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Angebotsdarstellung

Good Practice

Veröffentlichung: 2009

"Familienlotsen" im Rahmen des "familienNetzwerks Hamburg-Hamm"

Kurzbeschreibung mit Zielen und Maßnahmen

In Hamburg-Hamm existieren nur wenige bedarfsgerechte Angebotsstrukturen, die das Problem der sozialen Isolierung kompensieren könnten. Gerade sozial Benachteiligte und arme Familien sind am stärksten davon betroffen. Mit dem Ausmaß sozialer Isolation steigen die Wahrscheinlichkeit gesundheitsgefährdender Verhaltensweisen und das Mortalitätsrisiko.

Um Versorgungslücken für sozial benachteiligte Familien zu schließen, haben verschiedene Partner 2003 das sozialräumliche Angebotsentwicklungsprojekt „familienNetzwerk Hamm“ entwickelt. In diesem Rahmen stellt die Alida Schmidt-Stiftung mit den „Familienlotsen“ zielgruppenspezifische, ressourcenorientierte Einzelfallhilfen zur Verfügung.

Dabei wenden die Einzelfallhilfen der „Familienlotsen“ unter anderem die Methode der „ressourcenorientierten Netzwerkaktivierung“ an. Neben der Aktivierung der personalen Ressourcen werden hierbei auch Netzwerke gestärkt und aktiviert, um so die Unterstützungsleistungen in das Netzwerk der Familien zurückzuverlagern und den Gesundheitszustand der Betroffenen zu fördern.


Kontakt

Frau Martina Feistritzer
Bürgerweide 19
20535 Hamburg (Hamburg)

Telefon: 040 / 2519680

E-Mail: info.b19(at)alida.de


Projektträger

Alida Schmidt-Stiftung - Bereich Frauen, Kinder und Familien
Hamburger Straße 152
22083 Hamburg


Hintergrund

Hamburg-Hamm war vor dem Zweiten Weltkrieg mit ca. 90.000 Einwohnerinnen und Einwohnern einer der bevölkerungsreichsten Stadtteile Hamburgs. Er wurde jedoch während des Krieges fast vollständig zerstört, sodass sich die Menschen aus diesem Stadtteil zurückgezogen haben und in ländliche Gebiete abgewandert sind. Seit 1951 ist Hamm in drei Stadtteile gegliedert – Hamm-Nord, Hamm-Mitte und Hamm-Süd. Diese Stadtteile gehören dem Bezirk Hamburg-Mitte an. Um den Stadtteil – heute mit einer relativ alten Bevölkerungsstruktur (19,3 Prozent sind 65 Jahre und älter/ Gesamthamburg: 18,8 Prozent) – wieder attraktiver zu gestalten, versuchen seit einigen Jahren unter anderem Wohnungsbaugenossenschaften und Zusammenschlüsse wie das „familienNetzwerk Hamm“ ihn durch neue Wohngebiete, eine verbesserte Infrastruktur und soziale Einrichtungen sowie Kindertagesstätten und Schulen wieder aufzuwerten. Auf einer Gesamtfläche von 3,8 Quadratkilometern leben heute in Hamm 36.228 Menschen (Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, 2007). Die Sozialstruktur von Hamm zeigt, dass im Juni 2007 1.834 (5,1 Prozent) der 15- bis 65-Jährigen arbeitslos waren. Obwohl diese Zahl unter dem Prozentsatz Gesamthamburgs (6,8 Prozent) liegt, lassen sich in Hamm-Mitte (7,1 Prozent) und Hamm-Süd (9,4 Prozent) deutlich höhere Arbeitslosenzahlen verzeichnen. Auch der Anteil an ALG II-Empfängerinnen und -Empfängern zwischen 15 bis 65 Jahren liegt in Hamm-Mitte mit 5,7 Prozent und Hamm-Süd mit 7,4 Prozent deutlich über dem Hamburger Durchschnitt (5,0 Prozent) (Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, 2007).

