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Logo vom Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit und Site-Slogan: Aktiv für Gesundheit und Chancengleichheit (Link zur Startseite)

Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit

Gesundheitliche Chancengleichheit in Deutschland verbessern und die Gesundheitsförderung bei sozial benachteiligten Gruppen unterstützen - das sind die Leitziele des bundesweiten Kooperationsverbundes. Dem von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) initiierten Verbund gehören 75 Organisationen an. Der Verbund fördert vorrangig die Qualitätsentwicklung in der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung und die ressortübergreifende Zusammenarbeit. Die zentrale Aktivität der Koordinierungsstellen in den Bundesländern ist die Begleitung kommunaler Prozesse, insbesondere über den Partnerprozess "Gesundheit für alle".

Wer durch Ar­mut oder an­de­re schwierige Lebens­um­stän­de benachteiligt ist, hat in Deutsch­land ein dop­pelt so hohes Erkrankungs­risiko und ei­ne um bis zu zehn Jahre geringere Lebens­erwartung als Men­schen aus bes­ser gestellten Bevölkerungs­schichten. Ins­be­son­de­re so­zi­al benach­teiligte Kinder und Jugend­liche sind stärkeren gesund­heitlichen Be­lastungen aus­ge­setzt, wie der Kinder- und Jugend­gesundheits­survey (KiGGS) be­legt. Die schicht­abhängigen Unter­schiede be­tref­fen nach­weislich den Gesundheits­zustand, das Ge­sund­heits­ver­hal­ten und die In­an­spruch­nah­me von Vorsorge­untersuchungen.

Hintergründe, Daten und Materialien

Der Kooperationsverbund und seine Aktivitäten. Ein Selbstdarstellungsvideo von 2012, 11:30 Minuten lang

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Artikel

26.06.2015

Ausgezeichnet: "Lenzgesund"

Ellen Steinbach, Akademie für öffentliches Gesundheitswesen

Schlagwörter:Kommunen, Prävention, psychische Gesundheit, Soziale Stadt

Gra­tu­la­ti­on nach Hamburg-Eimsbüttel! Am 9. Fe­bru­ar erhielt das Präventionsprogramm „Lenzgesund“ den Qualitätspreis der Aka­de­mie für öffentliches Gesund­heits­wesen 2014. Zweiter Preis­trä­ger war der Dort­mun­der Sozialpsychiatrische Dienst mit seiner Un­ter­su­chung zur Wohnungsverwahrlosung. Im folgenden Ar­ti­kel steht das Good Practice Pro­jekt „Lenzgesund“ im Mit­tel­punkt und da­mit die quartiersbezogene Ge­sund­heits­för­de­rung. Selten hat sich ein Ge­sund­heits­amt über einen so lan­gen Zeit­raum, nämlich über mehr als 10 Jahre, und mit so vielen Kooperationspartnern so er­folg­reich da­für en­ga­giert, gesundheitsförderliche Le­bens­be­din­gung­en in einem so­zi­al be­nach­tei­lig­ten Quar­tier zu schaffen - und das un­ter aktiver Beteiligung der Be­woh­ne­rin­nen und Be­woh­ner. Der Name des Programms verweist auf das Quar­tier, um das es geht: die Lenzsiedlung.

Be­such der Lenz­sied­lung im Ham­bur­ger Stadt­teil Lok­ste­dt an einem grau­en, ver­reg­ne­ten Ja­nu­ar­tag. Von der U-Bahn-Sta­tion Lutte­roth­stra­ße sind es nur we­ni­ge Schrit­te zu den hoch auf­ra­gen­den Häu­sern, die En­de der 1970er Ja­hre er­rich­tet wur­den. Eine typ­ische Groß­sied­lung des So­zial­en Wohn­ungs­baus. 3.000 Men­schen le­ben hier auf eng­stem Raum in cir­ca 1.200 Woh­nung­en, al­ler­dings nicht ab­ge­le­gen drau­ßen am Stadt­rand, son­dern mit­ten in ein­em ge­wach­sen­en Be­zirk.

Die Lenzsiedlung galt und gilt als ein multi-kulturelles Quar­tier mit be­son­der­em Un­ter­stütz­ungs­be­darf. Als im Jahr 2000 hier die Quar­tiersentwicklung (Teil des Senats­pro­gramms „Soziale Stadtentwicklung“, 1998 - 2004) und pa­ral­lel da­zu erste An­ge­bo­te der Ge­sund­heits­för­de­rung starteten, lebte fast je­der dritte Be­woh­ner von So­zi­al­hil­fe. Der An­teil der Ar­beits­lo­sen war dop­pelt so hoch wie in Ham­burg. Knapp 40 Pro­zent der Be­woh­ner­schaft hatten einen ausländischen Pass (Hamburg: 15 Pro­zent), weitere geschätzte 20 Pro­zent einen Mi­gra­tions­hinter­grund. Der An­teil der Kinder und Ju­gend­li­chen lag um cir­ca 50 Pro­zent höher als in Hamburg. Und ein über­durch­schnitt­lich­er An­teil die­ser Kinder und Ju­gend­li­chen lebte nur mit einem El­tern­teil zu­sam­men. Ein Be­richt aus die­ser Zeit be­schrei­bt her­un­ter­ge­kom­me­ne Ge­bäu­de und un­ge­pfle­gte Au­ßen­an­la­gen.

