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Aktiv für Gesundheit und Chancengleichheit

Die Beziehung zwischen Wissen und Handeln ist keine Einbahnstraße

Ansgar Gerhardus , Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Public Health (DGPH)
03.03.2013

Interview mit Prof. Dr. Ansgar Gerhardus

Gesundheit Berlin-Brandenburg (GBB):  Sehr geehrter Herr Prof. Gerhardus, Ihr Er­öff­nungs­vor­trag auf dem 18. Kon­gress Ar­mut und Ge­sund­heit steht un­ter dem Ti­tel „Vom Wissen zum Handeln und zu­rück: Brücke, Boot oder (U-)Bahn?“ Was kön­nen wir uns von Ihrem Vortrag er­war­ten?

Gerhardus: Das Kongressmotto „Brücken bau­en zwi­schen Wissen und Handeln - Stra­te­gien der Ge­sund­heits­för­de­rung“ greift ein wichtiges Problem auf: Auf der ei­nen Sei­te produzieren wir Wissen, das nicht genutzt wird, auf der anderen Sei­te handeln wir, oh­ne dass es ei­ne wissenschaftliche Grund­la­ge gibt. Brücken zu bau­en macht in so ei­ner Si­tu­a­ti­on sehr viel Sinn. Das setzt aber voraus, dass ich auf beiden Sei­ten aus­rei­chend Sub­stanz habe, auf die sich ei­ne Brücke stüt­zen kann. In der Re­a­li­tät fehlt aber für viele Bereiche der Ge­sund­heits­för­de­rung diese Sub­stanz, sprich die un­mit­tel­bar passenden Stu­di­en. Mit Recht gibt es da­her den Ruf nach zielgerichteter und bes­ser ausgestatteter For­schung. Bis die Ergebnisse da­raus vorliegen, wird man als zweit­bes­te Lö­sung da­rauf an­ge­wie­sen sein, Da­ten und Informationen von verstreut liegenden „Wissensinseln“ zusammenzutragen. Diese sind sel­ten durch feste Brücken verbunden, da­für braucht es Boote.

GBB:  Der thematische Schwer­punkt des diesjährigen Kongresses liegt auf der Verknüpfung von Wissen und Handeln und da­mit auch auf  der Fra­ge nach gelingendem Praxistransfer in der Prä­ven­ti­on und Ge­sund­heits­för­de­rung. Vor welchen Herausforderungen ste­hen wir hier aus Ihrer Sicht?

Gerhardus:  Bei dem Kon­gress „Ar­mut und Ge­sund­heit“ geht es im­mer auch um die Fra­ge, wel­che Fol­gen die ungleiche Verteilung von Res­sour­cen auf die Ge­sund­heit hat. Wir haben aber auch ein Prob­lem der unglei­chen Verteilung von Wis­sen bzw. der Wis­sens­pro­duk­tion: Bei­spiels­wei­se hat ei­ne Grup­pe von Wis­sen­schaft­ler/in­nen aus­ge­rech­net, dass die National Institutes of Health trotz 4 Mil­lio­nen Schuss­waf­fen­op­fern in den letzten 40 Jahren nur drei For­schungs­projekte zu dem The­ma ge­för­dert haben. Bei Toll­wut wurden da­ge­gen im glei­chen Zeit­raum mehr Projekte gefördert, als es Fälle gab. Bezogen auf un­se­re Si­tu­a­ti­on sollten wir dis­ku­tie­ren: Brauchen wir wirk­lich die fünfhundertste Stu­die zur Fra­ge, ob man mit ei­nem leicht modifizierten Diätprogramm nach sechs Monaten zwei Ki­lo ab­neh­men kann? Oder sollten wir uns nicht auf die vielen Bereiche kon­zen­trie­ren, in de­nen trotz dringenden Hand­lungs­be­darfs große Wis­sens­lü­cken exis­tie­ren, wie z.B. Stra­te­gien zur Verringerung so­zi­al be­ding­ter gesundheitlicher Un­gleich­heit?

In Deutsch­land gibt es ins­ge­samt deut­lich zu we­nig For­schungs­för­derung für die Bereiche Prä­ven­ti­on und Ge­sund­heits­för­de­rung. Das hängt auch mit der gegenwärtigen Ausschreibungssystematik zu­sam­men: Viele For­schungsförderprogramme ori­en­tie­ren sich an definierten Krankheitsentitäten oder an technischen Innovationen. Ge­sund­heits­för­de­rung bezieht sich da­ge­gen nicht auf bestimmte Er­kran­kung­en und wird pri­mär durch so­zi­ale Innovationen, nicht durch technische Innovationen ge­tra­gen.

