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Aktiv für Gesundheit und Chancengleichheit

Muttersprachliche psychosoziale Beratung von Geflüchteten für Geflüchtete

  • Alexandra Blattner , Ambulanz für seelische Gesundheit St. Josef; Aufnahmeeinrichtung Schweinfurt
  • Hannah Zanker , Ambulanz für seelische Gesundheit St. Josef; Aufnahmeeinrichtung Schweinfurt
19.08.2018

Ein niederschwelliges Modellprojekt des Krankenhauses St. Josef, Schweinfurt und Ärzte ohne Grenzen, Deutschland.

Problemlage und Versorgungssituation

Es ist weit­hin be­kannt, dass Geflüchtete psy­chisch be­son­ders vulnerabel sind. Aus prekären Be­din­gung­en in den jeweiligen Heimatländern, den Erlebnissen wäh­rend der Flucht so­wie widrigen Lebensumständen und fehlenden Zu­kunfts­per­spek­ti­ven im Aufnahmeland kön­nen immense psy­chische Be­las­tung­en re­sul­tie­ren. Diese sind meist eher ei­ne „normale“ Re­ak­ti­on auf extreme Erlebnisse und Lebenssituationen. Gleichzeitig konstatiert die WHO sehr deut­lich: “There is no health without men­tal health”.

In den Herkunftsländern vieler Geflüchteter gibt es kei­ner­lei psychosoziale Versorgung, ent­spre­chend fehlt ih­nen oft ein Krankheitsverständnis. Zudem wer­den sie nach ihrer An­kunft nicht über die psychosozialen, psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgungssysteme in Deutsch­land informiert und zei­gen bei psy­chischer Be­las­tung häufig vor allem körperliche Symptome, mit de­nen sie sich zu­nächst an ei­ne Allgemeinärztin oder ei­nen All­ge­mein­arzt wen­den. Wird die Be­las­tung nicht früh­zei­tig adressiert, besteht das Ri­si­ko chronifizierender Er­kran­kung­en, von Integrationsunfähigkeit oder gar selbst- oder fremdgefährdenden Ausbrüchen.

Die psychosoziale Versorgungssituation von Geflüchteten in Deutsch­land ist auf­grund individueller und struktureller Barrieren un­zu­rei­chend. Posttraumatische Be­las­tungsstörungen, Angststörungen, Depressionen oder auch suizidale Kri­sen blei­ben so­mit häufig un­ent­deckt und/oder unbehandelt. Bei der Be­hand­lung stel­len Sprachbarrieren ein großes Problem dar, zu­mal die potentiellen Behandler/-innen die kul­tu­rell geprägten Konzepte der Kli­ent/-innen von psy­chischen Lei­den oft nicht ken­nen. Da die Fi­nan­zie­rung von Dol­met­scher/-innen häufig nicht gewährleistet ist, kön­nen Verständigungsprobleme nicht aufgelöst wer­den. Im laufenden Asylverfahren sind Geflüchtete zu­dem allgemei­nen Be­schrän­kung­en der Gesundheitsversorgung unterworfen. So ergibt sich bei vielen Behandler/-innen ei­ne gewisse Scheu vor Kli­ent/-innen mit Fluchterfahrung, die durch vermutete Traumatisierungen, den Schweregrad der psy­chischen Be­las­tung so­wie durch den hohen zusätzlichen organisatorischen Auf­wand (Be­an­tra­gung von Dol­met­scher/-innen, Be­an­tra­gung der Kostenübernahme von Be­hand­lung­en) be­dingt ist.

Aus diesen Barrieren resultiert, dass mit den begrenzten Res­sour­cen der bisherigen, fach­lich hochspezialisierten Strukturen kei­ne adäquate Versorgung gewährleistet wer­den kann. Das innovative Modellprojekt des Krankenhauses St. Jo­sef nach dem Arbeitsansatz von Ärzte oh­ne Gren­zen zeigt ei­nen alternativen, präventiven Weg auf.

Projektbeschreibung

In der „Am­bu­lanz für Seelische Ge­sund­heit St. Jo­sef“ bie­ten speziell geschulte Geflüchtete im Rahmen des Projektes „SoulTalk“ psychosoziale Be­ra­tung für neuangekommene Geflüchtete an -  in der Mut­ter­spra­che und di­rekt vor Ort in der Schwein­fur­ter Aufnahmeeinrichtung. Zum Team ge­hö­ren ak­tu­ell drei geflüchtete psychosoziale Be­ra­ter (jew. 75%, ei­ne vierte Stel­le ist der­zeit ausgeschrieben), zwei Psy­cho­lo­gin­nen (insg. 125%) und ei­ne psychologische Prak­ti­kan­tin. Die psychosozialen Be­ra­ter/-innen le­ben be­reits seit einiger Zeit und mit festem Aufenthaltstitel in Deutsch­land und be­fin­den sich in fester An­stel­lung am Krankenhaus St. Jo­sef. Sie verfügen teil­wei­se über berufliche Vorerfahrung im sozialen Be­reich; noch wichtiger ist je­doch ih­re soziale Eig­nung, wie z.B. ih­re Empathiefähigkeit.

