Zum Hauptinhalt springen
Logo vom Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit und Site-Slogan: Aktiv für Gesundheit und Chancengleichheit (Link zur Startseite)
Angebotsdarstellung

Good Practice

Veröffentlichung: 2006

Die KuRVe

Kurzbeschreibung mit Zielen und Maßnahmen

Um die Situation für kranke wohnungslose Bürgerinnen und Bürger in Hannover zu verbessern, wurde im Juli 1998 die Krankenwohnung „Die KuRVe“ (Dienstleistung bei Krankheit und Regeneration, Medizinische Versorgung Wohnungsloser) gegründet. Die für das Projekt angemietete Wohnung ist speziell für die Bedürfnisse kranker Menschen ausgestattet. Voraussetzung für die Aufnahme in die Krankenwohnung ist eine Verordnung für häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB XI. Ziel der Krankenwohnung ist die Vermeidung oder Verkürzung eines Krankenhausaufenthalts durch Sicherstellen einer medizinischen und pflegerischen Versorgung in häuslicher Umgebung. Zudem werden die Patientinnen und Patienten dazu befähigt, gesundheitsschädigendes Verhalten zu erkennen und zu verändern sowie das medizinische Regelsystem selbstständig zu nutzen. Im Hinblick auf die nachhaltige Gestaltung ihrer Lebenswelt werden die Bewohnerinnen und Bewohner bei Behördengängen und Wohnungssuche unterstützt.

Das Projekt wurde anfänglich durch die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) wissenschaftlich begleitet. Die Region Hannover sichert auf Grundlage einer kontinuierlichen Dokumentation der Arbeitsergebnisse durch die Mitarbeiter die finanzielle Förderung der Krankenwohnung zu. Damit ist eine Verstetigung des Projekts gelungen. Herausragend am Angebot der KuRVe ist, dass in der medizinischen Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner ausschließlich auf Kooperation mit und Integration in das allgemeine medizinische Hilfesystem gesetzt wird. Eine über das Angebot der Krankenwohnung hinausgehende Beratung wird durch die Einrichtungen des ambulanten Wohnungslosenhilfesystems der Zentralen Beratungsstelle (ZBS) Hannover übernommen.

Die Evaluationsergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Krankenwohnung für die Genesung der Patientinnen und Patienten. Durch den Aufenthalt in der „KuRVe“ konnten nicht nur objektive Heilungserfolge nachgewiesen werden, sondern auch ein gesteigertes subjektives Wohlbefinden der Bewohnerinnen und Bewohner. Weitere messbare Erfolge sind ein Zuwachs an Zufriedenheit sowie ein verbesserter objektiver Gesundheitszustand. Zudem gaben die Befragten an, durch die Krankenwohnung leichter ärztliche Hilfe zu bekommen.


Kontakt

Frau Corinna Genz
Krankenwohnung
Helmstedter Str.1
30519 Hannover (Niedersachsen)

Telefon: 0511838 / 7320

E-Mail: die.kurve(at)zbs-hannover.de


Projektträger

Diakonisches Werk Hannover gGmbH
Burgstraße 10
30159 Hannover


Hintergrund

Wohnungslos sind Einzelpersonen oder Familien ohne eigene mietrechtlich abgesicherte Wohnung, die nichtinstitutionell (z. B. bei Freundinnen und Freunden sowie Bekannten) bzw. institutionell (z. B. in einem Heim oder einer Notunterkunft) untergebracht sind oder ganz ohne Unterkunft auf der Straße leben. Häusliche Konflikte, Scheidung, Trennung, Verlassen der Herkunftsfamilie und häusliche oder familiäre Gewalt sind entscheidende Auslöser des Wohnungsverlustes, die nahezu durchgängig einhergehen mit einer zunehmenden Verarmung der Betroffenen: Mietschulden sind inzwischen der mit Abstand wichtigste formale Grund für den Wohnungsverlust, wobei die Zahl der Räumungen wegen Mietschulden vor allem bei Frauen seit 1998 stark zugenommen hat. Die Mietschuldenproblematik ist u. a. auf die steigende Überschuldung der privaten Haushalte und eine seit 2003 in regionalen Teilmärkten angespannte Wohnungsmarktsituation zurückzuführen.

