Ärztetag fordert Initiativen gegen Armut
Der Volksmund erwähnt arm und krank in einem Atemzug, und tut dies nicht ohne Grund. Es ist auch kein bloßer Zufall, dass Soziales und Gesundheit in den Ministerien stets zusammengefasst werden. Dieser Erkenntnis folgen nun auch die Verantwortlichen des 108. Ärztetages in Berlin. Berlin scheint der richtige Ort für dieses Thema zu sein. So stellte der Sozialstrukturatlas Berlin bereits 2003 fest, dass soziale und gesundheitliche Größen der räumlichen Beschreibung der Berliner Sozialstruktur wechselseitig zusammen hängen.
Angesichts steigender Arbeitslosigkeit warnen deutsche Mediziner auf dem 108. Deutschen Ärztetag in Berlin vor immer größeren Unterschieden in der Gesellschaft beim Erkrankungsrisiko und den Chancen auf ein gesundes Leben. Die Mediziner schlagen in doppelter Hinsicht Alarm: Zum einen ist die Zahl der Menschen ohne Krankenversicherungsschutz sprunghaft auf 300.000 angestiegen. Zum anderen rücken die Ärzte den Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit in den Vordergrund: „Armut und Arbeitslosigkeit machen krank“, stellt Rudolf Henke, Vorsitzender des Ausschusses Gesundheitsförderung der Bundesärztekammer fest. Angesichts der Tatsache, dass 13,5 Prozent der Menschen in Deutschland unterhalb der Armutsgrenze leben, ist dieser Befund umso alarmierender.
Von dem inzwischen mehrfach bewiesenen Zusammenhang zwischen der sozialen Schichtzugehörigkeit und dem individuellen Morbidität- und Mortalitätsrisiko ausgehend, untersucht die Ärzteschaft diese Korrelation anhand von vier Thesen: Davon lautet die erste: Nicht Armut macht krank, sondern Krankheit macht arm. Angesichts der Tatsache, dass das Gesundheitswesen in Deutschland für Erkrankte und Behinderte immer noch gute Leistungen der Sozialversicherungssysteme bereithält, erklärt dieser Ansatz nur sehr wenige Fälle. Auch die zweite These, dass Arme einen schlechteren Zugang zur medizinischen Versorgung haben, hat nur sehr geringes, wenn nicht gar kein Erklärungspotential.
Am hilfreichsten für die Erklärung des Zusammenhangs von Armut und Krankheit erscheint die Hypothese, dass Arme ein ungünstigeres Gesundheitsverhalten zeigen. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass untere Sozialschichten eher der Auffassung sind, Krankheit nicht selber aktiv verhindern zu können. Hierin liegt die Hauptursache, warum sie sich kaum präventiv um den Erhalt der eigenen Leistungsfähigkeit und Gesundheit kümmern und entsprechend erst dann den Arzt aufsuchen, wenn es sich kaum noch vermeiden lässt.
So nehmen zum Beispiel über doppelt so viele Frauen aus der Oberschicht an Maßnahmen zur Gesundheitsförderung teil. Auch bei Vorsorgeuntersuchungen zeigt sich ein ähnliches Bild; Menschen aus der Unterschicht rauchen häufiger, sind zumeist dicker, etc. pp. Die Liste ließe sich fortführen. Gesamtgesellschaftliches Ziel muss es also sein, Prävention und Gesundheitsförderung zu stärken und gezielt auf sozialräumliche und soziallagenbezogene Problemlage zuzuschneiden. Damit können Menschen mit erheblichem Präventionspotential erreicht werden und somit das Gesundheitsniveau der Bevölkerung spürbar angehoben werden.
Den Zusammenhang zwischen Armut und Arbeitslosigkeit hat bereits der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zum wiederholten Male unterstrichen. Ebenso wird in dem Bericht betont, dass 5 Millionen Arbeitslose 12,5 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung entsprechen. Dazu kommen 2,8 Millionen Menschen, die von Sozialhilfe leben. Dies ist Hauptursache dafür, dass 13,5 Prozent der Bevölkerung, also fast 11 Millionen Menschen, in Deutschland unterhalb der relativen Armutsgrenze leben. Die relative Armutsgrenze liegt bei 60 Prozent des mittleren Einkommens, was 938 Euro monatlich entspricht.
Die zunehmenden finanziellen Probleme der Patient/innen macht sich auch in der Praxis bemerkbar. Die im europäischen Vergleich immer noch niedrigen Zuzahlungen werden zum Problem. Die Zahl der Menschen ohne Krankenversicherung steigt rapide. So wird geschätzt, dass die Zahl von 188 000 auf 300 000 innerhalb von zwei Jahren gestiegen ist. Für diese Menschen kann ein einziger Krankenhausaufenthalt den finanziellen Ruin bedeuten. Auch andere Problemfelder wie den Behandlung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland und die steigende Kinderarmut mit der einhergehenden Verschlechterung ihrer gesundheitlichen Chancen wurden auf dm Ärztetag diskutiert. 10,2 Prozent aller Kinder in Deutschland leben unterhalb der Armutsgrenze.
Der Maßnahmenkatalog, den der Ärztetag fordert sieht im wesentlichen eine Umverteilung von Geldern innerhalb der Ärzteschaft vor. So fordern die Mediziner, dass Krankenkassen, die Projekte zur Förderung der Gesundheit unterprivilegierter Bevölkerungsgruppen ins Leben rufen oder unterstützen, künftig zusätzlich Geld aus dem Risikostrukturausgleich erhalten sollen. Zudem sollen Ärzte von den Krankenkassen Bonuszahlungen außerhalb der Gesamtvergütung erhalten, wenn sie sozial benachteiligte Patienten vor Ort betreuen oder an Präventionsmaßnahmen heranführen.
Die Krankenkassen sollten nach Meinung der Ärzteschaft auf Praxisgebühr und Zuzahlungen bei nachweislich Armen verzichten. Die bisherige Regelung hat zur Verschleppung von Krankheiten geführt und muss deshalb geändert werden. Aber auch zielgruppengerechte Aufklärung über Gesundheitsrisiken und gesundheitsförderndes Verhalten müssen auf der Agenda stehen, wenn Menschen aus der Unterschicht zur Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen motiviert werden sollen. Ärztinnen und Ärzte müssten an der Gesundheitsaufklärung an Kindergärten und Schulen beteiligt werden, um den Gesundheitsstatus von Kindern zu beurteilen. Eine große Forderung des Ärztetages besteht in der Entkoppelung von Beiträgen für das Gesundheitssystem und dem Arbeitseinkommen. Hier eine Lösung zu finden wird Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein, die vermutlich im September gewählt wird.
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