Die Alida Schmidt-Stiftung wurde 1874 gegründet. Dabei hat sich im Laufe der Jahre der Stiftungszweck immer wieder den gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen angepasst. Heute stehen sozial benachteiligte Mädchen und Frauen im Alter von 14 bis 27 Jahren, allein Erziehende, Schwangere sowie Familien und Jugendliche im Fokus der Stiftungsarbeit. Die Betreuungsformen erstrecken sich über stationäre und ambulante Angebote an verschiedenen Standorten in Hamburg. Im Rahmen der „Familienlotsen“ wird der Ansatz der „ressourcenorientierten Netzwerkaktivierung“ ausschließlich im Bereich der Einzelfallhilfen angeboten. Obwohl fast alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen und Hilfen der Alida Schmidt-Stiftung mit diesem Konzept arbeiten, liegt der Betrachtungsfokus dieses Ansatzes auf dem Angebot der Familienlotsen im Kontext des „familienNetzwerks Hamm“.

Da aufgrund der zurückgegangenen Bevölkerungszahlen und der relativ alten Bevölkerungsstrukturen in Hamm keine wirksamen und bedarfsgerechten Angebote für Familienförderung existieren, wurde 2003 das „familienNetzwerk Hamm“ gegründet. Der Zusammenschluss unterschiedlicher Partnerinnen und Partner (Caritasverband für Hamburg e. V., Haus Borgfelde, Das Rauhe Haus, Verband alleinerziehender Mütter und Väter Landesverband Hamburg, Internationaler Bund e. V., Alida Schmidt-Stiftung) hat das Ziel, mit diesem sozialräumlichen Angebotsentwicklungsprojekt die Versorgungslücken für sozial Benachteiligte in Hamm zu schließen.


Ziele und Zielgruppen

Das Angebot „Familienlotsen“ richtet sich an sozial benachteiligte Familien, allein erziehende Mütter mit ihren Kindern bis sechs Jahren, Schwangere sowie Teenagermütter oder Mütter mit psychischen Problemen. Dabei bietet das Angebot Unterstützungsleistungen bei familiären Beziehungsproblemen und Problemen im Umgang mit Institutionen wie Schulen, Kitas, Krankenhäusern und Behörden an. Es handelt sich um einen aufsuchenden Arbeitsansatz: Die Arbeit findet gezielt in den Wohnungen der Familien statt und wird ergänzt durch Begleitung zu Behörden und anderen Institutionen. Im Rahmen dieses Projektes wird von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unter anderem auf die Methode der „ressourcenorientierten Netzwerkaktivierung“ zurückgegriffen. Dieser Ansatz verfolgt das Ziel, die informellen und privaten Netzwerke und Netzwerkstrukturen von sozial benachteiligten Personen unter anderem mit Hilfe von Netzwerkkarten, Familienkonferenzen oder Krisenplanungen zu stärken. Diese helfen den Betroffenen, private Netzwerke zu verfestigen sowie Kompetenzen und Ressourcen innerhalb der Familien zu entdecken und zu nutzen. Da der größte Teil der circa 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen ressourcenorientierten Techniken geschult ist, können alle Personen erreicht werden, die die Alida Schmidt-Stiftung unter anderem mit Mutter-und-Kind-Angeboten, ambulanter Betreuung und den Familienlotsen im Rahmen des „familienNetzwerks Hamm“ betreut.

In den Familien liegen unterschiedliche Belastungen vor – von Alkoholkrankheiten, schweren chronischen Krankheiten, sexuellem Missbrauch, Straffälligkeit bis hin zu Verwahrlosung, Arbeitslosigkeit und Schulden. 29 Prozent der Familien sind sogar von mindestens drei Belastungen, 50 Prozent von vier bis sechs und 21 Prozent von über sieben Belastungen betroffen. Gesundheits- und Sozialprobleme häufen und verstärken sich dabei gegenseitig. Sichtbar wird die überdurchschnittlich hohe Belastung sowohl durch gesundheitliche Probleme wie Substanzabhängigkeit, psychische wie körperliche Erkrankungen und vor allem kindliche Entwicklungsverzögerung als auch durch soziale Probleme wie inner- und außerfamiliäre Straffälligkeit und Armut (Friedrich, 2008). Während des Prozesses die Netzwerkstrukturen auszubauen wird angestrebt, auch den Gesundheitszustand der Zielgruppe zu verbessern. Denn gerade bei sozial benachteiligten und armen Familien existieren häufig keine festen Partner sowie wenige Vertrauenspersonen, sodass diese Menschen größtenteils sozial isoliert leben (Weyers, 2008).