Bundesweit beträgt der Frauenanteil unter den Wohnungslosen 14 %, unter Berücksichtigung der Dunkelziffer schätzungsweise 23 %. Wohnungslose Frauen sind im Schnitt deutlich jünger als wohnungslose Männer: Das Durchschnittsalter der Frauen liegt bei 35 Jahren, das der Männer bei gut 40 Jahren. 39 % der Frauen bzw. 21 % der Männer sind unter 30 Jahre alt. Die Altersgruppe der bis 29-Jährigen ist die Gruppe mit der deutlichsten kontinuierlichen Zunahme zwischen 1993 und 2003 insgesamt. Deren Entwicklung und Anteil fällt nach Geschlecht aber höchst unterschiedlich aus. Junge Frauen sind – gemessen an ihrem Gesamtbevölkerungsanteil – in dieser Altersgruppe überproportional häufig vertreten. Jüngere Wohnungslose stürzen häufig direkt aus der Herkunftsfamilie in die Wohnungslosigkeit, ohne jemals zuvor eine eigene Wohnung bewohnt zu haben. Sie kommen oft bei Bekannten unter, während die größte Gruppe der über 40-Jährigen ganz ohne Unterkunft auf der Straße lebt – „Platte macht“.

Etwa zwei Drittel der Wohnungslosen in der Wohnungslosenhilfe sind auf staatliche Transferzahlungen in Form von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld angewiesen. Jede/r Zehnte hat überhaupt kein Einkommen, weitere 8% bestreiten ihre Einnahmen aus Gelegenheitsarbeiten, Betteln und Prostitution. Demgegenüber stehen lediglich 4 %, die ihr Einkommen durch Erwerbs- bzw. Berufstätigkeit erlangen.
Schlechte und unregelmäßige Ernährung, wenig Schlaf, unzureichende Kleidung und unhygienische Verhältnisse sind Risikofaktoren, die die Lebenssituation von Wohnungslosen erheblich prägen. Menschen in dieser Notlage leiden besonders unter sozialer und gesundheitlicher Benachteiligung sowie unter einem erschwerten Zugang zum sozialen und gesundheitlichen Hilfs- und Versorgungssystem. Neben der unklaren Finanzierung bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen stellen Scham, der Wunsch nach Anonymität und gesellschaftliche Ablehnung große Hürden für sie dar. Gedanken an ein gesundheitsbewusstes Verhalten müssen im Bemühen um die tägliche Existenzsicherung auf der Straße in den Hintergrund rücken. Die Folge ist ein schlechter körperlicher Allgemeinzustand bis hin zur Verelendung. Treten Krankheiten oder Verletzungen auf, heilen diese aufgrund fehlender Rückzugsmöglichkeiten schlechter aus. Die Folge sind Chronifizierung und Multimorbidität. So befinden sich nach bundesweiten Untersuchungen zwischen 55–70 % der Obdachlosen fast jährlich in stationärer Krankenhausbehandlung.

Wohnungslose sind besonders betroffen von Zuzahlungen zu Medikamenten und anderen Kosten für gesundheitliche Dienstleistungen. Sie haben nur in den seltensten Fällen einen ständigen Hausarzt bzw. eine ständige Hausärztin und sind kaum in der Lage, Quittungen über Rezeptkosten u. a. zu sammeln. Eine Einordnung als Chronikerin bzw. Chroniker und die damit verbundenen Einsparmöglichkeiten sind daher mit größten Schwierigkeiten verbunden. Als besonderer Erfolg ist vor diesem Hintergrund die Zusammenarbeit der niedersächsischen Wohnungslosenhilfe mit der niedersächsischen Ärztekammer und einer Krankenkasse zu bewerten, durch die ein Verzicht auf die Praxisgebühr für Wohnungslose erreicht werden konnte.

In Hannover leben je nach Jahreszeit ca. 200 bis 400 Wohnungslose auf der Straße. Im Jahr 2005 hatten außerdem ca. 2500 Personen keine eigene Wohnung und lebten in den verschiedenen Notunterkünften der Stadt.

Um die Situation für kranke wohnungslose Bürgerinnen und Bürger in Hannover zu verbessern, wurde im Juli 1998 die Krankenwohnung „Die KuRVe“ gegründet.


