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Angebotsdarstellung

Good Practice

Veröffentlichung: 2009

Nachbarschaftsheim St. Pauli e.V.

Kurzbeschreibung mit Zielen und Maßnahmen

In unserem Angebot stehen ältere Menschen in schwierigen Lebenslagen im Fokus der Arbeit. Eine besondere Relevanz haben dabei gesundheitsfördernde Maßnahmen und Interventionen im weitesten Sinne, die die Teilhabemöglichkeiten der Zielgruppe erweitern und den Nachbarschaftsgedanken berücksichtigen.

Der Hamburger Stadtteil St. Pauli gehört zum Bezirk Mitte, indem 50% der Bewohner:innen einen Migrationshintergrund haben (in ganz Hamburg ein Drittel); außerdem beträgt die Anzahl der über 65-Jährigen Bewohnerinnen und Bewohner knapp 30% (vgl. Statistikamt Nord 2022).

Das Nachbarschaftsheim St. Pauli arbeitet seit nunmehr 70 Jahren mit älteren Menschen und dem Schwerpunkt auf Migrantinnen und Migranten sowie langjährige Bewohner:innen des Stadtteils. Das Angebot berücksichtigt besondere Problemlagen und lebensweltliche Hintergründe durch eine niedrigschwellige, teilhabe-fördernde Struktur. Ziel ist die Unterstützung der psychischen und körperlichen Gesundheit der Besucherinnen und Besucher. Auch während der Corona-Pandemie wurden mögliche Formate wie Einzel- und Gruppengespräche, Beratungen, Offene Treffs, Verteilung der Hamburger Tafel, Mittagstische, Spiele, Digitalisierung, Bewegungsangebote und Ausflüge mit den nötigen Schutzmaßnahmen fortgeführt. Somit wurde weitestmöglich Einsamkeit und Isolation der Besucher:innen reduziert - und die Selbstwirksamkeit bestärkt.


Kontakt

Frau Susanne Fink-Knodel
Silbersackstr. 14
20359 Hamburg (Hamburg)

Telefon: 0403195478

E-Mail: info(at)nbhstpauliat.de


Projektträger

Nachbarschaftsheim St. Pauli e.V.
Silbersackstr. 14
20359 Hamburg


Hintergrund

St. Pauli ist wohl mit der bekannteste Stadtteil Hamburgs – auf der einen Seite großes Vergnügungsviertel und Wirtschaftszweig, auf der anderen Wohngebiet und Lebensbereich für Jung und Alt. St. Pauli gehört von seiner Lage her zum Bezirk Hamburg-Mitte, hier leben auf einer Fläche von 2,6 Quadratkilometern 27.706 Menschen. Mit 10.731 Einwohnerinnen und Einwohnern je Quadratkilometer weist er im Vergleich zum Hamburger Durchschnitt (2.294 Einwohnerinnen und Einwohner je Quadratkilometer) eine hohe Bevölkerungsdichte auf (Melderegister, 2007a). In Bezug auf die Altersstruktur von St. Pauli zeigt sich eher eine jüngere Ausrichtung, der Anteil von 9,3 Prozent der über 65-Jährigen liegt im Verhältnis zu Hamburger Zahlen (18,8 Prozent) deutlich darunter (Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, 2007). Dennoch lässt sich ein Anstieg der Menschen über 65 Jahren verzeichnen. Durch die stadtteiltypischen Biografien sowie die starke Durchmischung verschiedener Nationalitäten ist eine große Palette von Problemlagen vorhanden.

Der Ausländeranteil des Stadtteils liegt mit 27,9 Prozent (7.522) im Vergleich zu Hamburg (14,8 Prozent) sehr hoch. Türkische Migrantinnen und Migranten bilden neben den vielen verschiedenen Nationalitäten die größte im Stadtteil lebende Gruppe (insgesamt: 2.402) (Melderegister, 2007b). Betrachtet man die Altersverteilung mit Blick auf die Personengruppe ab 45 Jahre aufwärts, ist circa ein Drittel der Migrantinnen und Migranten von Hamburg dort anzusiedeln, wobei der Männeranteil etwas über dem der Frauen liegt (ebenda).