Forschungsergebnisse belegen im Bezug auf die gesundheitliche Situation, dass Menschen, die nur wenige Kontakte pflegen, im Gegensatz zu sozial eingebundenen Personen ein 1,9- bis 3,1-fach erhöhtes Mortalitätsrisiko haben (Geyer, 2002). Darüber hinaus sind sozial integrierte Frauen und Männer psychisch als auch physisch gesünder, da die soziale Eingebundenheit in Netzwerkstrukturen als „Puffer“ dient. In belastenden Situationen wird somit durch die Unterstützung des Lebenspartners, der Familie und von Freunden beispielsweise gesundheitsschädigender Stress reduziert (House, 1992, Jungbauer-Gans, 2002).

Der Ansatz der „ressourcenorientierten Netzwerkaktivierung“ verfolgt demnach das Ziel, über die Stärkung und Aktivierung persönlicher Netzwerkstrukturen die Gesundheit zu verbessern und zu gesundheitsfördernden Verhaltensweisen anzuleiten. Denn mit dem Ausmaß sozialer Isolation steigt beispielsweise die Wahrscheinlichkeit des Rauchens, der ungesunden Ernährung und der körperlichen Interaktivität (Weyers, 2008). Soziale Beziehungen können – so wie es dieser Ansatz versteht – sinnstiftend sein und die Einzelnen zu einer gesünderen Lebensweise motivieren, da sie Verantwortungsgefühle zum Beispiel gegenüber Familienmitgliedern pflegen (Jungbauer-Gans, 2002). Außer der Möglichkeit, auf informelle Hilfen zurückzugreifen, erfahren die Zielgruppen durch den Aufbau und die Aktivierung der persönlichen Netzwerkstrukturen, dass diese immer auch mit einem gewissen Maß an Gegenseitigkeit, einem Geben und Nehmen verknüpft sind. Die Betroffenen werden zum aktiven „Miteinander“ im alltäglichen und sozialen Leben befähigt.


Vorgehen

Zur Zielerreichung der im Rahmen des „familienNetzwerks Hamm“ aufgebauten Angebotsstrukturen für Familien, Jugendliche, allein Erziehende und Schwangere greifen die kooperierenden Akteure auf drei Angebotssäulen zurück:
- gruppenbezogene offene und verbindliche Familienförderangebote und Erziehungstrainings,
- einzelfallbezogene, zeitlich eng befristete, nachgehende Hilfeangebote für Eltern – insbesondere von Säuglingen und jungen Kindern – sowie
- soziale und therapeutische Gruppenarbeit mit Kindern und Jugendlichen.

In diesem Zusammenhang begleitet und berät die Alida Schmidt-Stiftung im Rahmen von Einzelfallhilfen sozial benachteiligte Familien mithilfe von drei Angeboten im „familienNetzwerk“ Hamm. Im Bereich „Frühe Hilfen“ werden Mütter und Väter mit Säuglingen beraten, wenn sie zum Beispiel unsicher sind oder das Kind Probleme bereitet. Ziel der Frühen Hilfen ist die Förderung der Eltern-Kind-Beziehung und die Vermittlung von Wissen. Beispielsweise lernen die Eltern über Videotraining die Signale ihres Kindes zu verstehen und angemessen zu reagieren. Darüber hinaus werden Anleitungen bei der Klärung von Problemen zwischen Mutter und Vater beziehungsweise Frau und Mann gegeben. Beim Angebot „Baby-Sorglos“ kann das Team praktische Tätigkeiten wie zum Beispiel Putzen und Einkaufen oder die Betreuung des Kindes für die Familien übernehmen. Das Angebot „Familienlotse“ stellt das dritte Angebot im Teilbereich der Begleitung und Beratung für Familien des „familienNetzwerks Hamm“ dar. Dort werden Familien bei finanziellen Problemen und Schwierigkeiten mit Behörden wie zum Beispiel der ARGE, Schulen und Vermietern beraten und unterstützt. Des Weiteren werden Hilfestellungen bei Erziehungsfragen und Konflikten zwischen den Eltern gegeben.