Vorgehen

Ziel der Krankenwohnung ist die Vermeidung oder Verkürzung eines Krankenhausaufenthalts durch Sicherstellen einer medizinischen und pflegerischen Versorgung in häuslicher Umgebung. Zudem werden die Patientinnen und Patienten dazu befähigt, gesundheitsschädigendes Verhalten zu erkennen und zu verändern sowie das medizinische Regelsystem selbstständig nutzen zu können. Im Hinblick auf die nachhaltige Gestaltung ihrer Lebenswelt werden die Bewohnerinnen und Bewohner bei Behördengängen und Wohnungssuche unterstützt.

Die für das Projekt angemietete Wohnung ist ruhig gelegen und speziell für die Bedürfnisse kranker Menschen ausgestattet. Insgesamt können in den Räumlichkeiten sechs Personen untergebracht werden. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind auf zwei Einzelzimmer und zwei Doppelzimmer aufgeteilt. Außerdem können eine voll eingerichtete Wohnküche, ein Aufenthaltsraum mit verschiedenen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, zwei Sanitärräume und ein Behandlungszimmer genutzt werden. Die persönliche Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner ist wochentags bis 14.00 Uhr gewährleistet und wird durch eine Sozialarbeiterin, eine Krankenpflegehelferin und einen Zivildienstleistenden erbracht. Ein kooperierender ambulanter Pflegedienst übernimmt die medizinische Versorgung. Eine über das Angebot der Krankenwohnung hinausgehende Beratung wird durch die Einrichtungen des ambulanten Wohnungslosenhilfesystems der Zentralen Beratungsstelle (ZBS) Hannover übernommen. Hauswirtschaftliche Tätigkeiten wie Einkaufen, Kochen und Putzen müssen die Bewohnerinnen und Bewohner nach Möglichkeit selbst übernehmen.

Die Finanzierung des Projekts „Die KuRVe“ basiert auf einer Entgeltvereinbarung mit der Region Hannover und unterliegt dem Prinzip der Einzelfallabrechnung. Die Abrechnung erfolgt monatlich in Abhängigkeit zur Belegung. Die Region Hannover trägt dabei 80 % der Kosten für Wohnung und Personal, das Diakonische Werk als Träger übernimmt die restlichen 20 %. Die anfallenden Kosten für den ambulanten Pflegedienst werden über eine ärztliche Verordnung zur häuslichen Krankenpflege nach § 37 SBG XI durch die Kranken- bzw. Pflegekasse übernommen.

Im Mittelpunkt des Konzepts der Krankenwohnung steht die ganzheitliche Betrachtung der Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner. Die Betreuung der Patientinnen und Patienten bezieht sich nicht nur auf die Heilung bzw. Linderung der akuten Erkrankung, sondern hat auch psychologische und soziale Komponenten. Im Folgenden werden diese Arbeitsschwerpunkte der „KuRVe“ erläutert.

Aufnahmevoraussetzung für die Krankenwohnung ist eine Verordnung für häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB XI. Diese kann aber nur ausgestellt werden, wenn die betroffenen Personen über eine eigene Häuslichkeit verfügen. Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in Krankenhäusern und die Mitarbeitenden anderer sozialer Hilfeeinrichtungen in Hannover kennen dieses Problem obdachloser Menschen und vermitteln betroffene Personen an die Krankenwohnung. Ungefähr die Hälfte der aufgenommenen Wohnungslosen wird durch Straßensozialarbeiterinnen und -sozialarbeiter auf die Krankenwohnung aufmerksam gemacht. Die andere Hälfte wird durch Krankenhäuser vermittelt. Die Verordnung für häusliche Krankenpflege muss durch einen niedergelassenen Arzt bzw. eine niedergelassene Ärztin ausgestellt werden. Da Wohnungslose aber nur in 10–20% der Fälle über einen Hausarzt bzw. eine Hausärztin verfügen, wird die Verordnung häufig durch eine mit der Krankenwohnung eng zusammenarbeitende allgemeinmedizinische Praxis ausgestellt. Sie erhalten anschließend einen über die Dauer der Verordnung befristeten Mietvertrag. Bisher wurden vorwiegend Männer aufgenommen. Erst im Jahr 2003 bezog erstmals eine Frau die Krankenwohnung. Sie war mit der Aufnahme trotz der männlichen Bewohnerstruktur einverstanden, da sie so rechtzeitig mit den für sie notwendigen Therapien beginnen konnte.