Was die ausländischen Besucher und Besucherinnen des Nachbarschaftsheimes betrifft, so haben insbesondere die türkischen Seniorinnen durch den Wegfall des durch die Arbeit strukturierten Tagesablaufes wenig Anbindung an das gesellschaftliche Leben im eigenen, aber auch in anderen Stadtteilen Hamburgs. Der Kontakt richtet sich ausschließlich auf die Familie, andere Möglichkeiten, soziale Bindungen einzugehen, werden aufgrund der mangelnden Erfahrungen und begrenzten finanziellen und kulturellen Möglichkeiten nicht in Betracht gezogen. Darüber hinaus sind viele Migrantinnen und Migranten durch eine Schwäche in ihrer Lesekompetenz - circa 90 Prozent der Gäste sind nach Schätzungen der Projektleitung Analphabeten - eingeschränkt, sich auch über den ihnen bekannten Lebensbereich hinaus zurecht zu finden oder aktiv am sozialen Leben teilzunehmen. Dazu tragen auch körperliche Beeinträchtigungen bei, unter anderem häufiges Übergewicht bei den türkischen Seniorinnen.

Neben dem hohen Migrationsanteil zeigte die Sozialstruktur der Bevölkerung auf St. Pauli im Juni 2007, dass 9,9 Prozent der 15- bis unter 65-Jährigen arbeitslos waren; Arbeitslose nach SGB II machten in der gleichen Kategorie 8,2 Prozent aus. Die Hamburger Arbeitslosenquote liegt mit 6,8 Prozent insgesamt und nach SGB II mit 5,1 Prozent deutlich unter den Angaben aus diesem Stadtteil. Die Prozentzahl der Leistungsempfängerinnen und -empfänger nach SGB II lag ungefähr zum selben Zeitpunkt bei 13,5 Prozent (Hamburg: 12 Prozent) (Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, 2007). Frühinvalidität und Erwerbsminderung, oftmals verursacht durch die schwere körperliche Arbeit, sowie Langzeitarbeitslosigkeit führen bei vielen Menschen in diesem Stadtteil zu einem frühen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und damit in die Altersarmut. Zusätzlich entsteht ein Verlust eines durch die Arbeit strukturierten Alltags und eines damit verbundenen sozialen Lebens. Die unterschiedlichen Facetten der Problemlagen, die mit einer Erwerbslosigkeit einhergehen, verursachen des Weiteren in Form einer Kausalkette vielfach Sucht- und psychische Erkrankungen, zum Beispiel Alkohol-, Nikotin-, Medikamenten- oder andere Drogenabhängigkeiten sowie Essstörungen.

Die Heterogenität der bunten Nachbarschaft auf St. Pauli wird zu einem besonderen Problem, wenn es sich – wie es die Zahlen zeigen – um unfreiwillige, beengende und problembelastete Nachbarschaftsverhältnisse handelt. Diese so genannten „überforderten Nachbarschaften“ zeichnen sich durch eine hohe Zahl einkommens- und bildungsschwacher Haushalte, Arbeitslose, Menschen mit psychosozialen Auffälligkeiten und Migrantinnen und Migranten aus. Das Belastungsniveau in solchen Nachbarschaften ist daher eine direkt die Gesundheit beeinträchtigende Variable (Richter/Groeger-Roth, 2007). Neben diesen allgemein gültigen Indizien für „überforderte Nachbarschaften“ existieren im Stadtteil typische Problemlagen, die die Klientel von St. Pauli zu einer hoch sensiblen und schwer erreichbaren Gruppe machen. Eine zielgruppenspezifische und niedrigschwellige Arbeitsweise muss demnach die Problembereiche der Menschen berücksichtigen und das Leben im Stadtteil gesundheitsfördernd gestalten.


Vorgehen

Das Nachbarschaftsheim St. Pauli existiert seit 55 Jahren auf der Rechtsgrundlage des § 71 SGB XII und wurde speziell als Träger für Kinder-, Jugend- und Altenarbeit im sozialen Brennpunkt St. Pauli-Süd gegründet. Wegen der besonderen Problemlagen der Klientel konnte die Seniorentagesstätte nicht ehrenamtlich geführt werden; deshalb kommt die Sozialbehörde heute für 1,78 sozialpädagogische Stellen zu diesem Zweck auf.