Die Hilfen im „familienNetzwerk Hamm“ sind kostenlos. Häufig leitet das Jugendamt die Familien an das Hilfeangebot weiter oder sie werden aus anderen Angeboten im „familienNetzwerk Hamm“ übergeleitet. Die Familien können sich persönlich oder per Telefonanruf ohne umständliche Anmeldeformalitäten vormerken. Der Arbeitsansatz ist ein aufsuchender, das heißt, die Arbeit findet weit gehend in den Wohnungen der Familien statt und wird ergänzt durch Begleitung zu Behörden und anderen Institutionen. Die Einzelfallhilfen der „Familienlotsen“ dauern je nach Problemlage im Schnitt fünf bis sieben Monate. Im Jahr 2008 haben die Familienlotsen 24 Familien begleitet. Es ist beabsichtigt, dass immer dieselben Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter als persönliche Ansprechpersonen die Familien über den gesamten Zeitraum betreuen.

Im Mittelpunkt des Angebotes der „Familienlotsen“ steht die Methode der „ressourcenorientierten Netzwerkaktivierung“. Mithilfe dieser Methode soll das soziale Netz der Familien, allein Erziehenden und Schwangeren systematisch gestärkt, stabilisiert und für sie nutzbar gemacht werden. Zudem leiten die professionellen Helferinnen und Helfer dazu an, die von ihnen erbrachte Unterstützung auf das natürliche und persönliche Netzwerk der Klientel zurückzuverlagern.

Zu Beginn der Arbeit mit der Familie steht eine Netzwerkanalyse. Dabei werden sämtliche Kontakte der im Mittelpunkt stehenden Person oder Familie auf einer Netzwerkkarte gemeinsam mit den Teilnehmenden zusammengefasst. Mithilfe von Fragen nach praktischer und emotionaler Unterstützung in Alltags- sowie Krisensituationen erarbeitet das sozialpädagogische Team, welche der im Netzwerk aufgeführten Personen tatsächliche Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner sind und das Unterstützungsnetzwerk ausmachen. Dies bildet zusammen mit den gemeinsam entwickelten Zielformulierungen die Basis für den darauf aufbauenden Schritt der Netzwerkaktivierung. Anschließend geben die Betroffenen Auskunft zu Veränderungswünschen in verschiedenen Lebensbereichen, wobei diese Ziele möglichst konkret benannt und anschließend nach Priorität gewichtet werden. In der anschließenden Netzwerkaktivierung versucht das Team gemeinsam mit den Teilnehmenden zu fokussieren, welche der aktuellen Probleme mit Hilfe aus dem bestehenden Netzwerk bewältigt werden könnten, wo Ressourcen in den Beziehungen liegen, an welchen Stellen das Netzwerk erweitert werden müsste und wo es sich eventuell hemmend auf die Erreichung bestimmter Ziele auswirkt. Ein weiteres Element der Netzwerkaktivierung sind die „Familienkonferenzen“. Neben den Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen nehmen alle Familienmitglieder und die wichtigsten Personen der personalen Netzwerke teil. Diese Konferenzen, die sich aus dem Bedarf der Familie ergeben, sollen konkrete Probleme und Konflikte innerhalb der Familie klären.

Die Netzwerkanalyse lässt sich mit der gesamten Familie oder auch individuell mit einer Person je nach Problemlage durchführen. Die Methodik der Netzwerkaktivierung bildet ein Paket aus verschiedenen Elementen, die modular und problembezogen eingesetzt werden können. Diese bauen nicht zwingend aufeinander auf.