Die Betreuung in medizinischer Hinsicht umfasst das Aufzeigen von Hilfemöglichkeiten, Vermittlung an geeignete Ärztinnen und Ärzte oder einen ambulanten Pflegedienst, das Erklären notwendiger diagnostischer bzw. therapeutischer Verfahren, Unterstützung bei therapeutischen Maßnahmen und das Beschaffen von Arzneimitteln. Medikamentengaben oder Verbandswechsel werden durch den ambulanten Pflegedienst übernommen. Benötigt eine Bewohnerin bzw. ein Bewohner Unterstützung bei den Verrichtungen des täglichen Lebens wie Körperpflege oder Einkaufen, hilft der Zivildienstleistende. Grundsätzlich ist jedoch ein hoher Grad an Selbstständigkeit gewünscht, und zwar sowohl als Perspektive für die Betroffenen als auch im Hinblick auf die personellen Kapazitäten der Krankenwohnung. Um krankmachende Lebensgewohnheiten bewusst zu machen wie auch um Verhaltensänderungen anzustoßen, informieren die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der „KuRVe“ ihre Klientinnen und Klienten über Zusammenhänge von Lebensweisen und Erkrankungen, gesündere Verhaltensmöglichkeiten und weitergehende Hilfeeinrichtungen (z. B. Suchtberatung). Zudem geben sie praktische Anleitung in Bezug auf Haushaltsführung und Speisenzubereitung. Eine gute Wohnatmosphäre und Gespräche mit den Beschäftigten bilden die psychologische Komponente von Gesundheit, die von den Wohnungslosen sehr positiv erlebt wird. Im 14-tägigen Rhythmus kommt außerdem ein Pastor ins Haus und steht für Gespräche und auch für die Seelsorge bei Schwerstkranken zur Verfügung.

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt ist das Entwickeln neuer Lebensperspektiven gemeinsam mit den Betroffenen. Der Aufenthalt in der Krankenwohnung stellt für Bewohnerinnen und Bewohner eine Chance dar, ihrem Leben eine Wendung zu geben. Oberstes Ziel ist vor allem die Beschaffung von eigenem Wohnraum, was schwierig und vor allem zeitraubend ist. Entsprechend gehört eine bessere Kooperation mit Akteurinnen und Akteuren des freien Wohnungsmarktes seit längerem zu den dringlichsten Wünschen der Beschäftigten in der Krankenwohnung.

Kann eine Patientin bzw. ein Patient der „KuRVe“ nicht mehr allein leben, wird ein Platz in einem Pflegeheim oder eventuell in einem Hospiz gesucht. Im Jahr 2005 wohnten 25 Patientinnen und Patienten in der Krankenwohnung, davon blieben sechs über den Jahreswechsel. Drei Personen gingen zurück auf die Straße, zwölf Patienten bekamen eine Wohnmöglichkeit in einer eigenen Wohnung, einer Übergangswohnung oder in einem Alten-/Pflegeheim, vier wurden stationär in ein Krankenhaus aufgenommen.

Um die Betroffenen bei Wohnungssuche und Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu unterstützen, werden sie über ihre Rechte bezüglich sozialer Hilfen informiert und erhalten nötigenfalls Begleitung bei Behördengängen. Die Arbeit der Krankenwohnung enthält somit gesundheitsfördernde, präventive sowie therapeutische Inhalte und basiert auf dem Gesundheitsverständnis der WHO.