Heute, 15 Ja­hre spä­ter, ist das nicht mehr der er­ste Ein­druck. Her­un­ter­ge­kom­men und un­ge­pflegt wirkt die An­la­ge nicht, auch wenn die Mas­se an Be­ton den Be­su­cher fast er­schlä­gt. Gleich am Ein­gang je­doch ei­ne be­such­er­freund­liche Über­ra­sch­ung: Ei­ne far­ben­froh ge­stal­te­te In­fo-Ta­fel fun­giert als Weg­wei­ser. Der Weg zum Bür­ger­haus mit dem „Lenz Treff“ ist lei­cht zu fin­den. In­mit­ten der Hoch­häu­ser, in ei­ner klei­nen grü­nen Oa­se, grup­pie­ren sich meh­re­re Häu­ser zu ei­nem Bür­ger­zen­trum mit di­ver­sen An­ge­bo­ten für die Be­woh­ner.

Im „Lenz Treff“ tagt an diesem späten Vormittag der offene Gesprächskreis für Mütter. Etwa 10 Mütter sind gekommen, um zu klö­nen und Informationen auszutauschen. Der Kaf­fee ist gekocht, belegte Bröt­chen ste­hen auf dem Tisch. Viel Holz und an­de­re Naturmaterialien schaffen ei­ne warme At­mo­sphä­re. Der „Lenz Treff“ ist ein re­la­tiv neues „For­mat“ mit dem Schwer­punkt Familienförderung. Er beherbergt auch den Kinderclub, der täg­lich von 16:00 bis 18:30 Uhr geöffnet ist. Noch sind die Räume des Kinderclubs leer, die Kinder sind in der Schule. Trotzdem sind die Kinder ein The­ma. Welche Schule ist für mein Kind ge­eig­net? Über Fra­gen wie diese haben die Frauen heute Vormittag gesprochen. Die Stim­mung ist ge­löst, ent­spannt. Es wird viel gelacht. Ad­ri­a­na A. aus Ar­me­ni­en genießt es ganz of­fen­sicht­lich, in die­ser Run­de zu sein. Seit 14 Jahren ist sie in Deutsch­land, seit 13 Jahren wohnt sie in der Lenzsiedlung. Ob sie re­gel­mä­ßig kommt? Aber ja, meint sie, ge­nau wie die an­de­ren. Meist seien es so­gar deut­lich mehr Frauen, so um die 20. Die 37-jährige Mut­ter von zwei eigenen Kin­dern (8, 13 Jahre) und ei­nes 22-jährigen Ziehsohns wurde am An­fang von ei­ner Frau aus der Nach­bar­schaft mit­ge­nom­men, seit­dem ist sie kon­ti­nu­ier­lich da­bei. „Ich bin hier reingekommen und nicht mehr rausgegangen“, beschreibt sie es. Re­gi­na C., eben­falls Mut­ter von drei Kin­dern (30, 8 und 7 Jahre alt), nickt. Auch sie gehört zu den Stamm-Besucherinnen. Viele der hier vermittelten An­ge­bo­te hat sie be­reits wahrgenommen - zum Bei­spiel den  „Babyführerschein“: An zwölf Kursterminen ler­nen die Eltern da­bei al­les, was wich­tig ist zu den Themen El­tern­schaft und Bedürfnisse des Babys. Das An­ge­bot der Zahnsanierung oh­ne Zu­zah­lung hat die 49-Jährige eben­falls genutzt. Auf die­ses An­ge­bot, das durch ei­ne besondere vertragliche Vereinbarung mit ei­nem Dentallabor und kooperierenden Zahnärzten er­mög­licht wird, machte sie Helena Behrens auf­merk­sam. Die junge Sozialpädagogin sitzt mit in der Run­de. Sie ist „Gesundheitsscout“ und als solcher berät sie die Frauen und gibt Tipps, wel­che Versorgungsangebote für sie und ih­re Kinder sinn­voll sind. Darüber hinaus unterstützt sie auch ganz prak­tisch. Re­gi­na C. zum Bei­spiel hat sie zum Vertragszahnarzt nach Kiel begleitet. Diese hat die Zahnsanierung ei­ni­ges an Über­win­dung gekostet. Mehr als zehn Behandlungstermine waren er­for­der­lich, aber sie hat durchgehalten und ist heute stolz auf sich selbst und dank­bar. Sie strahlt. Ganz si­cher wer­den auch ih­re Kinder von der positiven Er­fah­rung profitieren, denn die 49-jährige Mut­ter hat er­lebt: Man muss kei­ne Angst vor dem Zahn­arzt haben und es ist wich­tig, auf die Zahngesundheit zu ach­ten.