Beim Abschluss eines erfolgreichen Hilfeprozesses erhalten die Familien künftig eine Familienfibel, die sie von der Fallaufnahme an begleitet hat. Diese Familienfibel kommt ab Ende Mai 2009 zum Einsatz. In anschaulicher Weise sind darin die Netzwerk- und Unterstützungskarte erklärt sowie persönliche Erlebnisse anhand von Fotos festgehalten, die während der Hilfen entstanden. Weiter wird in der Familienfibel die mit den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern entwickelte „Konfliktklärung“ aufgezeichnet, die den Familien bei Beendigung der Hilfen mögliche Ansprechpartner und Lösungswege aufzeigt und sie in eventuellen Krisen und Konflikten unterstützt.


Good Practice in

Empowerment

Im Vordergrund der Arbeit steht die Befähigung der Familien, Schwangeren und allein Erziehenden, ihre Netzwerkstrukturen zu aktivieren und sich darin zu integrieren. Die Klientel wird dazu befähigt, nicht nur „Hilfe-Empfänger“, sondern auch „Hilfe-Geber“ in ihren Netzwerken zu sein. Durch die Selbstständigkeit und die Bewusstmachung der eigenen Ressourcen lernen die Betroffenen, für sich selbst zu sorgen und andere Personen wie zum Beispiel Familienmitglieder oder Freunde aktiv an ihrem Leben zu beteiligen. Schamgrenzen werden abgebaut. Durch die Möglichkeit, auf Netzwerke zurückzugreifen, verbessert sich zusätzlich der Gesundheitszustand und das Gesundheitsverhalten der Zielgruppen – es erfolgt der Perspektivwechsel von einer Defizit- zu einer Ressourcenorientierung. Es gilt dabei eine Balance zwischen Ressourcen und Problemen herzustellen und beide Aspekte gemeinsam mit den Familien zu thematisieren. Dieser kooperative Prozess verstetigt die ressourcenorientierte Haltung bei der Klientel über die Einzelfallhilfe hinweg. Probleme wie Schulden können dann offener im sozialen Netzwerk thematisiert und Lösungsansätze entwickelt werden. Damit lassen sich längerfristig Spannungen und Konflikte im sozialen Netz der Familien und der daraus entstehende negative Stress auf die Gesundheit verringern.

Der Prozess ist demnach als Empowerment von individuellen und privaten Netzwerken zu verstehen, der gleichzeitig die Personen befähigt, auch gezielter auf formelle Hilfestrukturen zurückzugreifen. Neben der Nutzung persönlicher Netzwerke werden die Familien, allein Erziehenden und Schwangeren auch dafür sensibilisiert, Unterstützung und Hilfe zurückzugeben.

Nachhaltigkeit

Die Arbeit der Familienlotsen zeichnet sich besonders durch ihre innovative ressourcenorientierende und netzwerkaktivierende Arbeit mit den Familien aus, ein Ansatz, der sowohl die persönlichen Ressourcen als auch die individuellen sozialen Netzwerke systemisch in die Arbeit mit einbezieht. Dieses Vorgehen, das den Blick von der Defizit- auf die Ressourcenorientierung richtet, stellt eine neue Betrachtungsweise dar. Denn Netzwerkarbeit wird zumeist als Vernetzung der Hilfeeinrichtungen untereinander verstanden, oftmals ergänzt durch die soziale Integrierung der Klientinnen und Klienten im Stadtteil. Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, die mit der Betreuung der Familien beauftragt sind, haben deren Bezugspersonen selten im Blick und die persönlichen Bindungen zu Verwandten, Freunden oder die Nachbarschaft werden kaum berücksichtigt, gefördert oder partizipativ entwickelt.

Die Idee der Aktivierung informeller Unterstützungsnetzwerke wird bereits seit einigen Jahren in den Niederlanden, Skandinavien und den USA angewandt. Der Grundgedanke dabei ist, die formellen Hilfsangebote nicht nur zu ergänzen, sondern auch ihre Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Da jede staatliche Hilfeleistung zur Erziehung nach einem bestimmten Zeitpunkt beendet wird, muss es neben der Stärkung personaler Ressourcen in jeder Hilfeform auch darum gehen, die sozialen Ressourcen zu stärken, um so die Unterstützungsleistungen in das natürliche Netzwerk der Familien zurückzuverlagern (DJI Online Gespräch September 2005 mit Dr. Sibylle Friedrich).