Zu Beginn der Tä­tig­keit wurden die Be­ra­ter/-innen in­ten­siv durch Ärzte oh­ne Gren­zen geschult und wer­den nun wei­ter­hin von den Psy­cho­lo­gin­nen in ih­rer Ar­beit durch Supervision und Fort­bil­dung unterstützt. Das Pro­jekt existiert seit Fe­bru­ar 2017 und wird seit Au­gust 2017 al­lein vom Krankenhaus St. Jo­sef ge­tra­gen. Die Pro­jektlaufzeit ist ak­tu­ell bis Mai 2019 be­grenzt.

Nach ei­nem individuellen ersten Kennenlerngespräch er­fah­ren Geflüchtete in drei Grup­penterminen, was körperliche und psychische Ge­sund­heit ist, wel­che Hilfen es in Deutsch­land gibt, was Stressauslöser sind und wie diese mit individuellen Stresssymptomen zu­sam­men­hän­gen (sog. Psychoedukation). Die psychosozialen Be­ra­te­rin­nen und Be­ra­ter ge­ben konkrete, hilfreiche Stra­te­gien im Um­gang mit Stress an die Hand, ani­mie­ren z.B. zu sportlicher Ak­ti­vi­tät, Schlafhygiene und aktiver Alltagsgestaltung. In den Grup­pen tauschen sich die Kli­ent/-innen über Be­las­tung­en und ih­ren Um­gang da­mit aus. Viele ma­chen hier die erleichternde Er­fah­rung, dass es anderen ähn­lich geht wie ih­nen. Sie er­ken­nen, dass ih­re teil­wei­se massiven Stresssymptome wie Schlaf­stö­rung­en, Albträume oder Angstzustände kein Zei­chen da­für sind, dass sie „verrückt“ wer­den, son­dern dass diese ei­ne „normale“ Re­ak­ti­on auf extreme Be­las­tung­en dar­stel­len. Wir stär­ken die Res­sour­cen der Kli­ent/-innen, was vielen wie­der Kraft und Selbst­ver­trau­en gibt. Neben den Grup­pen wer­den auch Einzelgespräche angeboten.

Wir­kungs­wei­se und Not­wen­dig­keit

Durch den eigenen Fluchthintergrund, die­sel­be Spra­che und ihr Wissen um die kulturelle Prä­gung von Ge­sund­heitskonzepten sind die psychosozialen Be­ra­te­rin­nen und Be­ra­ter „Peers“ für ih­re Kli­en­tin­nen und Kli­enten. Die Ge­mein­sam­keit­en ma­chen sie zu Rollenvorbildern und er­mög­li­chen ih­nen ei­nen leichteren Zu­gang zu den Ankommenden. Das Beratungsangebot ist niederschwellig, kos­ten­frei und un­ab­hän­gig vom Asylstatus di­rekt in der Un­ter­kunft aller Be­woh­ner/-innen zu­gäng­lich. Der An­satz ist prä­ven­tiv und ressourcenorientiert. Gleichzeitig besteht die Mög­lich­keit, Personen mit höherem Hilfebedarf in psychiatrische Behandlungsangebote weiterzuvermitteln.

Die Psychoedukationsgruppen wer­den an­hand von standardisierten Fragebögen und ei­nem Eva­lu­a­ti­onsbogen auf Wirk­sam­keit überprüft. Eine Fachpublikation mit der ersten Eva­lu­a­ti­on ist der­zeit in Ar­beit. Insgesamt zeigt sich ei­ne hohe Zu­frie­den­heit der Kli­ent/-innen mit den Grup­pen und zahlreiche Aus­sa­gen von Kli­ent/-innen be­stä­ti­gen die Sinnhaftigkeit des Projektansatzes: „Wir brau­chen nicht nur ei­nen Arzt für den Körper, son­dern auch jemanden wie Euch zum Re­den.“ Die Kli­ent/-innen haben häufig die erstmalige Ge­le­gen­heit, mit ei­ner neutralen, vertrauenswürdigen Person über ih­re Sor­gen zu sprechen. Durch die Vermittlung des Stresskonzepts und den Aus­tausch in der Grup­pe entsteht Nor­ma­li­sie­rung und Er­leich­te­rung. Gleichzeitig wird die Mög­lich­keit für soziale Un­ter­stüt­zung über die Grup­pen hinaus im Alltagsleben der Un­ter­kunft ge­ge­ben. Durch die Fokussierung auf Res­sour­cen und Bewältigungsstrategien wer­den die Kli­ent/-innen motiviert, selbst Ein­fluss auf ih­re psychosoziale Ge­sund­heit zu neh­men.