Die Seniorentagesstätte wendet sich an Bewohnerinnen und Bewohner aus St. Pauli und den direkt angrenzenden Gebieten Neustadt, Altona und Schanzenviertel. Die Zielgruppe liegt in der Altersgruppe ab circa 55 Jahren, wobei sich generationsübergreifende Angebote auch an Jüngere richten. Der Männeranteil liegt bei ungefähr 30 Prozent. Darüber hinaus werden spezielle interkulturelle Interventionen für Seniorinnen und Senioren mit Kindern, Enkeln oder Urenkeln angeboten. Diese Klientel und speziell die älteren Migrantinnen und Migranten gehören der sozialen Struktur des Stadtteils entsprechend überwiegend zur Arbeiterschicht, die in ihrem Berufsleben schwere körperliche Arbeit leisten musste, sei es am Hafen, in der Seefahrt, der Gastronomie oder im Reinigungsgewerbe. Ein Drittel der Gäste stammt zusätzlich aus dem typischen „Kiezmilieu“, war in der Prostitution oder den dazugehörigen „Gewerben“ als Wirtschafterin, Zuhälter, Türsteher, Straßenkellner oder anderes tätig. Vereinzelt suchen jedoch auch Akademiker in besonderen Lebens- und Problemlagen wie Sucht, psychischen Erkrankungen, Demenz, Insolvenz und Flucht Rat und Unterstützung im Nachbarschaftsheim. Ein Augenmerk liegt bei dessen Arbeit unter anderem auf der Zielgruppe der Migrantinnen und Migranten, die mittlerweile rund 50 Prozent der Besucherinnen und Besucher darstellen. Die seit dem Jahr 2000 praktizierte systematische Arbeit in diesem Bereich richtet sich vor allem an Türken und hier besonders an türkische Frauen.

Der Lebensweg der unterschiedlichen Gäste des Nachbarschaftsheims St. Pauli weist somit einige prägende Gemeinsamkeiten auf, die bei allen Unterschieden zu ähnlichen Problemlagen geführt haben. Diese gemeinsamen Lebenserfahrungen, zu denen Armut von Kindheit an, Kinderarbeit, ein niedriger oder kein Schulabschluss, körperliche und vielfach auch sexuelle Gewalt und der Zerfall familiärer Strukturen zählen, sowie die damit verbundene Vereinsamung und Isolation, bilden die Basis der integrativen Arbeit der Einrichtung.

Das umfassende Ziel des Nachbarschaftsheims St. Pauli ist die soziale, psychische, geistige und körperliche Stabilisierung der Besucherinnen und Besucher. Das bedeutet zuerst, das Interesse am Leben zu fördern - die Auseinandersetzung mit der Gegenwart, aber auch der eigenen Vergangenheit. Dem Rückzugsverhalten und der Erstarrung entgegenzuwirken, ist eine entscheidende Voraussetzung, damit Probleme angegangen und bewältigt werden können, Eigenverantwortung und Selbstständigkeit gestärkt sowie die Isolation aufgebrochen werden kann. Ein weiteres Ziel ist die Integration von psychisch Kranken, Migrantinnen und Migranten und ausgegrenzten Minderheiten in das soziale und gesellschaftliche Leben. Konkret will das Nachbarschaftsheim St. Pauli Kommunikation, Geselligkeit und gegenseitiges Verständnis zwischen seinen Gästen generationen- und kulturenübergreifend fördern, zu ihrer Lebensbewältigung mit Information und Aufklärung beitragen, zu einem gesundheitsbewussten Lebensstil anregen und beim Erlernen moderner Techniken und der Anwendung neuer Kommunikationsmittel helfen. Darüber hinaus bietet die Einrichtung Unterstützung bei der Aufarbeitung von Traumata. Die Umsetzung der einzelnen Teilziele erstreckt sich über eine Palette vielfältiger Herangehensweisen. Neben der Bereitstellung eines Treffpunktes werden integrative Prozesse durch betreute Spiel- und Gesprächsangebote sowie kommunikationsfördernde Strukturen geschaffen. In Form eines umfangreichen Beratungs- und Hilfeangebotes finden des Weiteren eine Sozialberatung, Begleitung zu Ämtern oder Ärztinnen und Ärzten sowie Netzwerkarbeit unter anderem mit Pflegediensten im Rahmen von Case- und Caremanagement statt. Informationsveranstaltungen, kulturelle und generationenübergreifende Angebote, Computer- und Medienarbeit sowie gesundheitsbezogene Interventionen stellen weitere Aktivitäten dar. Eine Partizipation der Besucherinnen und Besucher wird darüber hinaus durch die Einbindung in Entscheidungsprozesse bei der Planung von Ausflügen und Themenfindungen für Gesprächsrunden angeregt. Dieses Angebot spiegelt die vielfältigen Arbeitsbereiche des Nachbarschaftsheims wider. Existentielle Hilfen bieten zusätzlich die Lebensmittelverteilung und der Mittagstisch.