Vor fast zehn Jahren wurde die Idee der Ressourcenorientierung aus dem USA nach Deutschland gebracht. Dort war sie bekannt unter dem Namen „Wraparound Konzept“. Im Englischen bedeutet „to wrap around“ „herumwickeln“. Dieses Konzept verfolgt in konsequenter Weise die Haltung der Ressourcenorientierung, die den damals defizitären Blick auf die Lebenssituation der Klientel ablöst. Mit Hilfe von Simulationen im Seminarkontext wurde die Idee umgesetzt. Es folgte die Dissertation von Sibylle Friedrich an der Universität Hamburg, die bereits eine Übertragung einzelner Bausteine auf das bundesdeutsche Hilfesystem vornahm. Zur Konzeption und den Ergebnissen dieser Dissertation siehe im Einzelnen den folgenden Abschnitt „Evaluation“.

Daneben werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Alida Schmidt-Stiftung bis heute zu verschiedenen Bausteinen wie Netzwerkmoderation und Konfliktklärung in der Netzwerkarbeit in zweitägigen Schulungen ausgebildet. Die Alida Schmidt-Stiftung ist daher einer der ersten Träger in Hamburg, die das Konzept der Aktivierung informeller Unterstützungsnetzwerke zielstrebig umsetzen und versuchen, es in die tägliche Praxis der einzelfallbezogenen Familienberatung einzubinden.

Ein weiterer innovativer Aspekt der „Familienlotsen“ ist eine Familienfibel, die künftig jede Familie von Beginn der Fallaufnahme an begleiten wird. Die Alida Schmidt-Stiftung und Dr. Sibylle Friedrich haben sie entwickelt.

Dokumentation und Evaluation

Die Methodik und Wirksamkeit der „ressourcenorientierten Netzwerkarbeit“ durch die „Familienlotsen“ wurde zu Beginn ihrer Implementierung im Jahre 2003 bis 2004 wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Dabei kamen quantitative und qualitative Forschungsmethoden zum Einsatz. So wurde versucht, Prozesse und Ergebnisse aus den Perspektiven der Familien sowie der Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen zu analysieren.

Die Psychologin Sibylle Friedrich von der Universität Hamburg schrieb ihre Dissertation über „die Aktivierung sozialer Netzwerke innerhalb der sozialpädagogischen Familienhilfe“. Deren Ziel war es, netzwerkorientierte Interventionsmethoden für die Soziale Arbeit zu entwickeln und auf ihre Wirksamkeit und Konzepttreue zu überprüfen, ihre Nachhaltigkeit zu fördern sowie das Konzept anhand der Ergebnisse weiterzuentwickeln. Dazu wurden 20 Familienhelferinnen und Familienhelfer von acht Hamburger Trägern ambulanter Sozialarbeit, unter anderem der Alida Schmidt-Stiftung, in netzwerkorientierten Interventionsmethoden geschult. Diese lassen sich als Netzwerkcoaching mit den Elementen „Besprechung des Unterstützungsnetzwerkes“, „Entwicklung von Netzwerkzielen“ und „Verfolgung dieser Ziele unter Berücksichtigung vorhandener Ressourcen“ beschreiben. Diese Methoden wurden von den geschulten Familienhelferinnen und Familienhelfern anschließend neun Monate lang in ihre Arbeit in 26 laufenden Fällen sozialpädagogischer Familienhilfe integriert. Zusätzlich wurde eine Kontrollgruppe eingesetzt (n=23), in der mit traditioneller Familienhilfe gearbeitet wurde. Die Erhebung fand jeweils vor und nach dem Interventionszeitraum von neun Monaten statt. In der quantitativen Erhebung wurden, mit Hilfe einer Netzwerkkarte, zuerst die sozialen Bezüge eines Familienmitglieds visualisiert. Anhand von standardisierten Fragebögen erfragte man, wie stark die soziale Unterstützung der Familie ist und wer sie aus ihrem Netzwerk unterstützt. Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen und die Klientel wurden außerdem um ihre Einschätzung des Erreichungsgrades der Hilfeplanziele gebeten. Qualitative, problemzentrierte Interviews mit allen am Prozess Beteiligten ergänzten die quantitative Datenerhebung.

