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Logo vom Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit und Site-Slogan: Aktiv für Gesundheit und Chancengleichheit (Link zur Startseite)

Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit

Gesundheitliche Chancengleichheit in Deutschland verbessern und die Gesundheitsförderung bei sozial benachteiligten Gruppen unterstützen - das sind die Leitziele des bundesweiten Kooperationsverbundes. Dem von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) initiierten Verbund gehören 75 Organisationen an. Der Verbund fördert vorrangig die Qualitätsentwicklung in der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung und die ressortübergreifende Zusammenarbeit. Die zentrale Aktivität der Koordinierungsstellen in den Bundesländern ist die Begleitung kommunaler Prozesse, insbesondere über den Partnerprozess "Gesundheit für alle".

Wer durch Ar­mut oder an­de­re schwierige Lebens­um­stän­de benachteiligt ist, hat in Deutsch­land ein dop­pelt so hohes Erkrankungs­risiko und ei­ne um bis zu zehn Jahre geringere Lebens­erwartung als Men­schen aus bes­ser gestellten Bevölkerungs­schichten. Ins­be­son­de­re so­zi­al benach­teiligte Kinder und Jugend­liche sind stärkeren gesund­heitlichen Be­lastungen aus­ge­setzt, wie der Kinder- und Jugend­gesundheits­survey (KiGGS) be­legt. Die schicht­abhängigen Unter­schiede be­tref­fen nach­weislich den Gesundheits­zustand, das Ge­sund­heits­ver­hal­ten und die In­an­spruch­nah­me von Vorsorge­untersuchungen.

Hintergründe, Daten und Materialien

Der Kooperationsverbund und seine Aktivitäten. Ein Selbstdarstellungsvideo von 2012, 11:30 Minuten lang

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Artikel

10.07.2014

Soziale Teilhabe und HARTZ IV

Zur gesundheitlichen Situation von Menschen im Mindestsicherungsbezug

Evelyn Sthamer, ehemals Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.

Schlagwörter:Beschäftigungsfähigkeit, Erwerbslosigkeit, psychische Gesundheit, Studie, Teilhabe

Der Be­zug von Hartz IV-Leistungen hat negative Fol­gen für das subjektive Wohl­be­fin­den. Gleichzeitig erhöht ei­ne schlechte subjektive Ge­sund­heit dras­tisch das Ri­si­ko, über längere Zeit hinweg in prekären Le­bens­la­gen zu verharren.

Im Zuge der sozialpolitischen Reformen seit An­fang der 2000er Jahre rückte die Zielgröße der Teil­ha­be aller Personen am Er­werbs­le­ben wei­ter in den Vordergrund. Seitdem stieg der An­teil erwerbstätiger Personen an. Gleichzeitig verbleiben Menschen - ob mit oder oh­ne Ar­beit - noch im­mer häufig dau­er­haft im Mindestsicherungsbezug, d.h. sie er­hal­ten über längere Zeit Leis­tung­en wie ALG II bzw. „Hartz IV“. Vor dem Hintergrund, dass nicht nur die materielle Grundversorgung, son­dern auch die Mög­lich­keit der Teil­ha­be am gesellschaftlichen Leben ein Grund­recht unserer Ge­sell­schaft ist, stellt sich die Fra­ge, in­wie­fern die Be­trof­fe­nen noch das Ge­fühl haben da­zu zu ge­hö­ren und wel­che Faktoren verhindern kön­nen, dass sie dau­er­haft in prekären Le­bens­la­gen verharren.

Die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO) definiert Ge­sund­heit als „Zu­stand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und da­her weit mehr als die bloße Ab­we­sen­heit von Krank­heit oder Ge­bre­chen“. Ge­sund­heit und gesellschaftliche Teil­ha­be be­din­gen sich da­her nicht nur ge­gen­sei­tig, son­dern kön­nen auch als Kom­po­nen­te des je­weils anderen Konzeptes verstanden wer­den: Eine Person, die vom sozialen Leben aus­ge­schlos­sen ist, kann nach der zitierten De­fi­ni­ti­on nicht als ge­sund gel­ten.

Welche Aus­wir­kung­en hat Er­werbs­lo­sig­keit auf soziale Teil­ha­be?

