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Aktiv für Gesundheit und Chancengleichheit

Was sind Frühe Hilfen?

Mechthild Paul , Bundesinstitut für Öffentlcihe Gesundheit
14.08.2012

Seit ei­ni­gen Jahren findet ein intensiver fachpolitischer Dis­kurs um die Frü­hen Hilfen statt. Dieser Dis­kurs hat da­zu geführt, dass die Frü­hen Hilfen ei­ne Verankerung im neuen Bundeskinderschutzgesetz fanden. Aber was ist das „Neue“ an den Frü­hen Hilfen, wel­che Hoffnungen wer­den mit den Frü­hen Hilfen verbunden?

Frühe Hilfen: Begriffsbestimmung

Frü­he Hilfen bil­den lokale und regionale Un­ter­stüt­zungssysteme mit koordinierten Hilfeangeboten für Eltern und Kinder ab Beginn der Schwan­ger­schaft und in den ersten Lebensjahren mit ei­nem Schwer­punkt auf der Al­ters­grup­pe der Null- bis Dreijährigen. Sie zie­len da­rauf ab, Ent­wick­lungsmöglichkeiten von Kin­dern und Eltern in Fa­mi­lie und Ge­sell­schaft früh­zei­tig und nach­hal­tig zu verbessern. Neben alltagspraktischer Un­ter­stüt­zung wol­len Frü­he Hilfen ins­be­son­de­re ei­nen Bei­trag zur För­de­rung der Beziehungs- und Erziehungskompetenz von (wer­denden) Müttern und Vätern leis­ten. Damit tra­gen sie maß­geb­lich zum ge­sun­den Aufwachsen von Kin­dern bei und si­chern deren Rech­te auf Schutz, För­de­rung und Teil­ha­be.

Frü­he Hilfen um­fas­sen vielfältige so­wohl allgemei­ne als auch spezifische, auf­ei­nan­der bezogene und ei­nan­der ergänzende An­ge­bo­te und Maß­nah­men. Grundlegend sind An­ge­bo­te, die sich an al­le (wer­denden) Eltern mit ihren Kin­dern im Sinne der Ge­sund­heits­för­de­rung rich­ten (uni­ver­sel­le/pri­mä­re Prä­ven­ti­on). Darüber hinaus wen­den sich Frü­he Hilfen ins­be­son­de­re an Fa­mi­lien in Problemlagen (se­lek­ti­ve/se­kun­däre Prä­ven­ti­on). Frü­he Hilfen tra­gen in der Ar­beit mit den Fa­mi­lien da­zu bei, dass Risiken für das Wohl und die Ent­wick­lung des Kindes früh­zei­tig wahrgenommen und reduziert wer­den. Wenn die Hilfen nicht aus­rei­chen, ei­ne Ge­fähr­dung des Kindeswohls abzuwen­den, sor­gen Frü­he Hilfen da­für, dass weitere Maß­nah­men zum Schutz des Kin­des er­grif­fen wer­den.

Frü­he Hilfen ba­sie­ren vor al­lem auf multiprofessioneller Ko­o­pe­ra­ti­on, be­zieh­en aber auch bür­ger­schaft­li­ches En­ga­ge­ment und die Stär­kung sozialer Netzwerke von Fa­mi­lien mit ein. Zentral für die praktische Um­set­zung Frü­her Hilfen ist des­halb ei­ne enge Vernetzung und Ko­o­pe­ra­ti­on von Institutionen und An­ge­bo­ten aus den Bereichen der Schwan­ger­schaftsberatung, des Ge­sund­heits­we­sens, der in­ter­dis­zip­li­nä­ren Frühförderung, der Kinder- und Jugendhilfe und weiterer sozialer Dienste. Frü­he Hilfen haben da­bei so­wohl das Ziel, die flächendeckende Versorgung von Fa­mi­lien mit bedarfsgerechten Un­ter­stüt­zungs­an­ge­bo­ten voranzutreiben, als auch die Qua­li­tät der Ver­sor­gung zu verbessern.