An dieser Evaluation zeigte sich, dass die Unterstützungsleistung, die die Familie aus ihrem sozialen Netzwerk ziehen konnte, in der Untersuchungsgruppe im Gegensatz zur Kontrollgruppe stärker war. Die Verfügbarkeit an Alltags- und Krisenunterstützung der Untersuchungsgruppe stieg, während die Unzufriedenheit mit dem aktuellen Ausmaß der Unterstützungsleistung um ein Drittel abnahm. Hinsichtlich der Effektivität der Familienhilfe wurden in der Untersuchungsgruppe aus Sicht der Klientel mehr schriftlich fixierte Hilfeplanziele erreicht. Nach Einschätzung der Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen wurde der Einsatz der Methoden als erfolgreich bewertet, unter anderem durch die als gelungen empfundene Aktivierung der Klientennetzwerke, durch einen persönlichen Gewinn aus der Weiterbildung sowie durch eine begonnene oder bereits erfolgte Haltungsänderung in Richtung Ressourcenorientierung hin.

Ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch während der Untersuchung, die Rückmeldung der Interviewergebnisse an das sozialpädagogische Team und die Klärung eventuell entstandener Fragen ermöglichte eine Sicherung der Prozessqualität. Durch einen Abschluss- und Auswertungsworkshop, in denen vorläufige Ergebnisse ans Praxisfeld zurückgekoppelt wurden, konnten die Konzepttreue, die Nachhaltigkeit und die formative Evaluation gesichert werden. In einem Follow-Up, drei Monate nach dem letzten Messzeitpunkt wurden die Familienhelferinnen und Familienhelfer über den weiteren, selbstständigen Methodeneinsatz befragt. Daneben führte Dr. Friedrich in den folgenden drei Jahren in sechswöchigen Abständen Praxisbegleitungen durch und schulte zwischenzeitlich die Mitarbeiter. Dies gewährleistete eine kontinuierliche Optimierung und eine wachsende Integrierung der Methoden der „ressourcenorientierten Netzwerkaktivierung“ in die tägliche Praxis der Hilfe durch die „Familienlotsen“.

Im laufenden Prozess wird die Arbeit mit den Familien dokumentiert. Dabei reflektieren die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter die Arbeit mit der Familie hinsichtlich eventueller Veränderungen und Zielsetzungen aufgrund neuer Anforderungen sowie hinsichtlich der Notwendigkeit der Hilfen. Darüber hinaus wurde auf der Grundlage der Erkenntnisse eine „Familienfibel“ erstellt. Methoden der Netzwerkarbeit werden darin für die Familien niedrigschwellig aufbereitet und ihnen zu Fallbeginn ausgehändigt. Die Fibel soll die Familien zum einen inhaltlichen im laufenden Beratungsprozess und zum anderen auch nach Abschluss der Beratung unterstützen und ihnen helfen die Methoden der „ressourcenorientierten Netzwerkaktivierung“ zu verinnerlichen.


Gesammelte Erfahrungen (Lessons Learned)

Die im Rahmen der „Familienlotsen“ angewandte Netzwerkaktivierung stellt eine Methode dar, die sich von der vorherrschenden Defizitorientierung ablöst und auf eine Ressourcenorientierung abzielt. Dabei zieht diese Herangehensweise immer eine Haltungsänderung der Familienhelferinnen und Familienhelfer sowie der Familien selber nach sich. Eine Ressourcenorientierung allein lässt sich jedoch nicht ausführen, da die Familien gleichzeitig meist schwer wiegende Probleme haben, die von den Helferinnen und Helfern ebenso berücksichtigt werden müssen. Deshalb muss eine Balance zwischen bestehenden Problemen der Familien und deren Ressourcen hergestellt werden.

