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Logo vom Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit und Site-Slogan: Aktiv für Gesundheit und Chancengleichheit (Link zur Startseite)

Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit

Gesundheitliche Chancengleichheit in Deutschland verbessern und die Gesundheitsförderung bei sozial benachteiligten Gruppen unterstützen - das sind die Leitziele des bundesweiten Kooperationsverbundes. Dem von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) initiierten Verbund gehören 75 Organisationen an. Der Verbund fördert vorrangig die Qualitätsentwicklung in der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung und die ressortübergreifende Zusammenarbeit. Die zentrale Aktivität der Koordinierungsstellen in den Bundesländern ist die Begleitung kommunaler Prozesse, insbesondere über den Partnerprozess "Gesundheit für alle".

Wer durch Ar­mut oder an­de­re schwierige Lebens­um­stän­de benachteiligt ist, hat in Deutsch­land ein dop­pelt so hohes Erkrankungs­risiko und ei­ne um bis zu zehn Jahre geringere Lebens­erwartung als Men­schen aus bes­ser gestellten Bevölkerungs­schichten. Ins­be­son­de­re so­zi­al benach­teiligte Kinder und Jugend­liche sind stärkeren gesund­heitlichen Be­lastungen aus­ge­setzt, wie der Kinder- und Jugend­gesundheits­survey (KiGGS) be­legt. Die schicht­abhängigen Unter­schiede be­tref­fen nach­weislich den Gesundheits­zustand, das Ge­sund­heits­ver­hal­ten und die In­an­spruch­nah­me von Vorsorge­untersuchungen.

Hintergründe, Daten und Materialien

Der Kooperationsverbund und seine Aktivitäten. Ein Selbstdarstellungsvideo von 2012, 11:30 Minuten lang

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Artikel

17.01.2018

Kinderarmut bekämpfen

Veraltete Familienbilder überwinden

Michael David, Diakonie Deutschland; Nationale Armutskonferenz

Schlagwörter:Armut, Kinder

In Deutsch­land le­ben rund drei Millionen Kinder in Ar­mut. Zwei Millionen beziehen Hartz-IV-Leis­tung­en.

Lässt sich da­raus fol­gern, dass das Ar­mutsrisiko von Kin­dern und Fa­mi­lien all­ge­mein be­son­ders hoch ist? Tatsächlich ist die Be­dro­hung durch Ar­mut sehr un­gleich­mä­ßig verteilt. Hauptbetroffene sind Allei­nerziehende und ih­re Kinder.

Ungleiches Ar­mutsrisiko

Relative Einkom­mensarmut wird vom Statistischen Bun­des­amt mit 60 Pro­zent des mittleren Einkom­mens ei­ner Stich­pro­be ge­mes­sen. Während das durchschnittliche Ar­mutsrisiko al­ler in Deutsch­land le­benden Menschen bei 16,5 Pro­zent liegt, ist es für Allei­nerziehende und ih­re Kinder dop­pelt so hoch. 40 Pro­zent le­ben mit Hartz-IV-Leis­tung­en.

Fa­mi­lien mit zwei verheirateten Elternteilen und nicht mehr als zwei Kin­dern haben da­ge­gen ein halb so hohes Ar­mutsrisiko wie der gesellschaftliche Durch­schnitt. Leben in ei­nem Haushalt drei oder mehr Kinder, liegt das Ar­mutsrisiko über dem Durch­schnitt und steigt mit jedem weiteren Kind deut­lich an.

Fa­mi­lienförderung: Veraltete Normen

Das zeigt: of­fen­bar gilt in der Fa­mi­lienpolitik noch im­mer die gesellschaftliche Norm: wer heiratet und bis zu zwei Kinder bekommt, macht wohl al­les rich­tig. Dagegen ist Hartz IV das Auf­fang­be­cken für ei­ne verfehlte Fa­mi­lienpolitik. Wer in an­de­ren Fa­mi­liensituationen lebt, wird di­rekt und täg­lich von Ar­mut bedroht.

So ist ei­ne geschlechtsspezifische Be­nach­tei­li­gung Richt­schnur der familienpolitischen Leis­tung­en. Im Wesentlichen erfolgt die Fa­mi­lienförderung über Steuernachlässe. Und die wir­ken in der bürgerlichen Klein­fa­mi­lie am besten. Allei­nerziehende - zu 90 Pro­zent Frauen - sind da­ge­gen schlechter dran als Verheiratete oh­ne Kinder.

