialleistungen beziehen. Der Pass bietet die Möglichkeit, vielfältige, ausgewählte Angebote aus den Bereichen Kultur, Bildung und Freizeitgestaltung ermäßigt oder kostenfrei wahrzunehmen.
Initiative „Kein Kind ohne Mahlzeit“. Sie unterstützt Familien bei der Teilnahme ihrer Kinder am Mittagstisch in der Kindertagestätte oder der Ganztagsschule. Hierbei ist die Inanspruchnahme der Nachmittagsförderung gewährleistet, die aufgrund der zu hohen Kosten des Mittagessens zuvor oft von den Eltern abgebrochen wurde.
„Babybegrüßungspaket“. Dieses wird den Eltern neugeborener Kinder persönlich durch einen Mitarbeiter bzw. eine Mitarbeiterin des Jugendamtes übergeben. Es enthält unter anderem ein Elternbegleitbuch und weitere nützliche Beigaben, beispielsweise eine Kinderzahnbürste und einen Sprachratgeber, der mit Hilfe einer Logopädin und einer Kinderärztin eigens für das Babybegrüßungspaket entwickelt wurde.
Baby- und Krabbelclubs. Hierbei handelt es sich um offene niederschwellige Angebote für Eltern mit Neugeborenen und Eltern von Kindern bis zu zwei Jahren, um mit anderen Müttern und Vätern in Kontakt und Austausch zu treten.
Wohnmodell „Haus der Familie“. An dieses Beratungs- und Hilfezentrum für Familien des Caritasverbandes können sich Familien in Notlagen wenden.
Kinderärztliche Untersuchungen. Ein Kinderarzt, der über das Gesundheitsamt des Kreises finanziert wird, untersucht alle Kinder im Alter von vier Jahren, um potenzielle gesundheitliche Fehlentwicklungen zu erkennen und macht gegebenenfalls individuelle Vorschläge zur Verbesserung der Gesundheit.
AG Elternbildung. Dieses beschäftigt sich mit der Frage, wie Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder unterstützt werden können. In Elternzentren werden Kurse durchgeführt, die auch spezielle Angebote für Alleinerziehende einschließen.
„Elterncoaching“. Dieses Angebot wird von einem Therapeuten durchgeführt und behandelt Themen wie zum Beispiel „Umgang mit pubertierenden Kindern“.
„Gesunde Zähne Programm“. Das Programm wurde als Ergebnis einer Zahnuntersuchungsstudie entwickelt, die ergeben hatte, dass die Kinder der Stadt Dormagen die höchste Kariesrate der Umgebung aufweisen.
„Pädagogische Fachtage“ für die Fachkräfte im Stadtgebiet. Diese finden regelmäßig statt und erfreuen sich mittlerweile großer Beliebtheit. Regelmäßig werden auch Eltern und Elternvertreter/innen zu den Fachtagen eingeladen. Die Fachtage für die Grundschulen und weiterführenden Schulen finden samstags statt, sodass möglichst viele interessierte Fachkräfte teilnehmen können.