Good Practice in

Nachhaltigkeit

Die Krankenwohnung wurde 1998 ins Leben gerufen und anfänglich durch die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) wissenschaftlich begleitet. Durch Befragungen von Hilfebedürftigen sowie Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Wohnungslosenhilfe wurde das Hilfsangebot auf die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer abgestimmt. Zum Zeitpunkt der Gründung war die Krankenwohnung die erste Maßnahme dieser Art in Deutschland. Im Laufe der Jahre konnten einige Träger an anderen Standorten, wie z.B. in Köln oder Dortmund ein ähnliches Hilfsangebot aufbauen. Herausragend am Angebot der „KuRVe“ ist bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt, dass in der medizinischen Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner ausschließlich auf Kooperation mit und damit auch Integration in das allgemeine medizinische Hilfesystem gesetzt wird; d.h. es wird gezielt die Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten im Umfeld der Krankenwohnung gesucht bzw. es werden enge Kooperationsbeziehungen mit ambulanten Pflegediensten, Heimen, Krankenhäusern etc. geknüpft. Dieses abgestimmte Vorgehen kann als wesentlicher Beitrag zum Erfolg des Projekts gesehen werden, da dadurch die Nachhaltigkeit der Wirkungen bei den Projektadressaten gesichert wird.
Die bedingt durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz immer schwieriger werdende gesundheitliche Versorgung von Wohnungslosen macht die Krankenwohnung „Die KuRVe“ nach wie vor zu einem aktuellen Lösungsansatz bei gesundheitlichen Problemen Wohnungsloser. Während einer Blitzumfrage der BAG Wohnungslosenhilfe gaben lediglich 17% von mehr als 100 befragten Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe an, keine Behandlungsabbrüche aufgrund von Praxisgebühr und Zuzahlung bei Medikamenten verzeichnen zu können. Zu den Gründen gehören neben finanziellen Problemen der Betroffenen u.a. fehlende Rückzugsmöglichkeiten, keine Hausärztin bzw. Hausarzt, keine befriedigende Möglichkeit Quittungen und Belege zu sammeln und andere bereits genannte Gründe, die dann häufig zu schweren oder chronifizierten Krankheitsverläufen führen.
Die Studie der MHH und deren Untersuchungsergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Krankenwohnung für die Genesung der Patienten. Durch den Aufenthalt in der „KuRVe“ konnten nicht nur objektive Heilungserfolge nachgewiesen werden, sondern auch ein gesteigertes subjektives Wohlbefinden der Bewohner. Ihre Zufriedenheit wächst analog zur Verbesserung des eigenen Gesundheitszustandes zwischen Aufnahme und Entlassung um 66%. 72,2% der Befragten gaben an, durch die Krankenwohnung leichter ärztliche Hilfe zu bekommen.
Aufgrund dieser zahlreichen positiven Auswirkungen konnte eine kommunale finanzielle Unterstützung für die „KuRVe“ und damit eine Verstetigung des Projektes erwirkt werden. Die Region Hannover sichert auf Basis einer regelmäßigen Evaluation der Arbeit die Förderung der Krankenwohnung zu.
Ein weiterer Punkt, der die Nachhaltigkeit der Maßnahme unterstreicht, ist der ganzheitliche Betreuungsansatz der Krankenwohnung. Es werden nicht nur die Symptome aufgetretener Krankheiten behandelt, sondern auch die tieferliegenden Ursachen bekämpft. Die psychosoziale Betreuung, die sozialen Reintegrationsmaßnahmen und die Wiederanbindung der Bewohner an das Gesundheitssystem verhindern ein Wiederauftreten bzw. Verschlimmern ihrer gesundheitlichen Probleme.

Dokumentation und Evaluation

Im ersten Jahr ihres Bestehens (1998) wurde die „KuRVe“ durch die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) wissenschaftlich begleitet. Zu diesem Zeitpunkt waren Hauterkrankungen sowie Erkrankungen des Bewegungsapparates die Hauptaufnahmegründe für den durchschnittlich ca. 8-wöchigen Aufenthalt in der Krankenwohnung. Seitdem erfolgt eine kontinuierliche Dokumentation der Belegsituation durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Krankenwohnung. Dazu wird der durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) in Kooperation mit der „Arbeitsgemeinschaft Statistik und Dokumentation auf Bundesebene für die Hilfen in besonderen Lebenslagen nach § 72 BSHG und vergleichbare Hilfearten“(AG STADO 72) entwickelte Fragebogen zur Erfassung des Basisdatensatzes Wohnungslosenhilfe verwendet. Dieser weist insgesamt 46 Variablen auf, die soziodemografische Daten, Bildungsstand, gesundheitlichen Zustand und die Umstände abfragen, die zur Wohnungslosigkeit führten. Da mehrmals während der Betreuungszeit die Daten der Klientinnen und Klienten erfasst werden, wird damit das Spektrum von Hilfebedarf, Hilfeverlauf und Hilfeergebnis abgedeckt.