Gravierende Fälle von Kin­des­miss­hand­lung und -vernachlässigung waren der An­lass zu einer brei­ten gesellschaftlichen De­bat­te, ob die Res­sour­cen, Konzepte und Verfahren im Kin­der­schutz aus­rei­chend sind, um Kinder vor Ge­fähr­dung­en zu schüt­zen. Gleichzeitig konnte in den Kom­mu­nen ein erheblicher An­stieg der Kosten in der Kinder- und Jugendhilfe festgestellt wer­den, wo­durch ein Hin­ter­fra­gen des Bisherigen eben­falls not­wen­dig wurde.

Aber nicht nur in der Kinder- und Jugendhilfe, son­dern auch im Gesundheitssystem konnten Ent­wick­lung­en hinsichtlich der ge­sundheitlichen La­ge von Kin­dern und Ju­gend­li­chen festgestellt wer­den, die ein Umdenken not­wen­dig ma­chen. Das Krankheitsspektrum bei Kin­dern hat sich in den letzten Jahr­zehn­ten ent­schei­dend verändert. Die so genannte neue Mor­bi­di­tät zeigt sich in einer Verschiebung von den akuten zu den chronischen Er­kran­kung­en und von den so­ma­ti­schen zu den psy­chi­schen Stö­rung­en (Schlack 2004). Die meisten Kinder sind heute kör­per­lich ge­sund, aber vor dem Hintergrund der Veränderung von gesellschaftlichen Rah­men­be­din­gung­en, vor allem auf­grund von schwie­ri­gen sozialen Le­bens­um­stän­den, haben Ent­wick­lungs- und Ver­hal­tens­stö­run­gen so­wie psy­chi­sche Auf­fäl­lig­keit­en zu­ge­nom­men (Sach­ver­stän­di­gen­rat zur Be­gut­ach­tung der Ent­wick­lung im Ge­sund­heits­wesen 2009, S. 46).

Diese Ent­wick­lung­en hatten zur Fol­ge, zum einen den Blick stärker auf die frühzeitige För­de­rung und Prä­ven­ti­on zu len­ken und zum anderen bisherige Systemlogiken zu hinterfragen. Dies führte zu folgenden Implikationen bei den Frü­hen Hilfen:

Frühe Hilfen als frühzeitiges Angebot

Frü­he Hilfen sollen so früh wie mög­lich Eltern da­bei un­ter­stüt­zen, ih­ren Kin­dern von An­fang an, das heißt schon ab der Schwan­ger­schaft und in der frühen Kind­heit, ei­ne gesunde Ent­wick­lung zu er­mög­li­chen und so­mit Risiken für Ge­fähr­dung­en so­weit wie mög­lich zu re­du­zie­ren. Im Zen­trum steht die Un­ter­stüt­zung von Eltern, die auf­grund großer Be­las­tung­en aus eigener Kraft nicht aus­rei­chend für ih­re Kinder sor­gen kön­nen. Die Be­las­tung­en sind vielschichtig und rei­chen von eigenen psychischen Be­ein­träch­ti­gung­en und häuslicher Ge­walt bis hin zu Problemen auf­grund von mangelnder Bil­dung und Ar­mut. Frühzeitige Un­ter­stüt­zung setzt da­bei voraus, dass diese Be­las­tung­en und Be­dar­fe früh­zei­tig er­kannt und pass­ge­na­ue Hil­fen angeboten wer­den.

Frühe Hilfen als systemübergreifendes Angebot

Frü­he Hilfen sind in ers­ter Li­nie kein bestimmter Hilfetyp, son­dern ba­sie­ren auf einem Sys­tem von auf­ei­nan­der bezogenen Unterstützungsangeboten im Rahmen ei­nes Netz­werkes Frü­he Hilfen. Die­ses Netz­werk umfasst so­wohl allgemeine als auch spezifische Hilfen für besondere Prob­lem­lagen. Über die allgemeinen Hilfen kann ein guter Zu­gang zu be­son­ders schwer er­reich­ba­ren Eltern hergestellt wer­den. Dies sind vor allem An­ge­bo­te des Gesundheitssystems, aber auch z. B. der Schwan­ger­schafts­be­ra­tung. Diese An­ge­bo­te wer­den von allen (wer­denden) Eltern genutzt und da­her als nicht stig­ma­ti­sie­rend er­lebt. Die An­bie­ter ge­nie­ßen ein hohes Vertrauen der Fa­mi­lien. Die spezifischen Hilfen um­fas­sen psychosoziale Hilfen für besondere Problemlagen, um den Unterstützungsbedarfen der Fa­mi­lien in pre­kä­ren Le­bens­la­gen ge­recht zu wer­den. Diese wer­den vor allem von der Jugendhilfe vorgehalten. Durch systemübergreifende Zu­sam­men­ar­beit und passgenaue Hilfen kann zum einen wir­kungs­voller für die Fa­mi­lien und zum an­de­ren ressourcenschonender für die Haushalte gearbeitet wer­den, in dem es zu weniger Fehl­ver­sor­gung kommt und Parallelstrukturen vermieden wer­den.