Besonders der Aspekt der Visualisierung ist in der Arbeit mit den Familien von Bedeutung, denn es kommt vor, dass Familienmitglieder nicht in der Lage sind zu lesen oder zu schreiben.

Hinsichtlich des Methodeneinsatzes der Netzwerkaktivierung gibt es individuelle Unterschiede. Die Netzwerkaktivierung ist keine Methode, die ein starres Durchführungsschema oder aufeinander aufbauende Schritte anbietet. Sie besteht aus verschiedenen Elementen wie Netzwerkkarten, Unterstützungskarten, gemeinsamen Zielformulierungen und Familienkonferenzen, die individuell und unterschiedlich zur Anwendung kommen können. Grundsätzlich gilt, dass, je mehr Sicherheit man mit den Methoden der Netzwerkaktivierung hat, desto besser die Umsetzung der Methode mit den Familien funktioniert.


Literatur

Badura, B., Elkeles, T., Grieger, B. (Hrsg.) (1991). Zukunftsaufgabe Gesundheitsförderung. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag.

Bauer, U., Bittlingmayer, U. H., Richter, M. (Hrsg.) (2008). Health Inequalities. Determinanten und Mechanismen gesundheitlicher Ungleichheit. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.) (2007). Kriterien guter Praxis in der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten. Ansatz – Beispiele – weiterführende Informationen. Köln: BZgA.

DJI (Deutsches Jugendinstitut) Online Gespräch September 2005 mit Sibylle Friedrich, DJI Stipendatin aus Hamburg. URL: www.dji.de/cgi-bin/projekte/output.php (01.05.2009).



Friedrich, S. (2008): Die Aktivierung sozialer Netzwerke in der Sozialpädagogischen Familienhilfe. Dissertation, Universität Hamburg. URL: www.sub.uni-hamburg.de/opus/volltexte/2008/3655/pdf/dissend.pdf (01.05.2009)



Geyer, S. (2002). Sozialwissenschaftliche Grundlagen. In Kolip, P. (Hrsg.) Gesundheitswissenschaften – Eine Einführung (S. 53 ff.). Weinheim, München: Juventa Verlag.

House, J. S. (1991). Zum sozialepidemiologischen Verständnis von Public Health: soziale Unterstützung und Gesundheit. In Badura, B., Elkeles, T., Grieger, B. (Hrsg.) Zukunftsaufgabe Gesundheitsförderung (S. 173 ff.). Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag.

Jungbauer-Gans, M. (2002). Ungleichheit, soziale Beziehungen und Gesundheit. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.

Kolip, P. (Hrsg.) (2002). Gesundheitswissenschaften – Eine Einführung. Weinheim, München: Juventa Verlag.

Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein (2007). Hamburger Stadtteilprofile 2007. NORD.regional, Band 3. Hamburg: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein.

Weyers, S. (2008). Soziale Ungleichheit, soziale Beziehungen und Gesundheitsverhalten. In Bauer, U., Bittlingmayer, U. H., Richter, M. (Hrsg.), Health Inequalities. Determinanten und Mechanismen gesundheitlicher Ungleichheit (S. 257 ff.). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Laufzeit des Angebotes

Beginn: 2003

Abschluss: kein Ende geplant


Welche Personengruppe(n) in schwieriger sozialer Lage wollen Sie mit Ihrem Angebot erreichen?

  • Alleinerziehende in schwieriger sozialer Lage
  • Schwangere in schwieriger sozialer Lage
  • Suchtkranke Personen

Das Angebot richtet sich insbesondere an folgende Altersgruppen

  • Unter 1 Jahr
  • 1 bis 3 Jahre
  • 18 bis 29 Jahre
  • 4 bis 5 Jahre

Das Angebot umfasst geschlechtsspezifische Angebote für

  • Mädchen / Frauen

Schwerpunkte des Angebotes

  • Betriebliche Gesundheitsförderung
  • Wohnungsqualität, Wohnumfeld
  • Kommunale Strategie / Netzwerkarbeit

Das Angebot wird hauptsächlich in folgenden Lebenswelten umgesetzt

  • Stadt / Stadtteil / Quartier / Kommune

Stand

25.05.2018

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