Wie sich soziale Teil­ha­be im Mindestsicherungsbezug konstruiert, d.h. ob der Be­zug von Mindestsicherungsleistungen auch über fehlende Erwerbsteilhabe und finanzielle Ein­schrän­kung­en hinaus re­le­vant für gesellschaftliche Teil­ha­be - und da­mit auch für die ge­sund­heit­liche Si­tu­a­ti­on der Menschen - ist, war Ge­gen­stand einer Kooperationsstudie des AWO Bundesverbandes und dem In­sti­tut für So­zi­al­ar­beit und So­zi­al­pä­da­go­gik in Frankfurt am Main (ISS-Frankfurt a. M.).  Anhand einer quantitativen Un­ter­su­chung mit Da­ten des Panels „Ar­beits­markt und soziale Si­che­rung“ (PASS) des In­sti­tuts für Ar­beits­markt- und Berufsforschung (IAB) wurde die Si­tu­a­ti­on der Menschen im Mindestsicherungsbezug in den Blick genommen.

Die Stu­die gibt Auf­schluss da­rü­ber, wel­che Faktoren die Si­tu­a­ti­on der Menschen im Mindestsicherungsbezug verbessern und ih­nen soziale Teil­ha­be er­mög­li­chen. Damit kann aufgezeigt wer­den, an wel­chen Stel­len ein besonderer Handlungsbedarf für So­zi­al­po­li­tik und Pra­xis besteht.

Ar­beits­lo­sig­keit, Einkommensarmut und Mindestsicherungsbezug haben je­weils eigene negative Wir­kung­en auf das subjektive Wohl­be­fin­den und auf das Ge­fühl zur Ge­sell­schaft dazuzugehören.

Für das subjektive Wohl­be­fin­den, wel­ches eng mit der psychischen Ge­sund­heit zusammenhängt, wurde gezeigt: Rutscht ei­ne Person in Einkommensarmut, in den Grundsicherungsbezug, oder wird ar­beits­los, hat das negative Wir­kung­en auf das subjektive Wohl­be­fin­den. Dabei wir­ken al­le drei Zustände un­ab­hän­gig voneinander, wo­bei die Erwerbstätigkeit sich als stabilster Fak­tor herauskristallisiert, der soziale Teil­ha­be befördert. Aber das Wohl­be­fin­den wird auch dann durch den Be­zug von Mindestsicherungsleistungen beeinträchtigt, wenn ei­ne Person er­werbs­tä­tig ist und nicht von Einkommensarmut be­trof­fen ist. Dies weist da­rauf hin, dass der Mindestsicherungsbezug mit psychischen Be­las­tung­en verbunden ist, die zum Bei­spiel durch Stig­ma­ti­sie­rung und Scham hervorgerufen wer­den kön­nen. Der alltägliche Um­gang mit Menschen, die staatliche Transferleistungen nach dem SGB II beziehen, ist dem­nach genauer zu be­trach­ten und zu über­den­ken.

Menschen mit gesundheitlichen Ein­schrän­kung­en haben ein hohes Ri­si­ko, dau­er­haft in Ar­beits­lo­sig­keit zu verharren.

Durch die Be­trach­tung von Personen über ei­nen Zeit­raum von fünf  Jahren wurden drei verschiedene Verlaufstypen von Mindestsicherungsbeziehern identifiziert:

  • Menschen, de­nen dau­er­haft der Aus­stieg aus dem Mindestsicherungsbezug gelingt,
  • Menschen, die die meis­te Zeit Mindestsicherungsleistungen beziehen, aber nicht ar­beits­los im engeren Sinne sind (d.h. zum Bei­spiel Leis­tung­en zu­sätz­lich zu ihrem Erwerbseinkommen er­hal­ten oder Hausfrauen bzw. -männer sind) und
  • Menschen, deren Er­werbs­bi­o­gra­fie über­wie­gend durch Ar­beits­lo­sig­keit im Mindestsicherungsbezug gekennzeichnet ist.