Frühe Hilfen als freiwilliges und partizipatives Angebot

Frü­he Hilfen als förderndes, präventives, an den Res­sour­cen der Eltern orientiertes Unter­stüt­zungs­an­ge­bot leh­nen sich an den Prinzipien der Ge­sund­heits­för­de­rung an. Die Kompetenzen der Eltern sollen so­weit gefördert wer­den, dass sie aus eigenen Kräften für ih­re Kinder sor­gen kön­nen. Die Mo­bi­li­sie­rung der Selbsthilfepotenziale und die Wirk­sam­keit der Hilfen set­zen die freiwillige An­nah­me der Un­ter­stüt­zungs­an­ge­bo­te und die partizipative Beteiligung der Fa­mi­lien am Hilfeprozess voraus. Dies erfordert ei­ne professionelle wertschätzende Haltung den Fa­mi­lien ge­gen­über, so dass sie trotz schwie­rig­ster Le­bens­ver­hält­nis­se grund­sätz­lich Fä­hig­keit­en aus­bil­den kön­nen, die ei­ne Be­wäl­ti­gung der Probleme mög­lich ma­chen.

Dies sind nur ei­ni­ge zentrale Fa­cet­ten zu den Frü­hen Hilfen. Eine begriffliche Standortbestimmung wurde von den Beiräten des NZFH vorgenommen. Da es sich bei den Frü­hen Hilfen um einen jun­gen An­satz der Ge­stal­tung von Un­ter­stüt­zung und Hilfen handelt, wer­den weitere Stu­di­en, Pra­xis­er­pro­bun­gen und fachliche Diskurse not­wen­dig sein, um Qualitätsentwicklungen im Be­reich der Frü­hen Hilfen voranzubringen.

Dennoch wer­den Frü­he Hilfen es nicht al­lein schaffen, dass die Fa­mi­lie ein guter Ort für al­le Kinder in unserer Ge­sell­schaft ist. Frü­he Hilfen müs­sen ein­ge­bet­tet sein in ein gesamtgesellschaftliches En­ga­ge­ment, da­mit die soziale La­ge von Fa­mi­lien nicht über ein gesundes Aufwachsen der Kinder ent­schei­det. Die Schnittstelle zur Verhältnisprävention ist ei­ne weitere Herausforderung im Rahmen der Frü­hen Hilfen.

Literatur

  • Nationales Zentrum Frühe Hilfen (2009): Begriffsbestimmung „Frühe Hilfen“ 2009. Aufrufbar unter www.fruehehilfen.de/wissen/fruehe-hilfen-grundlagen/begriffsbestimmung/.
  • Sachverständigenrat zur Be­gut­ach­tung der Ent­wick­lung im Ge­sund­heits­we­sen (2009): Ko­or­di­na­ti­on und In­te­gra­ti­on - Ge­sund­heits­ver­sor­gung in einer Ge­sell­schaft des län­ge­ren Le­bens, Son­der­gut­ach­ten, Kurz­fas­sung.
  • Schlack, H. (2004): Neue Mor­bi­di­tät im Kin­des­al­ter - Auf­ga­ben für die So­zial­pä­dia­trie. In: Kin­der­ärzt­li­che Pra­xis, 5:292-298.

Dieser Artikel ist in der Sonderausgabe 2012 der Zeitschrift Frühe Kindheit enthalten. Die Ausgabe können Sie hier online lesen oder kostenlos bestellen.

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  • Berlin

    Engagiert. Inklusiv. Ankommen.