Und die­ses Problem setzt sich auch im Al­ter fort. Das Ar­mutsrisiko von Se­ni­o­rin­nen ist über­durch­schnitt­lich, das von Senioren un­ter­durch­schnitt­lich. Das ist Fol­ge von Tren­nung­en, Todesfällen und ei­nem Fa­mi­lienmodell, das noch im­mer ei­nen Er­näh­rer ins Zen­trum stellt.

Die Fa­mi­lienförderung wirkt dann am stärksten, wenn Frauen we­nig er­werbs­tä­tig sind. Die Spätfolgen hat nie­mand im Blick, solan­ge die Klein­fa­mi­lie noch intakt mit Er­näh­rermodell funktioniert.

Konsequenzen im All­tag

Für den All­tag von Kin­dern folgt hieraus ei­ne bittere Er­fah­rung. Fa­mi­lienmodelle, die sich veralteten Normen nicht beu­gen, füh­ren oft zu bitteren Konsequenzen für die Kinder und ih­re Fa­mi­lien.

Da sind im Bildungs- und Teilhabepaket 70 Eu­ro zu Schuljahresbeginn und 30 zum Halbjahr für Schulmaterial vorgese­hen. Mit ei­ner Stu­die hat die Di­a­ko­nie Nie­der­sach­sen nachgewiesen, dass tat­säch­lich zum Schuljahresbeginn bis zu 200 Eu­ro fäl­lig wer­den.

Für Kan­ti­nen­es­sen bei Kin­dern errechnet der Hartz-IV-Re­gel­satz Kosten von we­niger als ei­nem Eu­ro im Monat. Mel­den Eltern ih­re Kinder für die schulische Verpflegung an, müs­sen sie ei­nen Eu­ro Eigenanteil zah­len - am Tag.

Hausaufgaben sind oh­ne In­ter­net kaum zu ma­chen. Die günstigste Va­ri­an­te für ei­nen In­ter­netanschluss - ei­nen Kombianschluss mit Datenflatrate und W-Lan - se­hen die Be­rech­nung­en in der Grundsicherung aber nicht vor.

Ge­sun­de Er­näh­rung ist nicht der Maß­stab für den Re­gel­satz, Klei­dung, für die man nicht auf dem Schul­hof gehänselt wird, noch we­niger. Und: nicht einmal Fes­te sind vorgese­hen. Kon­fir­ma­ti­on, Kom­mu­ni­on oder an­de­re religiöse Feiern kom­men in den Be­rech­nung­en ge­nau­so we­nig vor wie Weih­nachts­baum und Ad­vents­kranz. Es gibt auch kei­ne einmaligen Zah­lung­en da­für.

Dafür besteht für Kinder ab dem 15. Ge­burts­tag ei­ne Re­chen­schafts­pflicht ge­gen­über dem Job-Center. Ist es schließ­lich nicht viel günstiger, die Schule abzubrechen, kein Ab­itur zu ma­chen und in ei­nen prekären Job zu ge­hen?

Was ist zu tun?

Heute hat die Fa­mi­lienförderung ei­nen um­so höheren Ef­fekt, je höher das Fa­mi­lieneinkom­men ist. Der Net­to­er­trag liegt bei mehr als 280 Eu­ro, wäh­rend al­le, die knapp über den Berechnungsgrenzen für So­zi­al­leis­tun­gen lie­gen, we­niger als 200 Eu­ro Kin­der­geld be­kom­men. Für Ehepaare kom­men zu den Kinderfreibeträgen noch Splittingvorteile da­zu.

Die So­zi­al­leis­tun­gen - Re­gel­satz, Kinderzuschlag oder Wohn­geld - glei­chen diese Ungleichgewichte nicht aus. Das Kin­der­geld wird voll angerechnet, die Sätze für Kinder un­ter 15 Jahren lie­gen un­ter­halb der Steuer-Förderbeträge.