Zusammenfassend ist zu sa­gen, dass das Schwein­fur­ter Modellprojekt des Krankenhauses St. Jo­sef den in­ter­na­ti­o­nal erprobten An­satz von Ärzte oh­ne Gren­zen er­folg­reich auf den deutschen Kon­text überträgt. Es leistet präventive, psychosoziale Hilfe, adressiert Bedarfe früh­zei­tig und vermittelt bei schwereren Fällen in psychiatrische bzw. psychotherapeutische Be­hand­lung, be­vor es zu einer Es­ka­la­ti­on kom­men könnte. Der hohen Not­wen­dig­keit von psychosozialer Versorgung Geflüchteter wird an­ge­sichts der bestehenden Versorgungslücke in Deutsch­land durch den Pro­jektansatz effektiv Sor­ge ge­tra­gen. Die „Am­bu­lanz für Seelische Ge­sund­heit St. Jo­sef“ ist mit ihrem Pro­jekt „SoulTalk“ für den Deut­schen Integrationspreis 2018 nominiert und belegte im Vorrundenwettbewerb den dritten Platz. Weitere Informationen zum Projekt finden Sie z.B. auf www.betterplace.org, www.josef.de oder auf www.startnext.com

Der Ar­ti­kel ist erst­mals im Informationsdienst Mi­gra­ti­on, Flucht und Ge­sund­heit der Bun­des­zen­tra­le für ge­sund­heit­liche Auf­klä­rung (BZgA) erschienen. Le­sen Sie dort noch mehr Interessantes zu diesem The­men­be­reich.

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  • Hannover

    Wohl.Fühlen in herausfordernden Zeiten

    Präventionsimpulse für die teil- und vollstationäre Pflege

    Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und neuer gesundheitlicher Herausforderungen gewinnen Gesundheitsförderung und Prävention in Pflegeeinrichtungen mehr denn je an Bedeutung. Sie tragen dazu bei, die Lebensqualität der pflegebedürftigen Menschen zu verbessern, ihre Selbstständigkeit zu erhalten, den Pflegebedarf zu reduzieren und können das Gesundheitssystem entlasten.

    Im Mittelpunkt der Fachtagung stehen innovative Ansätze für Prävention und Gesundheitsförderung in der teil- und vollstationären Pflege. Freuen Sie sich auf praxisnahe Impulse und interaktive Workshops zu aktuellen Themen wie Selbstfürsorge und Stressmanagement im Pflegealltag sowie den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels und Nachhaltigkeit. Weitere Schwerpunkte sind Ernährung, Gewaltprävention, Bewegung und die Stärkung des psychosozialen Wohlbefindens.

    Eingeladen sind Pflege- und Betreuungskräfte, Leitungs- und Führungskräfte, Praxisanleitende, Auszubildende, Studierende, Träger und alle weiteren Interessierten.

    Die Veranstaltung bildet den Abschluss des Projekts Wohl.Fühlen – Klima und Gesundheit, einer Kooperation der LVG & AFS, der BARMER und der Hochschule Hannover.

    Kategorie: Veranstaltung
    Veranstalter: Landesvereinigung für Gesundheit und Alademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e. V.
  • Berlin

    Public Health in Krisen und Katastrophen

    Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Public Health e.V.

    Krisen und Katastrophen nehmen immer mehr Einfluss auf unseren Alltag, egal ob Pandemien, Hitzewellen, Überschwemmungen, geopolitische Konflikte oder Angriffe auf kritische Infrastrukturen. Diese und vergleichbare Ereignisse stellen eine Bedrohung für das Leben und die Gesundheit breiter Bevölkerungsgruppen dar. Angesichts dessen steht Public Health - als Wissenschaft und Praxis - vor der gewaltigen Aufgabe, unsere gemeinsame Lebensgrundlage und die Gesundheit der Bevölkerung auch unter zunehmend unsicheren Bedingungen zu schützen und zu erhalten. Gemeinsam wollen wir überlegen, welche Strukturen, Strategien und Kompetenzen erforderlich sind, um aktuellen und zukünftigen Krisenlagen im Gesundheitswesen qualifiziert begegnen zu können. 

    Das ausführliche Programm und Informationen zur Anmeldung finden Sie hier.

    Kategorie: Jahrestagung
    Veranstalter: Deutsche Gesellschaft für Public Health e.V.
  • 18.03.2026

    online

    Difu-Dialog

    Kommunale Hitzevorsorge – Strategien, Partner, Praxisbeispiele

    Mit fortschreitendem Klimawandel steigen auch die gesundheitlichen Risiken von Hitzewellen in Deutschland. Besonders gefährdet sind vulnerable Gruppen wie ältere Menschen, chronisch Kranke und sozial Benachteiligte. Hitzevorsorge und Hitzeschutz beschäftigen viele Kommunen, denn städtische Hitzeinseln verschärfen die Belastung. Maßnahmen auf individueller, kommunaler und gesamtgesellschaftlicher Ebene sind zwingend notwendig, um Städte langfristig lebenswert zu erhalten. Doch wo stehen die Kommunen in Deutschland bei diesem Thema und wie können sie sich auf Hitzewellen vorbereiten? Welche Akteur:innen sind bei der Umsetzung von Maßnahmen wichtige Partner:innen? Und welche guten Beispiele und Learnings gibt es aus Deutschland und Europa?

    Weitere Informationen und den Link zur Anmeldung finden Sie hier.

    Kategorie: Veranstaltung
    Veranstalter: Deutsches Institut für Urbanistik

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