    Kulturelle Teilhabe und freiwilliges Engagement als Schlüssel zur Integration für Menschen mit Fluchtgeschichte und Behinderung

    Der Verein KulturLeben Berlin – Schlüssel zur Kultur e.V. richtet im Rahmen der Veranstaltungen zum 15-jährigen Vereinsjubiläum den Fachtag "Engagiert. Inklusiv. Ankommen: Kulturelle Teilhabe und freiwilliges Engagement als Schlüssel zur Integration für Menschen mit Fluchtgeschichte und Behinderung" aus. Die Veranstaltung bringt internationale Vertreter*innen aus Wissenschaft, Politik, Kultur und Zivilgesellschaft zusammen, ebenso wie Akteur*innen aus Initiativen, Selbstorganisationen und migrantischen Communities. Ziel ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse mit Praxiserfahrungen zu verknüpfen und tragfähige Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. Ein zentrales Thema des Fachtags ist die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte und Behinderung.

    Neben Fachvorträgen und Impulsen im Plenum werden auch fünf parallel stattfindende Workshops für kleinere Diskussionsrunden angeboten. Das Programm des Fachtages, weitere Informationen sowie die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier.

    Kategorie: Fachtagung
    Veranstalter: KulturLeben Berlin – Schlüssel zur Kultur e.V.
  • Berlin

    Gesundheitsziele Konferenz 2025: Health in All Policies - Kooperation als Erfolgsfaktor

    Am 8. Dezember 2025 laden wir Sie herzlich in die Landesvertretung Brandenburg in Berlin ein, um gemeinsam die Zukunft der Präventionslandschaft in Deutschland zu gestalten. Die Konferenz bringt wichtige Akteur*innen aus Politik, Wissenschaft und Praxis zusammen, um neue Impulse für eine stärkere Verankerung von Gesundheit in allen Politikbereichen zu setzen. Dazu hält Ilka Wölfle (DSV Europa) einen Impuls zum Health in All Policies Ansatz im internationalen Vergleich. Außerdem wird der "Public Health Index - Gesundheitsschutz im internationalen Vergleich" des AOK-Bundesverbandes vorgestellt. Den Höhepunkt der Veranstaltung bildet die Podiumsdiskussion mit hochkarätigen Gäst*innen zur Zukunft der Präventionslandschaft in Deutschland. 

    Zudem erhalten Sie Einblicke in die aktuellen Arbeitsschwerpunkte des Forums Gesundheitsziele zu den Themen Einsamkeit, Gesundheit rund um die Geburt und die Aktualisierung der bisherigen Gesundheitsziele. Die Veranstaltung klingt bei einem Get-Together mit leichtem Catering aus und bietet Raum für Vernetzung und vertiefende Gespräche.

    Den Link zur Anmeldung finden Sie hier .

    Veranstalter: GVG e.V.
  • Hannover

    Wohl.Fühlen in herausfordernden Zeiten

    Präventionsimpulse für die teil- und vollstationäre Pflege

    Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und neuer gesundheitlicher Herausforderungen gewinnen Gesundheitsförderung und Prävention in Pflegeeinrichtungen mehr denn je an Bedeutung. Sie tragen dazu bei, die Lebensqualität der pflegebedürftigen Menschen zu verbessern, ihre Selbstständigkeit zu erhalten, den Pflegebedarf zu reduzieren und können das Gesundheitssystem entlasten.

    Im Mittelpunkt der Fachtagung stehen innovative Ansätze für Prävention und Gesundheitsförderung in der teil- und vollstationären Pflege. Freuen Sie sich auf praxisnahe Impulse und interaktive Workshops zu aktuellen Themen wie Selbstfürsorge und Stressmanagement im Pflegealltag sowie den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels und Nachhaltigkeit. Weitere Schwerpunkte sind Ernährung, Gewaltprävention, Bewegung und die Stärkung des psychosozialen Wohlbefindens.

    Eingeladen sind Pflege- und Betreuungskräfte, Leitungs- und Führungskräfte, Praxisanleitende, Auszubildende, Studierende, Träger und alle weiteren Interessierten.

    Die Veranstaltung bildet den Abschluss des Projekts Wohl.Fühlen – Klima und Gesundheit, einer Kooperation der LVG & AFS, der BARMER und der Hochschule Hannover.

    Kategorie: Veranstaltung
    Veranstalter: Landesvereinigung für Gesundheit und Alademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e. V.

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