Mediziner sehen bei Adipositas Präventivmedizin und Familienpolitik am Zuge
Übergewicht und krankhafte Fettleibigkeit haben in Deutschland epidemische Ausmaße erreicht und machen bereits fünf Prozent der Kosten im Gesundheitsbereich aus. Zukünftig werden vermehrt Folgeprobleme wie Altersdiabetes daraus resultieren. Das ist der Tenor zu diesem Themenbereich des 31. Interdisziplinären Forums "Fortschritt und Fortbildung in der Medizin" der Bundesärztekammer in Berlin. Für den Kinder- und Jugendbereich setzen die Ärzte vor allem auf Prävention.
Bereits heute gilt gut die Hälfte der Deutschen als übergewichtig, jeder fünfte Bundesbürger als stark übergewichtig (adipös). "Übergewicht und Adipositas steigen nach wie vor an. International liegt Deutschland dabei durchaus in der Spitzengruppe", sagte Prof. Dr. Jan Schulze, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer auf dem Kongress. Zu erklären sei diese Entwicklung mit dem heutigen Lebensstil, dem Bewegungsmangel in Beruf und Freizeit sowie einer Über- und Fehlernährung. Laut Prof. Dr. Rudolf Weiner, Chefarzt an der Chirurgischen Klinik am Krankenhaus Sachsenhausen in Frankfurt am Main, steigt das Mortalitätsrisiko im Durchschnitt auf das zwei- bis dreifache der Normalbevölkerung und die Lebenserwartung vermindert sich für übergewichtige Männer um bis zu acht
Jahre, für übergewichtige Frauen um bis zu sechs Jahre.
In Studien wird eine rapide Gewichtszunahme von Kindern und Jugendlichen mit daraus resultierenden frühen Entwicklungen von gefährdenden Begleit- und Folgekrankheiten konstatiert. Laut Bundesgesundheitssurvey vom September 2006 sind 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig - ein Anstieg von 50 Prozent im Vergleich zum Anfang der 1990er Jahre. Die Zahl der adipösen Kinder und Jugendlichen hat sich sogar im selben Zeitraum auf mehr als sechs Prozent verdoppelt. (Siehe auch Meldung vom 25.9.2006)
"Adipositas im Kindes- und Jugendalter geht mit einer erheblichen geminderten Lebensqualität einher. Dazu gehören ein gestörtes Selbstbild, vermindertes Selbstvertrauen und soziale Diskriminierung", warnte Prof. Dr. Martin Wabitsch, Leiter der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Ulm. Etwa 30 Prozent dieser Kinder und Jugendlichen hätten eine Fettlebererkrankung als Folge ihres Übergewichts entwickelt, ebenfalls 30 Prozent litten am Metabolischen Syndrom. Bei 25 Prozent lägen orthopädische Folgeerkrankungen vor und ein Prozent leide bereits an einer so genannten Altersdiabetes. Dabei zeigt sich Adipositas im Kindes- und Jugendalter für herkömmliche Maßnahmen weitgehend therapieresistent. Dieser Bereich stelle daher eine klassische Aufgabe für die Präventivmedizin dar. "Eine wirksame Prävention kann von einzelnen Personen oder Gruppen im Gesundheitssystem jedoch nicht erbracht werden", so Wabitsch. "Sie ist viel mehr eine vorrangig familienpolitische, hoheitliche Aufgabe des Staates."
Als ungelöste Probleme nannte der Mediziner unter anderem in seinem Vortrag
- Therapieerfolge nur bei motivierten, intakten Familien
- Mentale, psychologische, soziodemografische Faktoren wurden bislang weitgehend ignoriert
- Vernetzung einzelner Angebote fehlt
- Aktionen im Bereich der Gesundheitsförderung zu Unterstützung der Therapieerfolge sind in Deutschland unzureichend.
Die Bedeutung der sozialen Komponente kann dabei sicher noch stärker hervorgehoben werden, als dies in den Vorträgen des 31. Interdisziplinären Forums zum Thema erfolgt ist. Schließlich hat die KiGGs-Studie auch gezeigt: Übergewicht und Adipositas betreffen Kinder aus sozial benachteiligten Schichten und mit Migrationshintergrund in ganz besonderem Maße. Hier ist also neben dem Gesundheitsbereich die Sozialpolitik insgesamt gefordert.
In der Datenbank Gesundheitsprojekte, die über diese Webseite recherchierbar ist, finden sich derzeit zahlreiche Projekte im Bereich der Gesundheitsförderung zum Thema Ernährung und Bewegung bei Kindern und Jugendlichen, darunter zahlreiche Projekte "Guter Praxis" (Good Practice).