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Logo vom Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit und Site-Slogan: Aktiv für Gesundheit und Chancengleichheit (Link zur Startseite)

Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit

Gesundheitliche Chancengleichheit in Deutschland verbessern und die Gesundheitsförderung bei sozial benachteiligten Gruppen unterstützen - das sind die Leitziele des bundesweiten Kooperationsverbundes. Dem von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) initiierten Verbund gehören 76 Organisationen an. Der Verbund fördert vorrangig die Qualitätsentwicklung in der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung und die ressortübergreifende Zusammenarbeit. Die zentrale Aktivität der Koordinierungsstellen in den Bundesländern ist die Begleitung kommunaler Prozesse, insbesondere über den Partnerprozess "Gesundheit für alle".

Wer durch Ar­mut oder an­de­re schwierige Lebens­um­stän­de benachteiligt ist, hat in Deutsch­land ein dop­pelt so hohes Erkrankungs­risiko und ei­ne um bis zu zehn Jahre geringere Lebens­erwartung als Men­schen aus bes­ser gestellten Bevölkerungs­schichten. Ins­be­son­de­re so­zi­al benach­teiligte Kinder und Jugend­liche sind stärkeren gesund­heitlichen Be­lastungen aus­ge­setzt, wie der Kinder- und Jugend­gesundheits­survey (KiGGS) be­legt. Die schicht­abhängigen Unter­schiede be­tref­fen nach­weislich den Gesundheits­zustand, das Ge­sund­heits­ver­hal­ten und die In­an­spruch­nah­me von Vorsorge­untersuchungen.

Hintergründe, Daten und Materialien

Der Kooperationsverbund und seine Aktivitäten. Ein Selbstdarstellungsvideo von 2012, 11:30 Minuten lang

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Artikel

02.06.2015

Lebensort Vielfalt

Ein schwules Mehrgenerationenhaus

Dieter Schmidt, Schwulenberatung Berlin gGmbH
Marco Pulver, Schwulenberatung Berlin gGmbH

Schlagwörter:Demenz, Lebenswelten, Männergesundheit, Pflege, psychische Gesundheit, sexuelle Gesundheit, Sozialraum, Ältere

Die bedarfsgerechte Aus­stat­tung von Woh­nung­en, das soziale Um­feld, An­ge­bo­te zur Teil­ha­be und der Einbezug besonderer Bedürfnisse der Be­woh­ner sind ei­ne wesentliche Voraussetzung für Wohl­be­fin­den und Ge­sund­heit. Das 2012 eröffnete, europaweit erste schwule Mehrgenerationenhaus setzt hier an: Mit facettenreichen An­ge­bo­ten bietet es den Mie­tern in Berlin-Charlottenburg ein bedarfsgerechtes Zuhause und macht gelebte Vielfalt wahr. Die meisten Woh­nung­en in diesem Haus be­woh­nen schwule Männer im Al­ter von 55 bis 85 Jahren. Diese Männer haben ei­nen Groß­teil ihres Lebens in Angst vor Diskriminierung und strafrechtlicher Verfolgung auf­grund ihrer Homosexualität le­ben müs­sen. Sie ge­nie­ßen die Tat­sa­che, dass Schwulsein im Lebensort Vielfalt selbst­ver­ständ­lich ist. Genauso wich­tig ist den schwulen Be­woh­nern aber auch, dass ei­ni­ge Woh­nung­en für Frauen und jüngere Männer re­ser­viert sind und da­her nicht das Ge­fühl entsteht, in ei­nem „Al­ten­heim“ oder „Schwulen-Reservat“ zu le­ben. Die Mie­te­rin­nen und Mie­ter le­gen Wert auf ei­ne gelebte Nach­bar­schaft und gemeinschaftliche Aktivitäten. Auf diese Wei­se hat man sich in­zwi­schen gut kennengelernt und es ist ei­ne starke Hausgemeinschaft entstanden.

Die Wohnungen: Barrierefrei und mietergerecht

Insgesamt verfügt das Haus über 24 Woh­nung­en, größ­ten­teils Zweiraumwohnungen, aber auch meh­re­re Einraum-, Dreiraum- und ei­ne Vierraumwohnungen. Der Um­bau aller Woh­nung­en wurde nach ei­ner Ent­ker­nung der oberen Stockwerke des Gebäudes ent­spre­chend der Plä­ne des Ar­chi­tek­ten Ullrich Schop bar­rie­re­frei und zum Teil roll­stuhl­ge­recht aus­ge­führt. An der Ge­stal­tung der Woh­nung­en und des Haus­kon­zep­ts waren auch viele beteiligt, die vor dem Um­bau des Ge­bäu­des an ei­ner so­ge­nan­nten Haus-AG teilnahmen, in der das Pro­jekt geplant und diskutiert wurde. So wurden ge­mäß dem Wunsch der Be­woh­ner z. B. ei­ni­ge Woh­nung­en mit ei­ner separaten, an­de­re mit ei­ner offenen Kü­che ausgestattet. Ein Teil der Bäder ist mit ei­ner bar­rie­re­freien, bo­den­gleich­en Du­sche versehen, ein an­de­rer Teil mit ei­ner Ba­de­wan­ne. Alle Woh­nung­en haben ei­nen Südbalkon. Die Wohn­ungs­mie­ten lie­gen zur­zeit bei durch­schnitt­lich 11 Eu­ro Warm­mie­te pro Qua­drat­me­ter. Die klei­neren Woh­nung­en im Lebensort Vielfalt haben ei­nen reduzierten Miet­preis und sind auch für Men­sch­en mit ge­ring­em Ein­kom­men bzw. ALG-II-Bezug  („Hartz IV“) er­schwing­lich.