Mit dieser Methode können nicht nur Veränderungen unterschiedlichster Art dokumentiert werden, sondern auch Zielvereinbarungen getroffen werden, die eine genaue, auf den Bedarf abgestimmte Hilfeplanung erlauben. Für das Jahr 2003 wurden beispielsweise bei fünf Patienten besonders schwere unheilbare Krankheitsbilder belegt. Dieser Schweregrad führte zu einer überdurchschnittlich langen Aufenthaltsdauer in der Krankenwohnung, bedingt u. a. durch die Schwierigkeit, andere Unterbringungsmöglichkeiten zu organisieren.

Auch die Vermittlung in Wohnungen oder Wohnheime wird dokumentiert. Diese erfordert bei Schwerkranken außerordentlich viel Zeit, was sich durch das Verfahren belegen lässt. Im Ergebnis entstanden verstärkte Bemühungen um Kooperationsroutinen mit Krankenhäusern, Pflegeheimen, Ärztinnen und Ärzten etc., die für beide Seiten zeitsparend wirken. Häufig liegen Schwierigkeiten jedoch auch darin, dass Fragen der Kostenübernahme langwierige Klärungsprozesse erfordern und die Vermittlung in ein Pflege- oder Altersheim behindern.

Neben der Rechenschaftsdarlegung gegenüber dem Träger bzw. der Trägerin dient die Dokumentation als Basis einer landes- und bundesweiten Routinedatenerhebung, die Überblickdaten für die überregionale Entwicklung und Planung der Wohnungslosenhilfe liefert. Die Ergebnisse werden u. a. regelmäßig im Jahresbericht der Zentralen Beratungsstellen Niedersachsens (ZBS) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Im Rahmen des Qualitätsmanagementprozesses der zentralen Beratungsstellen Niedersachsens wurden im Jahr 2004 für die „KuRVe“ erstmals eine Prozessbeschreibung entwickelt und Schlüsselprozesse benannt. Zurzeit existieren zwei Prozessbeschreibungen: zum einen bezüglich der Klärung/Schaffung von Voraussetzungen für eine Aufnahme in die Krankenwohnung, zum anderen zur Ablauforganisation von der Aufnahme der Patientinnen und Patienten bis zu ihrem Auszug aus der „KuRVe“.

Integriertes Handeln

„Die KuRVe“ ist Teil eines Verbundsystems ambulanter Hilfen. Neben der Krankenwohnung gehören dazu die Beratungsstelle Hagenstraße (Beratung, Betreuung, Postadresse, Geldvermittlung, Vermittlung in stationäre Einrichtungen), der Tagestreffpunkt „DÜK“ (tagesstrukturierende Maßnahmen, Kochen, Waschen, Dusche, Schreibtisch, Telefon etc.), der Kontaktladen „Mecki“ (siehe Seite 138 ff) und die ökumenischen Essensausgaben. Innerhalb der genannten Einrichtungen ist eine Weitervermittlung von Personen in besonderen sozialen und gesundheitlichen Notlagen ohne Formalitäten möglich. Gemeinsam bilden diese Einrichtungen eine Fachgruppe der Zentralen Beratungsstelle Hannover (ZBS) des Diakonischen Werkes e.V.

Innerhalb der gesamten ZBS werden in fachbezogenen Arbeitsgruppen aktuelle Probleme der Wohnungslosenhilfe aufgegriffen und gemeinsame Lösungsstrategien entwickelt. Dabei werden im Einzelfall Absprachen zur Kooperation und zum Vorgehen getroffen. Zu generellen Themen werden Arbeitskreise gebildet, um die Belange der Klientel zu sammeln und Interessen zu vertreten oder zu verdeutlichen. Eine übergeordnete Stelle koordiniert die verschiedenen Fachgruppen. Ebenso ist die ZBS Hannover zuständig für Fortbildungsveranstaltungen, das zentrale Qualitätsmanagementsystem und die verwaltungstechnischen Aufgaben. Enge trägerexterne Verbindungen bestehen zur Sozialen Wohnraumhilfe gGmbh, zu verschiedenen Angeboten der Tagesbetreuung und Übernachtung sowie zu den Einrichtungen der Drogenhilfe.