Hinzu kommt: 40 Pro­zent der Leistungsberechtigten be­an­tra­gen gar kei­ne So­zi­al­leis­tun­gen - aus Scham, Un­wis­sen­heit oder Angst vor Kon­trol­le. Da geht es oft um ergänzende Leis­tung­en zu geringem Einkom­men und um zusätzliche Lü­cken von um die 100 Eu­ro im monatlichen Fa­mi­lieneinkom­men, die dann lie­ber in Kauf genommen wer­den. Bei den Leis­tung­en nach dem Bildungs- und Teilhabepaket ist die Nicht-Inanspruchnahme noch viel höher aus­ge­prägt. Das liegt an den kom­pli­zierten Re­ge­lung­en.

Besondern schlecht dran sind junge Mütter, die sich für ein Kind ent­schei­den, ob­wohl sie von An­fang an oh­ne Part­ner le­ben. Für sie ist die gegenseitige Verrechnung von Sozial- und Fa­mi­lienleistungen ei­ne existenzbedrohliche Fal­le.

Da muss die Ge­burt gemeldet, die Aus­stel­lung der Ge­burts­ur­kun­de abgewartet, dann Kin­der­geld und Mindestelterngeld beantragt wer­den. Das Ganze wird dann kom­pli­ziert mit dem Hartz-IV-Re­gel­satz verrechnet. Dabei kommt es oft zu Fehlern - und da wird oft et­was angerechnet, was von ei­ner an­de­ren Stel­le noch gar nicht ausgezahlt wurde. Für die Mütter mit Babys bedeutet das: Tafelbesuch vom ersten Tag an.

Soziale Mindestsicherung: drei Aspekte

Darum wol­len wir ei­ne einheitliche Mindestsicherung er­rei­chen. Das bedeutet dreierlei:

  • Zum Ersten sollte ein An­trag bei ei­ner Stel­le gestellt und ein Be­scheid erteilt wer­den. Wie Ämter un­ter­ei­nan­der So­zi­al­leis­tun­gen verrechnen, sollte die Leistungsbeziehenden nicht beinträchtigen. Sie sollen ei­ne Sum­me zu ei­nem Zeit­punkt be­kom­men.
  • Zum Zweiten muss das Exis­tenz­mi­ni­mum einheitlich ermittelt und ausgezahlt wer­den. Jedes Kind ist gleich viel wert. Darum sollte ein gleich hoher Grundbetrag jedes Kind er­rei­chen.
  • Zum Dritten muss Be­dürf­tig­keit und nicht Steuerentlastung das handlungsleitende Prinzip der Fa­mi­lienförderung wer­den. Wer ne­ben dem Grundbetrag noch Wohn­geld oder weitere ergänzende Hilfen wie für Schulmaterial, Mobilität oder Frei­zeit und Kul­tur braucht, soll diese be­kom­men - ein­fach, un­bü­ro­kra­tisch und in Höhe der tat­säch­lichen Kosten.

Rat­schlag Kinderarmut

In diesem Sinne setzt sich die Di­a­ko­nie Deutsch­land mit vielen an­de­ren Wohlfahrtsverbänden, Sozialverbänden, dem Kinderschutzbund, dem Kinderhilfswerk und weiteren Part­ner*innen mit dem „Rat­schlag Kinderarmut“ für ei­ne Neuausrichtung der Fa­mi­lienpolitik ein. Mehr als 37.000 Personen haben ei­ne Pe­ti­ti­on un­terschrieben, die wir im Wahl­kampf an die großen demokratischen Parteien über­ge­ben haben. In den Jamaika-Verhandlungen hatte sich we­nigs­tens die Einsicht durchgesetzt, dass et­was beim Schulbedarfspaket und beim schulischen Mittagessen getan wer­den muss.

Jede zukünftige Bun­des­re­gie­rung wird sich da­ran mes­sen las­sen müs­sen, ob sie in der Fa­mi­lienpolitik mit veralteten Normen und Fa­mi­lienvorstellungen weiterwurschtelt - oder die Hilfen ge­zielt da­hin bringt, wo sie am nötigsten sind.

Der Au­tor Michael Da­vid ist bei der Di­a­ko­nie Deutsch­land für das Ar­beits­feld So­zi­al­po­li­tik ge­gen Ar­mut und soziale Aus­gren­zung zu­stän­dig und Spre­cher der AG Grundsicherung der Nationalen Ar­mutskonferenz.

Sowohl die Nationale Ar­mutskonferenz als auch die Di­a­ko­nie Deutsch­land sind Mit­glied im Ko­o­pe­ra­ti­ons­ver­bund Ge­sund­heit­liche Chan­cen­gleich­heit.

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