Schnell wech­seln die Themen. Auffal­lend ist, wie selbst­be­wusst die Mü­tter in die­ser Run­de auf­tre­ten. Die Frau­en ken­nen sich un­ter­ei­nan­der, sie re­den frei und of­fen. Als Gast ist an diesem Tag auch die Lei­te­rin des Ge­sund­heits­amtes Ham­burg-Eims­büttel, Gud­run Rieger-Ndakorerwa, da­bei. Sie nutzt die Ge­le­gen­heit zu er­fra­gen, wel­che Ge­sund­heits­för­de­rungs­an­ge­bote die Frauen im ge­ra­de be­gon­nen­en Jahr in­te­res­sie­ren wür­den. Auf Ant­wor­ten muss sie nicht lange war­ten. Spon­tan wer­den Ideen ent­wick­elt, Wün­sche ge­äuß­ert. Der Zumba-Kurs im letzten Jahr sei toll ge­we­sen. Ein Ent­spann­ungs­trai­ning wird ge­wün­scht. Das ha­be man schon bei der Mutter-Kind-Kur ken­nen ge­lernt, „hat Spaß gemacht“. Die Rü­cken­schu­le sei auch nicht schle­cht. Aber ganz oben auf der Wunsch­lis­te steht der Fa­mi­lien­ur­laub. Die Mütter wis­sen, dass das Ge­sund­heits­amt im letzten Jahr den Ur­laub auf ei­nem Bau­ern­hof an der Ost­see - mit vielen An­re­gung­en für ei­ne na­tur­be­lass­ene ge­sunde Er­näh­rung - fi­nan­zi­ell un­ter­stützt hat. Das Amt war ei­ner von vielen Spon­so­ren, aber man habe schon, wie Gud­run Rieger ein­räumt, ei­ne Wei­le dis­ku­tiert, ob man die­ses An­ge­bot wirk­lich för­dern soll. Schließ­lich seien die Mit­tel für die Ge­sund­heits­för­de­rung be­grenzt. Mo­ni­ka Blaß, So­zial­pä­da­go­gin beim Be­wohn­er­ver­ein Lenz­sied­lung, hat sie über­zeu­gen kön­nen. Im Nach­hi­nein füh­len sich al­le Be­tei­lig­ten be­stä­tigt. Der Ur­laub war im­mens wich­tig. Noch heute schwär­men die Mütter da­von: „der ab­so­lute Ur­laub“.

Mo­ni­ka Blaß ken­nen (fast) al­le. Sie ist gewissermaßen ei­ne Frau der „ersten Stun­de“. Die Gesundheitsförderungsangebote, die über das Pro­gramm Lenzgesund in die Siedlung hineingebracht wurden, hat sie begleitet und mit umgesetzt. Und das waren und sind ei­ni­ge. Anfangs richteten sich die An­ge­bo­te speziell an die Ziel­grup­pe Jun­ge Fa­mi­lie (Fa­mi­lienhebamme, Babyführerschein etc.), spä­ter, im Laufe des Pro­gramms, wurden An­ge­bo­te auch für weitere Ziel­grup­pen entwickelt. Gerne zeigt Mo­ni­ka Blaß die anderen Ein­rich­tung­en des Bürgerzentrums: das Jugendhaus, das Bür­ger­haus - im „Sa­lon“ probt ge­ra­de der Seniorenchor „Those were the days my friend“ - und das Ca­fé Veronika. Jetzt, um 13:00 Uhr, sind hier fast al­le Tische besetzt. Senioren sind da, aber auch Gäste aus der Um­ge­bung. Der Koch Eric-Juma Sti­chel aus Ni­ge­ria hat gut zu tun. Früh­stück, Mit­tags­tisch, Kaf­fee und Ku­chen ge­hö­ren zum täglichen Standardprogramm. Und dann gibt es auch noch Koch-Workshops. Das Ca­fé Veronika ist et­was Besonderes: ein sozialer Be­trieb, in dem Ju­gend­li­che oh­ne Schul­ab­schluss im Gastronomiebereich ler­nen kön­nen. Sie er­hal­ten hier ei­ne Chan­ce für ih­re berufliche Zu­kunft.

Was für ein Ge­samt­ein­druck bleibt nach ein­em hal­ben Tag in der Lenz­sied­lung? Fraglos der ei­nes sehr le­ben­di­gen Quar­tiers - ein Quar­tier, das die Men­schen, die hier le­ben, mit­ge­stal­ten. Es ist ihr Quar­tier.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in der Blickpunkt 1-2015. Diese können Sie unter www.akademie-oegw.de/blickpunkt-oeffentliche-gesundheit.html einsehen.
Dort findet sich auf Seite 5 außerdem ein Interview mit Christian Lorentz, Monika Blaß, Dr. Gudrun Rieger-Ndakorerwa und Prof. Dr. Alf Trojan zum Thema.
Die Akademie für öffentliches Gesundheitswesen ist seit 2014 Mitglied des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit.

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