Hier sollten wir so­wohl die For­schungsförderer wie auch die An­wen­der/in­nen von For­schung stärker in die Pflicht neh­men: Ob Brücke, Boot oder (U-)Bahn - die Beziehung zwi­schen Wissen und Handeln ist kei­ne Ein­bahn­stra­ße. Die Pra­xis sollte der For­schung und der For­schungsförderung genauer und deut­licher als bis­her sa­gen, wo For­schungsbedarf besteht.

GBB:  Wie könnte ei­ne gelungene Schnittstelle zwi­schen Pra­xis und Wis­sen­schaft aus­se­hen? Be­darf es hier ne­ben einschlägigen Stu­di­en auch eigene Akteure oder Formate, die ei­ne In­ter­pre­ta­ti­on und Auf­be­rei­tung des vorliegenden Wissens für die Pra­xis leis­ten?

Gerhardus:  Wir haben lange geglaubt, um Wis­sen­schaft für die Pra­xis nutz­bar zu ma­chen, genüge es, den wissenschaftlichen Duk­tus in ei­ne für Prak­ti­ker/in­nen verständliche Spra­che zu über­set­zen. Abgesehen von ei­nem gewissen Dün­kel, der in die­ser An­nah­me steckt: Das entscheidende Problem liegt in den unterschiedlichen Be­din­gung­en und Anreizsystemen, die für die Wis­sen­schaft an Uni­ver­si­tä­ten ei­ner­seits und die Pra­xis an­de­rer­seits gel­ten. Eine Schnittstelle müsste da­her nicht nur ein Ort der Über­set­zung, In­ter­pre­ta­ti­on und Auf­be­rei­tung sein, son­dern Raum für Verhandlungen bie­ten: Welche Themen, wel­che Probleme sind wich­tig? Für wel­che Aspekte ei­ner Ent­schei­dung kön­nen wir auf wis­sen­schaft­liche Erkenntnisse verzichten, für wel­che nicht? Wie zu­ver­läs­sig (und da­mit wie kosten- und zeit­auf­wän­dig) müs­sen wissenschaftliche Erkenntnisse sein, um gesundheitsrelevante Ent­schei­dung­en tref­fen zu kön­nen?

Für den Be­reich der Krankenversorgung gibt es be­reits ei­nen institutionellen An­satz in Form des Ge­mein­sa­men Bundesausschusses im Zu­sam­men­spiel mit dem In­sti­tut für Qua­li­tät und Wirt­schaft­lich­keit im Ge­sund­heits­we­sen. Aus den USA kom­men vielversprechende Beispiele, wie das Förderprogramm zu Comparative Effectiveness Research und das nachfolgende Patient-Centered Outcomes Research In­sti­tute. Für Prä­ven­ti­on und Ge­sund­heits­för­de­rung wä­re et­was Vergleichbares drin­gend not­wen­dig.

GBB: Da wir in der Abschlussdiskussion mit Vertreter/in­nen aller Bundestagsfraktionen „He­raus­for­de­run­gen der Bundespolitik“ dis­ku­tie­ren: Was er­hof­fen Sie sich von der Politik, wo se­hen Sie den größten Handlungsbedarf?

Gerhardus:  Mit Blick auf das The­ma „Vom Wissen zum Handeln“ sehe ich für Prä­ven­ti­on und Ge­sund­heits­för­de­rung drei zentrale Herausforderungen: (1) Zusammentragen und Priorisieren des For­schungs­be­darfs in Prä­ven­ti­on und Ge­sund­heits­för­de­rung. (2) Eine Verständigung da­rü­ber, welchen Grad an wis­senschaftlicher Zu­ver­läs­sig­keit wir für wichtige gesundheitsbezogene Ent­schei­dung­en voraussetzen wol­len. (3) Eta­blie­rung von  Mechanismen, die da­für sor­gen, dass der so erhobene Forschungsbedarf in Forschungsausschreibungen transformiert wird.

GBB: Herzlichen Dank für das Ge­spräch!

Am Mittwoch, den 6. und Donnerstag, den 7. März 2013 findet der Kongress Armut und Gesundheit in der Technischen Universität Berlin statt. Das komplette Programm für den Kongress sowie weitere Informationen finden Sie hier.

