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Aktiv für Gesundheit und Chancengleichheit

Interview mit Thomas Altgeld: Prävention und Gesundheitsförderung - Schwerpunkt COVID-19

Ulrike Meyer-Funke , Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V.
04.08.2020

Interview: Prävention und Gesundheitsförderung – Schwerpunkt COVID-19

Gesellschaftlich Be­nach­tei­lig­te leiden häufiger an chronischen Er­kran­kung­en und haben so­mit ein höheres Ri­si­ko für einen schweren Verlauf von COVID-19. Doch welchen Ein­fluss hat die Pan­de­mie auf die gesundheitlichen Ungleichheiten? Was bedeutet das für die Ar­beit in den Landesvereinigungen für Ge­sund­heit? Diese Fra­gen beantwortet Tho­mas Altgeld, Geschäftsführer der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. im In­ter­view mit Ul­ri­ke Meyer-Funke.

Welche Herausforderungen er­ge­ben sich durch COVID-19-Pan­de­mie für die Un­ter­stüt­zung vulnerabler Ziel­grup­pen?

"Bevor ich zur eigentlichen Ant­wort auf die Fra­ge komme, finde ich auch es wich­tig zu er­wäh­nen, dass die COVID-19-Pan­de­mie in Deutsch­land auch die unmittelbare Fol­ge ei­ner globalisierten Wirt­schaft ist. Den Virus nach Deutsch­land ge­tra­gen haben die Mitarbeitenden von Unternehmen, Urlaubende, die nach Asi­en gereist sind, auf Kreuzfahrtschiffen oder im Skiurlaub un­ter­wegs waren. Also al­les Menschen, die nicht so­zi­al benachteiligt sind. Bei den notwendigen, wahr­schein­lich er­folg­reichen Bekämpfungsmaßnahmen der Pan­de­mie ist dann schon die Verordnung, zuhause zu blei­ben für die laut Schät­zung­en der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. et­wa 650.000 Ob­dach­lo­sen in diesem Land per se un­er­füll­bar gewesen.

Das gesamte Maßnahmenbündel in­klu­si­ve des Homeschoolings ist von bes­ser gestellten Grup­pen mit ei­nen höheren Bildungsniveau in größeren, komfortableren Woh­nung­en einfacher zu be­wäl­ti­gen gewesen. Auch hat die Kurzarbeit oder Ar­beits­lo­sig­keit viel mehr Be­rufs­tä­ti­ge aus dem Billiglohnsektor et­wa in der Gas­tro­no­mie, Rei­ni­gung oder Taxigewerbe häufiger getroffen. Die Hotspots des Virus wer­fen ak­tu­ell auch ei­nen erschütternden Ein­druck auf die Ar­beitsbedingungen in der Fleischindustrie, in der modernes Skla­ven­tum mit Werkverträgen und Massenunterkünften ge­pflegt wird. Die Politik hat mit dem Verbot von Werkverträgen ei­ne erste Schluss­fol­ge­rung aus den Missständen gezogen. Auch die anderen deut­lich gewordenen Herausforderungen lie­gen eher auf der Ebe­ne der So­zi­al­po­li­tik als der Ge­sund­heits­för­de­rung. Mehr Chancengerechtigkeit im Bil­dungs­we­sen, gerechtere Ent­loh­nung und effektive, unbürokratische Hilfen für Menschen in Not­la­gen haben auch unmittelbare Ge­sund­heitseffekte. Das ist auch ei­ne Leh­re aus der Pan­de­mie."

Welche Rol­le spielt in diesen Zu­sam­men­hang die Ar­beit der Landesvereinigungen für Ge­sund­heit(sförderung)?

"Die Herstellung ge­sund­heit­licher Chan­cen­gleich­heit spielte schon bei der Vereinsgründung der ältesten Landesvereinigung, nämlich der in Nie­der­sach­sen, ei­ne zentrale Rol­le. 1905 ging es da um Tuberkuloseprophylaxe in den unzumutbaren Ar­beitersiedlungen in Hannover. Auch heute ist ge­sund­heit­liche Chan­cen­gleich­heit das The­ma, das al­le Landesvereinigungen vorantreiben, des­halb sind auch dort die Koordinierungsstel­len Ge­sund­heit­liche Chan­cen­gleich­heit angesiedelt. Diese haben ak­tu­ell vor al­lem die Unterversorgungslagen von vulnerablen Bevölkerungsgruppen, et­wa Ob­dach­lo­sen oder Menschen mit Migrationshintergrund deut­lich gemacht, Trans­pa­renz über Hilfsangebote in der Coronakrise hergestellt und Lobbyarbeit im Be­reich der Landespolitik betrieben. Außerdem wurden An­ge­bo­te auf die veränderten Shutdown-Rahmenbedingungen hin an­ge­passt."