Einbindung und soziale Teilhabe im Lebensraum Vielfalt

Die Beteiligung Vieler an der Konzeptentwicklung des Lebensortes Vielfalt ist ein wesentlicher Grund da­für, dass sich die Menschen hier wohlfühlen. Neben den erwähnten Woh­nung­en beherbergt das Ge­bäu­de in der Niebuhrstr 59/60 auch ein Re­stau­rant mit Veranstaltungsbetrieb - der „Wilde Os­car“ -, ei­ne betreute Wohn­ge­mein­schaft für schwule Männer mit Pflegebedarf und De­menz, ei­ne schwul-lesbische Ausleihbibliothek so­wie Büros und Beratungsräumen der Schwulenberatung Ber­lin.

Die Schwulenberatung Berlin, Vermieter des Lebensortes Vielfalt, ist die größ­te psychosoziale Versorgungseinrichtung für schwule und bisexuelle Männer. Sie bietet auch Menschen mit HIV und AIDS, Transidenten und Intersexuellen Be­ra­tung und Un­ter­stüt­zung. Die Schwulenberatung Ber­lin hat ih­re Büros im ersten Stock des Gebäudes bezogen. Sie nutzt au­ßer­dem zwei Grup­penräume im Erd­ge­schoss. Dort befindet sich auch der Empfang für Be­su­cher des Hauses.

Der Lebensort Vielfalt wurde durch die Schwu­len­be­ra­tung Ber­lin re­al­i­siert, was nicht nur die Be­schaf­fung der be­nö­tig­ten Gel­der be­in­hal­tete: Viel­mehr wa­ren auch die un­ter­schied­lich­en, sich zum Teil wi­der­sprech­en­den Be­lange der vie­len be­tei­li­gten Per­so­nen, Grup­pen, Or­ga­ni­sa­tionen - z. B. Be­woh­ne­rin­nen und Be­woh­ner, Stif­tung­en, Be­hör­den, Mit­ar­bei­ten­de, Ban­ken - zu be­rück­sich­ti­gen. Ein her­aus­for­dern­des Un­ter­fang­en, das maß­geb­lich der Ge­schäfts­füh­rer der Schwu­len­be­ra­tung Ber­lin, Mar­cel de Groot, ge­lei­stet hat. Heu­te or­ga­ni­siert die Be­ra­tungs­stel­le die ge­samte Ver­wal­tung des Le­bens­ortes Viel­falt so­wie die so­zial­pä­da­go­gische Be­glei­tung der Mie­ter in den oberen vier Eta­gen des Hauses.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Seniorenprojekts der Schwulenberatung Berlin (Netzwerk Anders Altern) fördern die Hilfsbereitschaft und das Engagement der Bewohnerschaft untereinander. So wurde z. B. für alle, die sich verstärkt um jene Nachbarinnen und Nachbarn im Haus kümmern wollen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, ein kostenloses Rollstuhl-Training organisiert. Außerdem koordiniert das Netzwerk einen ehrenamtlichen Besuchsdienst (Mobiler Salon), der schwulen Männern in ganz Berlin, aber eben auch einigen Bewohnern des Hauses, zugutekommt. Die Schwulenberatung Berlin verspricht den Mietern im Lebensort Vielfalt, dass im Falle des Eintritts von Pflegebedürftigkeit ambulante Pflege organisiert wird und die Mieter nicht in eine Pflegeeinrichtung umziehen müssen. Nur in Ausnahmefällen wird ein stationärer Aufenthalt nicht vermeidbar sein.

Wohngemeinschaft für schwule Männer mit Pflegebedarf und Demenz

In der oben be­reits erwähnten Wohn­ge­mein­schaft, im zweiten Stock der Niebuhrstr. 59/60, wird 24 Stun­den täg­lich für acht Be­woh­ner Pfle­ge or­ga­ni­siert. Voraussetzung für den Ein­zug in die Wohn­ge­mein­schaft ist das Vorliegen einer Pfle­gestufe, weil die Pfle­ge im nö­ti­gen Um­fang und auf gleich bleibendem Qualitätsniveau an­sons­ten nicht re­a­li­sier­bar wä­re.