Good Practice in

Niedrigschwellige Arbeitsweise

Das Projekt des Nachbarschaftsheims St. Pauli zeichnet sich durch eine besonders niedrigschwellige Arbeitsweise aus, die aufsuchend und begleitend, aber auch nachgehend angelegt ist (BZgA, 2007b). Da das Projekt bereits seit 55 Jahren im Stadtteil existiert, kann es zum Teil als „Selbstgänger“ bezeichnet werden, der auf eine Vielzahl von Strukturen zurückgreifen kann. Trotz der gefestigten und verankerten Elemente im Stadtteil wird die Arbeitsweise jedoch ständig den sich verändernden Entwicklungen angepasst, so dass beispielsweise weitere Zielgruppen in den Aufgabenbereich rücken. Dazu gehört die systematische Arbeit mit älteren Migrantinnen und Migranten und hier besonders mit der Zielgruppe der türkischen Frauen. Um diese Zielgruppe zu erreichen und die Problemlagen kennen zu lernen, führte die Projektleitung eine Vor-Ort-Begehung durch und suchte Moscheen und kulturspezifische Treffpunkte auf. Aufgrund der hohen Zahl an Analphabeten wirbt das Projekt nicht mit Flyern, sondern setzt auf „Mund-zu-Mund-Werbung“, die die stetig steigenden Besuchszahlen als gute Methode bestätigen.

Die niedrigschwellige Arbeit innerhalb der Seniorentagesstätte gliedert sich in Angebote am Vormittag, die sich speziell an Migrantinnen und Migranten richten, und in Aktionen am Nachmittag, die allen Besucherinnen und Besuchern offen stehen. Insbesondere der Aufbau und die Förderung von Gemeinschaft zeichnen den offenen Nachmittag aus. Hierbei werden niedrigschwellige Angebote in einem klar strukturierten Rahmen zum Beispiel in Form von betreuten Einzel- und Gruppenspielen oder Gesprächsgruppen unterbreitet. Dadurch ist es möglich, psychisch Kranke und ältere Migrantinnen und Migranten in die Gemeinschaft des Nachbarschaftsheims zu integrieren und Barrieren abzubauen. Die Arbeit im offenen Treffpunkt mit einer Besuchergruppe von ungefähr 45 Personen orientiert sich an den individuellen Fähigkeiten der Teilnehmenden.

Auch am Vormittag besteht eine Palette von unterschiedlichen niedrigschwelligen Angeboten. Seit dem Jahr 2000 trifft sich zum Beispiel jeden Mittwochvormittag eine türkische Frauengruppe, die Ausflüge unternimmt, kulturelle Veranstaltungen besucht oder gezielte Informationen erhält. Die Schaffung eines öffentlichen Bereichs dient den türkischen Frauen als Entlastung und gibt ihnen auch außerhalb ihrer Wohnung die Möglichkeit, ihren Kontaktkreis zu erweitern. Es besteht ein guter und vertrauter Zusammenhalt innerhalb der Gruppe, so dass auch sensible Themen in Bezug auf Familie, Partnerschaft oder Krankheiten diskutiert werden. Die Themenbereiche richten sich nach den Bedürfnissen, die von rechtlichen Themen bis hin zu Fragen nach Gesundheit, Ernährung und Bewegung reichen. Für die Gesprächsrunden werden auch Experten als Referenten eingeladen.