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  • Berlin

    Engagiert. Inklusiv. Ankommen.

    Kulturelle Teilhabe und freiwilliges Engagement als Schlüssel zur Integration für Menschen mit Fluchtgeschichte und Behinderung

    Der Verein KulturLeben Berlin – Schlüssel zur Kultur e.V. richtet im Rahmen der Veranstaltungen zum 15-jährigen Vereinsjubiläum den Fachtag "Engagiert. Inklusiv. Ankommen: Kulturelle Teilhabe und freiwilliges Engagement als Schlüssel zur Integration für Menschen mit Fluchtgeschichte und Behinderung" aus. Die Veranstaltung bringt internationale Vertreter*innen aus Wissenschaft, Politik, Kultur und Zivilgesellschaft zusammen, ebenso wie Akteur*innen aus Initiativen, Selbstorganisationen und migrantischen Communities. Ziel ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse mit Praxiserfahrungen zu verknüpfen und tragfähige Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. Ein zentrales Thema des Fachtags ist die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte und Behinderung.

    Neben Fachvorträgen und Impulsen im Plenum werden auch fünf parallel stattfindende Workshops für kleinere Diskussionsrunden angeboten. Das Programm des Fachtages, weitere Informationen sowie die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier.

    Kategorie: Fachtagung
    Veranstalter: KulturLeben Berlin – Schlüssel zur Kultur e.V.
  • Berlin

    Gesundheitsziele Konferenz 2025: Health in All Policies - Kooperation als Erfolgsfaktor

    Am 8. Dezember 2025 laden wir Sie herzlich in die Landesvertretung Brandenburg in Berlin ein, um gemeinsam die Zukunft der Präventionslandschaft in Deutschland zu gestalten. Die Konferenz bringt wichtige Akteur*innen aus Politik, Wissenschaft und Praxis zusammen, um neue Impulse für eine stärkere Verankerung von Gesundheit in allen Politikbereichen zu setzen. Dazu hält Ilka Wölfle (DSV Europa) einen Impuls zum Health in All Policies Ansatz im internationalen Vergleich. Außerdem wird der "Public Health Index - Gesundheitsschutz im internationalen Vergleich" des AOK-Bundesverbandes vorgestellt. Den Höhepunkt der Veranstaltung bildet die Podiumsdiskussion mit hochkarätigen Gäst*innen zur Zukunft der Präventionslandschaft in Deutschland. 

    Zudem erhalten Sie Einblicke in die aktuellen Arbeitsschwerpunkte des Forums Gesundheitsziele zu den Themen Einsamkeit, Gesundheit rund um die Geburt und die Aktualisierung der bisherigen Gesundheitsziele. Die Veranstaltung klingt bei einem Get-Together mit leichtem Catering aus und bietet Raum für Vernetzung und vertiefende Gespräche.

    Den Link zur Anmeldung finden Sie hier .

    Veranstalter: GVG e.V.
  • Hannover

    Wohl.Fühlen in herausfordernden Zeiten

    Präventionsimpulse für die teil- und vollstationäre Pflege

    Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und neuer gesundheitlicher Herausforderungen gewinnen Gesundheitsförderung und Prävention in Pflegeeinrichtungen mehr denn je an Bedeutung. Sie tragen dazu bei, die Lebensqualität der pflegebedürftigen Menschen zu verbessern, ihre Selbstständigkeit zu erhalten, den Pflegebedarf zu reduzieren und können das Gesundheitssystem entlasten.

    Im Mittelpunkt der Fachtagung stehen innovative Ansätze für Prävention und Gesundheitsförderung in der teil- und vollstationären Pflege. Freuen Sie sich auf praxisnahe Impulse und interaktive Workshops zu aktuellen Themen wie Selbstfürsorge und Stressmanagement im Pflegealltag sowie den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels und Nachhaltigkeit. Weitere Schwerpunkte sind Ernährung, Gewaltprävention, Bewegung und die Stärkung des psychosozialen Wohlbefindens.

    Eingeladen sind Pflege- und Betreuungskräfte, Leitungs- und Führungskräfte, Praxisanleitende, Auszubildende, Studierende, Träger und alle weiteren Interessierten.

    Die Veranstaltung bildet den Abschluss des Projekts Wohl.Fühlen – Klima und Gesundheit, einer Kooperation der LVG & AFS, der BARMER und der Hochschule Hannover.

    Kategorie: Veranstaltung
    Veranstalter: Landesvereinigung für Gesundheit und Alademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e. V.

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