In der WG le­ben Männer mit einer dementiellen Er­kran­kung zu­sam­men mit anderen, die z. B. in Fol­ge einer HIV-Er­kran­kung oder ei­nes Schlaganfalls pfle­ge­be­dürf­tig geworden sind. Die Altersstruktur der acht Be­woh­ner liegt zwi­schen An­fang 50 und Mit­te 80. Die Be­leuch­tung des sozialen Hintergrundes ergibt ein vielfältiges Bild: Neben ei­ni­gen ganz auf sich al­lein gestellten Be­woh­nern verfügt ein anderer Teil durch­aus über ein intaktes und sehr aktives familiäres bzw. freundschaftliches Um­feld, das in den Lebensalltag der Wohn­ge­mein­schaft mög­lichst eingebunden wer­den soll.

Angebote für physisches und seelisches Wohlbefinden

Um die pfle­ge­risch­e Ver­sor­gung der Be­woh­ner zu ge­währ­lei­sten, ko­op­e­riert die Schwu­len­be­ra­tung Ber­lin mit ei­nem ex­ter­nen Pfle­ge­dienst. Ein fes­tes Pfle­ge­team ver­sor­gt die Be­woh­ner rund um die Uhr - zwei Pfle­ge­kräf­te je­weils vor- und nach­mit­tags so­wie ei­ne zur Nacht. Ge­zielt wur­den vor­wie­gend schwu­le Pfle­ger ein­ge­stellt, um die Vor­aus­setz­ung da­für zu op­ti­mie­ren, dass sich die Be­woh­ner ak­zep­tiert und ver­stan­den füh­len. Auch für den Kör­per­kon­takt, der bei der Pfle­ge ei­ne große Rol­le spielt, ist es nicht sel­ten von Vorteil, dass die Pfle­ger Männer und sel­ber schwul sind. Horst z. B., der nach ei­nem Schlag­an­fall pfle­ge­be­dürf­tig wurde, liebt es, von Sziard, den er „am liebsten heiraten“ würde, geduscht zu wer­den. Bei schwulen Pfle­gern kann au­ßer­dem ein um­fang­rei­ches Wissen über schwule Orte und Le­bens­wel­ten vor­aus­ge­setzt wer­den. Ob z. B. das „New Ac­tion“ oder das „Snaxx“ barrierefrei sind, kann der Be­woh­ner Paul eher vom Pfle­ger Die­ter als von Be­a­te er­fah­ren, auch wenn Be­a­te schon seit Er­öff­nung der WG zum Pfle­geteam gehört und die Welt schwuler Männer in­zwi­schen viel bes­ser kennt.

Ein Mit­ar­bei­ter des Netz­werk „Anders Altern“, Die­ter Schmidt, Diplom-Psy­cho­lo­ge und Coautor des vor­lie­gen­den Beitrags, ist 20 Stun­den wö­chent­lich für die Be­treu­ung der Be­woh­ner und die Ko­or­di­na­ti­on nicht­pflege­rischer Leis­tung­en zu­stän­dig. Konkret heißt das z. B., Gruppen- und Ein­zel­ge­sprä­che an­zu­bie­ten, mit den Be­woh­nern biographisch zu ar­bei­ten, Krisen­be­ra­tungen durchzuführen, Mitar­bei­tende der Be­ra­tungs­stel­le so­wie Mul­ti­pli­ka­to­rin­nen und Mul­ti­pli­ka­tor­en über das Pro­jekt zu in­for­mie­ren oder Fort­bil­dung­en zu or­ga­ni­sie­ren. Vor allem aber geht es da­rum, die Be­woh­ner zu mo­ti­vie­ren, ge­eig­ne­te Au­ßen­ak­ti­vi­tä­ten wahrzuneh­men. So neh­men drei Mie­ter der Pfle­ge-WG mitt­ler­wei­le an der im Rahmen des Netz­werks „Anders Altern“ an­ge­bo­ten­en The­a­ter­grup­pe „Ro­sa Fal­ten“ teil. Der Psy­cho­lo­ge kümmert sich aber nicht nur um ei­ne gute In­te­gra­ti­on pfle­ge­be­dürf­tiger Mie­ter, er garantiert au­ßer­dem, als Bin­de­glied zwi­schen der Schwulen­beratung und der Wohn­ge­mein­schaft bzw. dem Pfle­gedienst, ei­nen qualifi­zierten fach­lichen Aus­tausch.

Der Lebensort Vielfalt freut sich über Besuch. Wer nicht nur auf einen Kaffee im Wilden Oscar vorbei schauen, sondern sich ausführlicher informieren will, vereinbart am besten einen Termin.

Kontakt: info(at)schwulenberatungberlin.de

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