Zweimal in der Woche – einmal davon mit Übersetzer – findet am Vormittag eine Sozialberatung für türkische Seniorinnen und Senioren statt, die jedoch auch anderen Generationen offen steht. Des Weiteren ist es allen Nationalitäten über die Sprechstunden hinaus möglich, Fragen zu stellen oder Termine für vertiefende Gespräche zu vereinbaren. Darin werden Hilfestellungen bei sozialen und Altersproblemen gegeben und zusammen mit den Klientinnen und Klienten die eigenen Möglichkeiten zur Bewältigung thematisiert. Weitere generationenübergreifende Aktivitäten ohne Anmeldeformalitäten und ohne Leistungsorientierung reichen von musik- und ergotherapeutischen Maßnahmen wie dem Chor und der Bastelgruppe bis hin zu Wassergymnastik, Gartennutzung, Videoprojekten, kulturellen Angeboten, Feiern und Ausflügen. Die niedrigschwellige Arbeitsweise fördert die individuelle Konzentration, Gedächtnisfunktion und Feinmotorik. So erfahren die Besucher und Besucherinnen Unterstützung im Aufbau von sozialen Bindungen und bei Erkundungen der Umgebung sowie bei der Verarbeitung von Lebensgeschichten und Traumata.

Neben der Arbeit innerhalb des Nachbarschaftsheims St. Pauli wird eine aufsuchende beziehungsweise begleitende Hilfe vermittelt. Begleitet wird zum Beispiel zu Ämtern, Behörden oder Ärzten, wenn nötig auch als Krisenintervention. Dieses Angebot richtet sich an alle Seniorinnen und Senioren, speziell auch an immobile Personen. Der Erstkontakt zu immobilen Personen wird dabei über Bekannte und Freunde hergestellt. Bei Migrantinnen und Migranten wird zusätzlich ein Übersetzer zu Hilfe genommen. Die Mitarbeiterinnen führen zum Beispiel bei Krankenhausbesuchen vermittelnde Gespräche zwischen der Ärzteschaft und den Pflegediensten, erklären den Patientinnen und Patienten ihre Krankheits- und Therapieverläufe niedrigschwellig und informieren Angehörige. Überschreiten komplexe Problemlagen den Kompetenzbereich der Mitarbeiterinnen, vermitteln diese die Klientinnen und Klienten an andere Einrichtungen wie den Sozialpsychiatrischen Dienst, die Seniorenberatung oder „Barrierefrei Wohnen“ weiter, mit denen eine enge Zusammenarbeit besteht.

Des Weiteren soll durch die aufsuchende Unterstützung in Form von Haus-, Pflegeheim- und Krankenhausbesuchen der soziale Kontakt zwischen „Kranken“ und „Gesunden“ aufrechterhalten werden. Besucherinnen und Besucher werden motiviert, bei kranken Nachbarn anzurufen oder sie zu begleiten. Auch Sterbebegleitungen betreuen die Mitarbeiterinnen im Nachbarschaftsheim St. Pauli. Zusätzlich wird durch die Vermittlung von kleinen, angeleiteten Arbeitsschritten in offener Einzel- und Gruppenkommunikation versucht, dass die Menschen Gefühle wie Identität, Sicherheit, Stabilität und Verwurzelung wieder erlernen und in ihren Lebensalltag integrieren. Das Engagement für die hilfebedürftigen Nachbarn kann eine verbesserte soziale Integration in das Umfeld und einen quantitativen wie qualitativen Zuwachs an sozialen Beziehungen bewirken, was sich wiederum positiv auf das Wohlbefinden des Einzelnen und der Gemeinschaft auswirkt (Richter/Wächter 2007).

Empowerment

Es erfolgt eine gezielte Befähigung und Qualifizierung der Zielgruppe sozial Benachteiligter, die an ihren Stärken ansetzt und auf ihren Ressourcen aufbaut (BZgA, 2007b). Innerhalb des Projektes werden diesbezüglich unterschiedliche Zugangswege geschaffen. Einmal werden die Klientinnen und Klienten bei der Schilderung ihrer Problemlagen beziehungsweise Krankheiten in Einzel- oder Gruppengesprächen aktiv in den Lösungsprozess einbezogen. Durch eine direkte und zielgerichtete Kommunikation werden ihnen ihre Probleme zurückgespiegelt und ihnen – mit Blick auf ihre Möglichkeiten und Ressourcen – Lösungswege und -ansätze skizziert. Das Team und die unterschiedlichen Kooperationspartnerinnen und -partner unterstützen die Betroffenen und benennen ihnen die eigenen Möglichkeiten, ihre Lebenslage oder -situation zu verändern, da eine Verbesserung der Lebenssituation ohne ihre Mithilfe sonst schwer möglich wäre. Oft müssen diese Personengruppen – gerade Frauen mit Migrationshintergrund – erst lernen, Probleme oder auch Krankheiten deutlich zu benennen, um alte Kreisläufe zu durchbrechen. Diese empowermentbezogene Strategie kann als aktivierende Sozialberatung bezeichnet werden und zieht sich durch das gesamte Konzept des Nachbarschaftsheims St. Pauli.