Inwiefern än­dern sich, be­dingt durch COVID-19, die bisherigen Ansätze zur Un­ter­stüt­zung vulnerabler Ziel­grup­pen?

"Die müs­sen sich nicht grund­sätz­lich än­dern. Schon jetzt ent­wi­ckeln die Landesvereinigungen An­ge­bo­te für vulnerable Grup­pen nicht von oben herab als qua­si Volksbeglückung, son­dern im Di­a­log mit ih­nen. Wir in Nie­der­sach­sen leh­nen auch den Be­griff der „Ziel­grup­pe“ des­halb ab, weil im­mer bes­ser gebildete und bes­ser gestellte Bevölkerungsgruppen dann auf benachteiligte Grup­pen „zie­len“. Wer will schon ger­ne selbst ei­ne „Ziel­grup­pe“ von irgendwas oder irgendwem sein. Da diese Top-down-Konzepte so gut wie nie er­folg­reich sind, weil sie nicht an­ge­nom­men wer­den, wird dann zu al­lem Über­fluss die Schuld da­für bei den Menschen sel­ber abgeladen und sie auch noch als „schwer erreichbare Ziel­grup­pen“ diffamiert.

Eine di­a­lo­gisch orientierte Ge­sund­heits­för­de­rung in Lebenswelten, muss sich auch nach der Kri­se nicht verän­dern, da ist eher die Fra­ge, über wel­che Kanäle der Di­a­log or­ga­ni­siert wird. Was die Pan­de­mie aber deut­lich gemacht hat, ist, wie Health-in-all-Policies mög­lich ist, wie ernst die Politik ge­sund­heit­liche Herausforderungen nimmt. Das wei­ter zu for­dern, auch in Rich­tung mehr Verhältnisprävention bei den großen Suchtthemen wie Al­ko­hol, Ta­bak, Glücks­spiel und Er­näh­rung, ist eher die Auf­ga­be der Landesvereinigungen als Leh­re aus dem ak­tu­ellen Geschehen!"

In wel­chen Be­reichen zeigt sich, dass mit den bisherigen Stra­te­gien zur Stär­kung der Ge­sund­heit­lichen Chan­cen­gleich­heit er­folg­reich gearbeitet wurde und man nun, in der Pan­de­mie, die bisherige Ar­beit ge­zielt und effektiv fortführen kann?

"In den Lebenswelten, al­so in der gesundheitsfördernden Ar­beit im Quar­tier und in der Kom­mu­ne. Die Ent­wick­lung integrierter Handlungskonzepte auf die­ser Ebe­ne in Form von Präventionsketten für nachwachsende Generationen ist zu ei­nem zentralen Ar­beits­feld der Landesvereinigungen geworden im letzten Jahr­zehnt. Diese Netzwerke vor Ort haben auch in Zeiten der Kri­se funktioniert. Wenn vor Ort weniger Paral­lelaktivitäten heterogener Ak­teu­rin­nen und Akteure stattfinden und ei­ne gemeinsame Ziel­stel­lung wie die der Stär­kung des Wohlbefindens von Kin­dern und Ju­gend­li­chen verfolgt wer­den, sind die Strukturen auch in Kri­senzeiten handlungsfähig und kön­nen schnell auf veränderte Herausforderungen re­a­gie­ren."

Können Sie uns da­zu Bei­spiele nen­nen?

"Ein wei­teres er­folg­reiches Bei­spiel ist auch das vom GKV Bünd­nis für Ge­sund­heit geförderte Pro­jekt der Verzahnung von Ge­sund­heits- und Ar­beitsmarktförderung. Hier wird die gesundheitsfördernde Angebotsentwicklung für Lang­zeit­ar­beits­lo­se in Jobcentern vorangetrieben. Die Ar­beit der Jobcenter hat sich völlig verändert durch die Kri­se und so bit­ter das auch ist, sie ist jetzt kundenfreundlicher geworden, weil die ganzen Einbestellungen und das Sanktionsregime erst mal weg­fal­len. Anträge per Te­le­fon zu stel­len, war vorher un­denk­bar in diesem Kon­text. Es wurden durch die Landesvereinigungen Ge­sund­heits­för­de­rungsangebote für Lang­zeit­ar­beits­lo­se, die mit diesen entwickelt worden waren, digitalisiert. Die Re­so­nanz auf die An­ge­bo­te in Rheinland-Pfalz und Nie­der­sach­sen bei­spiels­wei­se ist gut. Wahrscheinlich ist ei­ne Fol­ge der Pan­de­mie so­wie­so ein Digitalisierungsschub in den Behörden, aber auch in der Ge­sund­heits­för­de­rung. Das macht ganze neue Angebotsstrukturen mög­lich."