Bei der Be­trach­tung der soziodemografischen Merkmale der Grup­pen wurde deut­lich, dass die letztgenannte Grup­pe be­son­ders häufig angibt, ge­sund­heit­liche Probleme zu haben, häufig ei­ne geringe Bil­dung hat und be­son­ders häufig in Ein-Personen-Haushalten lebt. Dies ist ein Hinweis für den dringenden Handlungsbedarf mit Blick auf die För­de­rung der ge­sund­heit­lichen Si­tu­a­ti­on von Ar­beits­lo­sen im Mindestsicherungsbezug. Es stellt sich so­gar die Fra­ge, ob der Rechtskreis des SGB II und das Prinzip des Förderns und Forderns ge­eig­net sind, um den Menschen neue Teilhabechancen zu er­öff­nen oder ob diese Menschen an­de­re, in­di­vi­du­ell ausgestaltete Un­ter­stüt­zung benötigen.  

Faktoren, die die soziale Teil­ha­be er­hö­hen

Soziale Teil­ha­be im SGB-II-Bezug erhöht sich, wenn die subjektive Ge­sund­heit sich verbessert.

Auch wurde in dem Be­richt untersucht, wel­che Faktoren die soziale Teil­ha­be - das heißt das Zu­ge­hö­rig­keits­ge­fühl zur Ge­sell­schaft - im Mindestsicherungsbezug er­hö­hen. Dabei wurde deut­lich, dass ei­ne Verbesserung der subjektiven Ge­sund­heit ein höheres Zu­ge­hö­rig­keits­ge­fühl bewirkt. Die För­de­rung der ge­sund­heit­liche La­ge der Be­trof­fe­nen im Mindestsicherungsbezug, so­wohl mit Blick auf körperliche als auch psychische Aspekte, ist al­so zen­tral. Zudem zeigte sich, dass ei­ne größere Unterstützungswahrnehmung durch die Be­ra­tung des Jobcenters mit ei­nem höheren Teil­ha­beempfinden einhergeht. Deutlich wird auch hier, wie wich­tig es ist, Menschen in prekären Le­bens­la­gen in ih­rer individuellen Si­tu­a­ti­on ernst zu neh­men und auch mit Blick auf ih­re ge­sund­heit­liche Si­tu­a­ti­on zu un­ter­stüt­zen.

For­de­rung­en nach ei­ner engeren Verzahnung von Arbeits- und Ge­sund­heits­för­de­rung

In Be­zug auf die Ge­sund­heit wurden ins­be­son­de­re drei The­sen durch die Stu­die gestützt:  

  • Erstens haben so­wohl der Mindestsicherungsbezug, die Einkommensarmut aber auch die Ar­beits­lo­sig­keit un­ab­hän­gig voneinander ne­ga­tive Konsequenzen für das subjektive und soziale Wohl­be­fin­den. Das heißt, Menschen im Mindestsicherungsbezug haben ers­tens viel weniger das Ge­fühl, zur Ge­sell­schaft zu ge­hö­ren als oh­ne Mindestsicherungsbezug. Außerdemist der Leistungsbezug tat­säch­lich auch ei­ne Ur­sa­che da­für, dass Personen ein geringeres Teil­ha­beempfinden haben. Wenn je­mand in den Leistungsbezug rutscht, wirkt sich dies auch ne­ga­tiv auf sei­ne soziale Teil­ha­be aus.
  • Zweitens erhöht ei­ne schlechte subjektive Ge­sund­heit das Ri­si­ko, über längere Zeit hinweg in Ar­beits­lo­sig­keit mit gleichzeitigem Mindestsicherungsbezug zu verharren.
  • Drittens steigt das Teil­ha­beempfinden im Mindestsicherungsbezug, wenn sich die subjektive Ge­sund­heit der Be­trof­fe­nen verbessert.

Gefordert ist des­halb so­wohl die ge­sund­heit­liche Vorsorge als auch die För­de­rung von Erwerbstätigkeit trotz gewisser ge­sund­heit­licher Ein­schrän­kung­en. Vieles deutet da­rauf hin, dass ein Aus­bau des Präventionsansatzes und ei­ne engere Verzahnung von Ar­beits­markt und Ge­sund­heits­för­de­rung  wichtige Baustei­ne auf dem Weg zu ei­ner stärkeren sozialen Teil­ha­be von Menschen in prekären Le­bens­la­gen sind.

Den Bericht können Sie hier bestellen (externer Link).

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