Grundsätzlich werden neben diesen meist individuellen Strategien auch Konzepte zum Gemeinschaftsleben etabliert. Dazu gehören gemeinschaftliche Aktivitäten, zum Beispiel Schwimmen oder Ausflüge. Um diese Angebote an den Bedürfnissen der Zielgruppe auszurichten, bezieht das Team die Besucherinnen und Besucher in die Entscheidungsfindung darüber mit ein. Diese Aktivitäten holen die Menschen aus ihrer Isolation. Die Bewegungsangebote regen darüber hinaus zu gesundheitsförderndem Verhalten an. Die Kontakte führen zu selbstorganisatorischen Prozessen wie zum Beispiel zusätzlichen Treffen auch außerhalb dieses Raums. Durch teilweise vorgegebene und gelebte Strukturen innerhalb des Nachbarschaftsheims werden die Gäste ermutigt, Aufgaben wie Krankenbesuche oder -anrufe zu übernehmen oder zu begleiten. Dies unterstützt sie dabei, verschiedene, für sie teilweise fremde gesellschaftliche Rollenbilder zu entwickeln und zu erlernen. Die Förderung der Gemeinschaft schafft ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das Missverständnisse und Berührungsängste zwischen Nationalitäten und Berufsgruppen abbaut und Ausgrenzungsprozessen vorbeugt.

Neben den sozialpädagogischen Unterstützungs- und Befähigungsleistungen werden innerhalb des Projektes auch instrumentelle Hilfen gewährleistet. Dazu gehören die Bereitstellung von Räumen, finanzielle Zuschüsse, beispielsweise für Ausflüge oder andere Aktivitäten, sowie ein regelmäßiges Frauenfrühstück und der Mittagstisch zweimal die Woche.

Nachhaltigkeit

Ein wichtiger Aspekt innerhalb des Projektes ist die Nachhaltigkeit, sowohl hinsichtlich der Angebotsstrukturen als auch der Wirkungen bei den Zielgruppen (BZgA, 2007b). Was zunächst die wirtschaftlichen Aspekte angeht, so ist die Tagesaufenthaltsstätte dauerhaft von der Sozialbehörde finanziert; eine Grundfinanzierung für die Räumlichkeiten und die beiden Arbeitsstellen ist unbegrenzt sichergestellt. Darüber hinaus werden viele Aktivitäten über zusätzlich initiierte Projekte (Schwimmprojekt, Kochprojekt) oder Spenden finanziert. Spenden werden beispielsweise über bereits existierende Kooperationen oder durch die Öffentlichkeitsarbeit akquiriert.

Nachhaltigkeit bei der Zielgruppe drückt sich darüber hinaus in Veränderungen hin zu gesundheitsbewussten Lebensweisen, im Gewinn an Lebensfreude und Aktivität, aber auch in einer Stabilisierung im Alltag aus. Eine nachhaltige Unterstützung geben zusätzlich auch die in die Abläufe involvierten Besucherinnen und Besucher des Nachbarschaftsheims. So übernehmen sie Aufgaben zum Beispiel als Dolmetscher und können anderen Menschen ihre Fähigkeiten weitervermitteln. Nachbarschaft knüpft an der Bereitschaft zu sozialem Handeln an, um eine nachhaltige Verankerung der Projektstrukturen im Stadtteil zu erzielen und die Idee des Projektes zusätzlich weiter bekannt zu machen. Ziel der Entwicklung muss es sein, langfristig Netzwerke zwischen heterogenen Bevölkerungsgruppen aufzubauen, um gesundheitsfördernde Lebensweisen und Strukturen im Stadtteil zu etablieren.