Die bereits erwähnten Schwierigkeiten bei der Vermittlung von schwerkranken Wohnungslosen in stationäre Pflegeeinrichtungen führten zur Formulierung von entsprechenden Prozesszielen und zu verstärkten Bemühungen um zuverlässige Kooperationsbeziehungen. Diesem Zweck dienen u. a. gemeinsame Arbeitstreffen verschiedener Einrichtungen, die Gelegenheit bieten, sich gegenseitig mit den jeweiligen Arbeitsschwerpunkten kennen zu lernen sowie die notwendigen Routinen herzustellen. Beispielhaft ist hier neben der Zusammenarbeit mit Krankenhäusern und Pflegeheimen die Kooperation mit Hospizen, psychiatrischen Einrichtungen und sozialpsychiatrischen Beratungsstellen zu nennen.

Eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe ermöglicht eine Interessensvertretung der Zielgruppe auch auf Bundesebene. Die „KuRVe“ beteiligt sich außerdem am Projekt „Aufsuchende Gesundheitsfürsorge“ der niedersächsischen Ärztekammer, das durch das Zentrum für Qualität und Management im Gesundheitswesen durchgeführt wird.


Laufzeit des Angebotes

Beginn: Juli 1998

Abschluss: kein Ende geplant


Welche Personengruppe(n) in schwieriger sozialer Lage wollen Sie mit Ihrem Angebot erreichen?

  • Wohnungslose
  • Menschen in sozial schwieriger Lage: kranke Wohnungslose

Das Angebot richtet sich insbesondere an folgende Altersgruppen

  • 30 bis 49 Jahre
  • 66 bis 79 Jahre
  • 50 bis 65 Jahre

Das Angebot umfasst geschlechtsspezifische Angebote für

  • Keine geschlechtsspezifischen Angebote

Schwerpunkte des Angebotes

  • Sucht
  • Multimorbidität
  • Stärkung sozialer Kompetenzen
  • Soziale Teilhabe (Integration, Inklusion)
  • Aktionsbündnisse

Das Angebot wird hauptsächlich in folgenden Lebenswelten umgesetzt

  • Stadt / Stadtteil / Quartier / Kommune
  • Häusliches Umfeld
  • Pflegeheim / Tagespflegeeinrichtung / betreutes Wohnen

Qualitätsentwicklung

Was machen Sie, um die Qualität Ihres Angebotes weiterzuentwickeln?

Teilnahme am Fachausschuss Gesundheit der BAG W
Mitgliedschaft im Sprecherrat der AG Medizinische Versorgung ( BAG W )
Fachlicher Austausch in der eigenen Institution und mit KollegInnen anderer Projekte zur medizinischen Versorgung Wohnungsloser
Unter Berücksichtigung der spezifischen Verhältnisse vor Ort, Vorschläge für eine Erweiterung des Angebotes entwickeln.
Befragung der Klientel

Welche Erfahrungen haben Sie bei der Qualitätsentwicklung Ihres Angebotes gemacht?
Welche Stolpersteine haben Sie festgestellt?

Die Weiterentwicklung der Arbeit ( Anpassung an veränderte Bedingungen und Anforderungen ) scheitert an knappen Ressourcen und starren bürokratischen Gegebenheiten.

Wie dokumentieren Sie Ihre Arbeit? (z.B. Konzepte, Handreichung)

Konzept als Grundlage für die Arbeit.
Jahresberichte
Statistik mit anonymisiertem Datentransfer an die BAG W.

Quelle der Veröffentlichung/URL: Jahresbericht der Zentralen Beratungsstelle für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten in Hannover

Es ist bereits ein Ergebnisbericht vorhanden.

Titel des Berichts bzw. Kurzbeschreibung: Durchführung der Evaluation erfolgte durch die Medizinische Hochschule Hannover

Die Qualitätsentwicklung und Ergebnissicherung sind in ein Qualitätsmanagementsystem eingebunden.


Stand

02.08.2018

… zurück zur Übersicht