Anmerkung:
Dieses In­ter­view durfte mit freundlicher Genehmigung der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. veröffentlicht werden.

Den Originalbeitrag finden Sie hier.

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  • Hannover

    Wohl.Fühlen in herausfordernden Zeiten

    Präventionsimpulse für die teil- und vollstationäre Pflege

    Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und neuer gesundheitlicher Herausforderungen gewinnen Gesundheitsförderung und Prävention in Pflegeeinrichtungen mehr denn je an Bedeutung. Sie tragen dazu bei, die Lebensqualität der pflegebedürftigen Menschen zu verbessern, ihre Selbstständigkeit zu erhalten, den Pflegebedarf zu reduzieren und können das Gesundheitssystem entlasten.

    Im Mittelpunkt der Fachtagung stehen innovative Ansätze für Prävention und Gesundheitsförderung in der teil- und vollstationären Pflege. Freuen Sie sich auf praxisnahe Impulse und interaktive Workshops zu aktuellen Themen wie Selbstfürsorge und Stressmanagement im Pflegealltag sowie den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels und Nachhaltigkeit. Weitere Schwerpunkte sind Ernährung, Gewaltprävention, Bewegung und die Stärkung des psychosozialen Wohlbefindens.

    Eingeladen sind Pflege- und Betreuungskräfte, Leitungs- und Führungskräfte, Praxisanleitende, Auszubildende, Studierende, Träger und alle weiteren Interessierten.

    Die Veranstaltung bildet den Abschluss des Projekts Wohl.Fühlen – Klima und Gesundheit, einer Kooperation der LVG & AFS, der BARMER und der Hochschule Hannover.

    Kategorie: Veranstaltung
    Veranstalter: Landesvereinigung für Gesundheit und Alademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e. V.
  • Berlin

    Public Health in Krisen und Katastrophen

    Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Public Health e.V.

    Krisen und Katastrophen nehmen immer mehr Einfluss auf unseren Alltag, egal ob Pandemien, Hitzewellen, Überschwemmungen, geopolitische Konflikte oder Angriffe auf kritische Infrastrukturen. Diese und vergleichbare Ereignisse stellen eine Bedrohung für das Leben und die Gesundheit breiter Bevölkerungsgruppen dar. Angesichts dessen steht Public Health - als Wissenschaft und Praxis - vor der gewaltigen Aufgabe, unsere gemeinsame Lebensgrundlage und die Gesundheit der Bevölkerung auch unter zunehmend unsicheren Bedingungen zu schützen und zu erhalten. Gemeinsam wollen wir überlegen, welche Strukturen, Strategien und Kompetenzen erforderlich sind, um aktuellen und zukünftigen Krisenlagen im Gesundheitswesen qualifiziert begegnen zu können. 

    Das ausführliche Programm und Informationen zur Anmeldung finden Sie hier.

    Kategorie: Jahrestagung
    Veranstalter: Deutsche Gesellschaft für Public Health e.V.
  • 18.03.2026

    online

    Difu-Dialog

    Kommunale Hitzevorsorge – Strategien, Partner, Praxisbeispiele

    Mit fortschreitendem Klimawandel steigen auch die gesundheitlichen Risiken von Hitzewellen in Deutschland. Besonders gefährdet sind vulnerable Gruppen wie ältere Menschen, chronisch Kranke und sozial Benachteiligte. Hitzevorsorge und Hitzeschutz beschäftigen viele Kommunen, denn städtische Hitzeinseln verschärfen die Belastung. Maßnahmen auf individueller, kommunaler und gesamtgesellschaftlicher Ebene sind zwingend notwendig, um Städte langfristig lebenswert zu erhalten. Doch wo stehen die Kommunen in Deutschland bei diesem Thema und wie können sie sich auf Hitzewellen vorbereiten? Welche Akteur:innen sind bei der Umsetzung von Maßnahmen wichtige Partner:innen? Und welche guten Beispiele und Learnings gibt es aus Deutschland und Europa?

    Weitere Informationen und den Link zur Anmeldung finden Sie hier.

    Kategorie: Veranstaltung
    Veranstalter: Deutsches Institut für Urbanistik

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