Da das Projekt auch settingübergreifend und vernetzend agiert, können die seit langer Zeit bestehenden Strukturen ebenfalls als nachhaltig bezeichnet werden. Durch Kooperationen und Rücksprachen mit verschiedenen Diensten aus dem Stadtteil werden zum einen Hilfen punktuell von den Besucherinnen und Besuchern beispielsweise in Form von Beratungen in Anspruch genommen. Zum anderen können die regionalen Akteure über verschiedene Arbeitskreise ihre Erfahrungen und Ideen untereinander austauschen und neue Vernetzungsstrategien entwickeln. So lässt sich der Gedanke des Nachbarschaftsheims im Stadtteil weiter verankern und auch in andere Stadtteile Hamburgs tragen. Eine gute Kooperation der verschiedenen Akteure sowohl im Quartier als auch in der Gesamtstadt ist eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg und für die Nachhaltigkeit des Projektes (BZgA, 2007a).

Die angesprochenen Klientel – Angehörige des speziellen „Kiezmilieus“ sowie ältere Migrantinnen und Migranten – sind eine hoch sensible und vulnerable Gruppe. Hierbei gelingt es dem Projekt, mit einer niedrigschwelligen und bedürfnisorientierten Arbeitsweise besonders viele Männer (nach Schätzungen der Projektleitung circa 30 Prozent der Klientel) über Sozialberatungen sowie Einzel- und Gruppengespräche zu erreichen. Dieser Aspekt kann, neben der seit langer Zeit erfolgreich durchgeführten Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund, als besonderes Merkmal des Projektes Nachbarschaftsheim St. Pauli gedeutet werden.


Literatur

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.) (2007a). Seniorenbezogene Gesundheitsförderung und Prävention auf kommunaler Ebene – Eine Bestandsaufnahme. Köln: BZgA.

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.) (2007b). Kriterien guter Praxis in der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten. Ansatz – Beispiele – weiterführende Informationen. Köln: BZgA.

Kawachi, I., Berkman, L. F. (2003). Neighbourhoods and Health. Oxford: Oxford University Press.

Melderegister (2007a). Ausländische Bevölkerung in Hamburg nach Stadtteilen, Familienstand und ausgewählten Staatsangehörigkeiten zum 31.12.2007. Melderegister, Staatsangehörigkeit wie im Register geführt.

Melderegister (2007b). Bevölkerung insgesamt nach Alter und Geschlecht. Melderegister, Stand: 31.12.2007.

Richter, A., Groeger-Roth, F. (2007). Nachbarschaft und Gesundheit. Hannover.

Richter, A., Wächter, M. (2007). Expertise zum Zusammenhang von Nachbarschaft und Gesundheit, erstellt im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Unveröffentlicht.

Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2007). Demografischer Wandel in Deutschland. Heft 1: Bevölkerung und Haushaltsentwicklung im Bund und den Ländern. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt.

Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein (2007). Hamburger Stadtteilprofile 2007. NORD.regional, Band 3. Hamburg: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein.

Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2006). Bevölkerung Deutschlands bis 2050. 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Wiesbaden.


Laufzeit des Angebotes

Beginn: 1952

Abschluss: kein Ende geplant


Welche Personengruppe(n) in schwieriger sozialer Lage wollen Sie mit Ihrem Angebot erreichen?

  • Personen mit sehr niedrigem Einkommen (z.B. Personen im Niedriglohnsektor, Personen mit niedrigen Rentenbezügen)
  • Migrant/-innen in schwieriger sozialer Lage
  • Sozial isolierte und / oder vereinsamte Personen
  • Chronisch kranke / mobilitätseingeschränkte und / oder kognitiv beeinträchtigte Personen in schwieriger sozialer Lage
  • Pflegebedürftige Personen in schwieriger sozialer Lage

Das Angebot richtet sich insbesondere an folgende Altersgruppen

  • 66 bis 79 Jahre
  • Ab 80 Jahre
  • 50 bis 65 Jahre

Das Angebot umfasst geschlechtsspezifische Angebote für

  • Keine geschlechtsspezifischen Angebote

Multiplikatorinnen und Multiplikatoren

- gefördert durch das Bezirksamt Hamburg-Mitte, Sozialraummanagement;

- dort im Austausch mit dem Integrationsbeirat;

- bei der HAW-Hamburg und dem Fachbereich Soziale Arbeit sind wir als Praktikumsangebot für den Theorie-Praxis-Schwerpunkt der Arbeit mit Älteren im Austausch;

- mit der IG St Pauli sind wir im Austausch mit den anderen Institutionen im Stadtteil.


Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartner

Seit mehreren Jahren kooperieren wir mit dem "CaFée mit Herz" (Unterstützung für Menschen ohne festen Wohnsitz) und sind mit unseren Angeboten im Austausch. Ebenso bestehen Austausche mit dem "Arbeitskreis Armut und Obdachlosigkeit", der mehrere Institutionen und behördliche Vertreter:innen aus den näheren Stadtteilen vereint.

Im vergangenen Jahr 2021 wurde eine Kooperation mit dem Grundbildungs- und Alphabetisierungs-Projekt "Neu Start St Pauli 360°" begonnen, um die bis dahin (Corona!) geleistete Arbeit wieder aufleben zu lassen und aktuelle qualitative Standards einzuhalten.

Weitere Kooperationspartner sind im Jahr 2022 mit der VHS Hamburg und der dortigen Grundbildung geplant.

Weitere wichtige Austauschpartner:innen sind die Pastor:innen der St. Pauli-Kirche, mit denen wir einige Besucher:innen "teilen".

Auch die Alzheimer-Gesellschaft-Hamburg ist uns ein wichtiger Ansprechpartner, insofern einige unserer Besucher:innen dementielle Symptome zeigen.

Mit der HAW Hamburg arbeiten wir als mögliche Praktikums-Stelle für Studierende der Sozialen Arbeit zusammen, oder auch aus anderen Hochschulen oder Universitäten.


Schwerpunkte des Angebotes

  • Stressbewältigung
  • Psychische Gesundheit
  • Steigerung der Selbstständigkeit / Selbstbestimmung
  • Soziale Teilhabe (Integration, Inklusion)
  • Stadtteil-/ Gemeinwesenarbeit, Nachbarschaftsnetzwerke

Das Angebot wird hauptsächlich in folgenden Lebenswelten umgesetzt

  • Seniorenfreizeitstätte
  • Nachbarschaftshaus / Stadtteilzentrum
  • Beratungsstelle

Qualitätsentwicklung

Was machen Sie, um die Qualität Ihres Angebotes weiterzuentwickeln?

Für neu geplante Angebote wird ein wissenschaftlich basiertes Konzept erstellt (z.B. für ein Männerprojekt, mit dem die Teilnehmerzahl erhöht werden soll); für wieder aufgenommene Angebote nach der Corona-Pandemie (z.B. Alphabetisierung für türkische und kurdische Migrant:innen der Gastarbeiter:innen-Generation) wenden wir uns an Kooperationspartner:innen, die wissenschaftlich basiert arbeiten; bestehende Angebote werden auf ihre Wirkung auf Teilhabe, Selbstwirksamkeit und Gesundheit (in einem breiten Gesundheitsverständnis) überprüft; bestehende und politisch erwünschte Angebote werden mit Hilfe von Fördermitteln erweitert (z.B. Digitalisierung für ältere Menschen).

Welche Erfahrungen haben Sie bei der Qualitätsentwicklung Ihres Angebotes gemacht?
Welche Stolpersteine haben Sie festgestellt?

Planungen und Konzeptarbeit dauern länger als gedacht; Abstimmung und Kommunikation mit dem ehrenamtlichen Vorstand (befindet sich nicht regelmäßig in der Einrichtung) und den Mitarbeiter:innen (befinden sich täglich in der Einrichtung und Praxis) gestaltet sich komplex und über längere Zeiträume. Kooperationen mit anderen Institutionen sind sinnvoll, allerdings benötigen auch hier Abstimmungsverfahren einen Zeitaufwand sowie eine inhaltliche/qualitative Abstimmung.

Wie dokumentieren Sie Ihre Arbeit? (z.B. Konzepte, Handreichung)

Konzepte und Protokolle.

Es liegt keine Dokumentation vor.

Es ist kein Ergebnisbericht vorhanden.

Die Qualitätsentwicklung und Ergebnissicherung sind nicht in ein Qualitätsmanagementsystem eingebunden.


Stand

23.04.2024

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